niert wären. Dies stimmte auch. Es waren rund ein Dutzend kleiner Jungens der
deutschen Kapellen, die interniert worden waren, weil es menschlich freundlicher
erschien, sie bei ihren Freunden zu lassen, als in ein Armenhaus zu schicken.
Ihre Sicherheit im Lager machte dem Kommandanten schwere Sorge.
Als ich beim Kadettenbataillon war, ging ich fast jeden Sonntag zum Tee
nach Garsington. Philip und Lady Ottoline Morrell wohnten dort im Herren-
hause. Die Morrels waren Pazifisten, und hier hörte ich zum ersten
Male, daß die Frage der Kriegsschuld zwei Seiten hatte. Clive Bell arbeitete auf
dem Gute. Er war ein Kriegsdienstverweigerer aus Gewissensgründen, und es
war ihm gestattet, diese für die Volksernährung wichtige Arbeit zu verrichten
anstatt einzutreten. Aldous Huxley, Lytton Strachey und der Hon. Bertrand
Russell waren häufige Gäste. Aldous war nicht kriegsdienstverwendungsfähig,
sonst wäre er sicher irgendwo eingetreten, wie Osbert und Sacheverell Sitwell,
Herbert Read, Siegfried, Wilfred Owen, ich und die meisten anderen zeitgenössi-
schen jungen Schriftsteller. Keiner von diesen glaubte aber jetzt mehr an den Krieg.
Bertrand Russell, der die Altersgrenze für den militärischen Dienst überschritten
hatte und doch — ein seltenes Zusammentreffen — ein eifriger Pazifist war,
wandte sich einmal plötzlich zu mir: „Sagen Sie mir, wenn eine Kompanie Ihres
Regiments herangeholt würde, um einen Streik von Munitionsarbeitern zu be-
kämpfen, und die Munitionsarbeiter sich weigerten, nachzugeben, würden Sie
dann Ihren Leuten Befehl zum Schießen geben?"
Ich sagte: „Ja, wenn alles andere vergebens wäre. Es würde in Wirklichkeit
nicht schlimmer sein, als auf Deutsche zu schießen."
Er schien erstaunt und fragte: „Würden Ihre Leute gehorchen?"
„Selbstverständlich, sie hassen Munitionsarbeiter und würden nur zu gerne
einige abschießen, sie halten sie alle für Drückeberger."
„Aber Sie sehen doch ein, daß der Krieg halber Wahnsinn ist."
„Ja, ebensogut wie Sie." Meine Einstellung konnte er nicht begreifen.
Lytton Strache, war nicht kriegsverwendungsfähig. Aber anstatt sich von den
Ärzten abweisen zu lassen, zog er es vor, als Kriegsverweigerer vor einem
Militärgericht zu erscheinen. Er erzählte von dem fabelhaften Eindruck, den ein
Luftkissen hervorgerufen hatte, das er während der Sitzung als Protest gegen die
Härte der Bänke aufgepustet. Als durch den Vorsitzenden die übliche Frage
gestellt wurde: „Hab ich recht verstanden, Herr Strachey, daß Sie aus Gewissens-
gründen gegen den Krieg sind?", antwortete er mit seiner merkwürdigen Falsett-
stimme: „O nein, gar nicht, nur gegen diesen Krieg." Besser noch war seine Ant-
wort auf die zweite Frage, die man immer bereit hatte und die noch nie ihren
Zweck verfehlt hatte, den Angeklagten in Verlegenheit zu bringen: „Sagen Sie
mir, Strachey, was würden Sie tun, wenn sie sähen, daß ein deutscher Soldat
Ihre Schwester überfiele?" Mit edler Tugendmiene antwortete er: „Ich würde
versuchen, dazwischen zu kommen."
Deutsch von Reichsminister Treviranus
526
deutschen Kapellen, die interniert worden waren, weil es menschlich freundlicher
erschien, sie bei ihren Freunden zu lassen, als in ein Armenhaus zu schicken.
Ihre Sicherheit im Lager machte dem Kommandanten schwere Sorge.
Als ich beim Kadettenbataillon war, ging ich fast jeden Sonntag zum Tee
nach Garsington. Philip und Lady Ottoline Morrell wohnten dort im Herren-
hause. Die Morrels waren Pazifisten, und hier hörte ich zum ersten
Male, daß die Frage der Kriegsschuld zwei Seiten hatte. Clive Bell arbeitete auf
dem Gute. Er war ein Kriegsdienstverweigerer aus Gewissensgründen, und es
war ihm gestattet, diese für die Volksernährung wichtige Arbeit zu verrichten
anstatt einzutreten. Aldous Huxley, Lytton Strachey und der Hon. Bertrand
Russell waren häufige Gäste. Aldous war nicht kriegsdienstverwendungsfähig,
sonst wäre er sicher irgendwo eingetreten, wie Osbert und Sacheverell Sitwell,
Herbert Read, Siegfried, Wilfred Owen, ich und die meisten anderen zeitgenössi-
schen jungen Schriftsteller. Keiner von diesen glaubte aber jetzt mehr an den Krieg.
Bertrand Russell, der die Altersgrenze für den militärischen Dienst überschritten
hatte und doch — ein seltenes Zusammentreffen — ein eifriger Pazifist war,
wandte sich einmal plötzlich zu mir: „Sagen Sie mir, wenn eine Kompanie Ihres
Regiments herangeholt würde, um einen Streik von Munitionsarbeitern zu be-
kämpfen, und die Munitionsarbeiter sich weigerten, nachzugeben, würden Sie
dann Ihren Leuten Befehl zum Schießen geben?"
Ich sagte: „Ja, wenn alles andere vergebens wäre. Es würde in Wirklichkeit
nicht schlimmer sein, als auf Deutsche zu schießen."
Er schien erstaunt und fragte: „Würden Ihre Leute gehorchen?"
„Selbstverständlich, sie hassen Munitionsarbeiter und würden nur zu gerne
einige abschießen, sie halten sie alle für Drückeberger."
„Aber Sie sehen doch ein, daß der Krieg halber Wahnsinn ist."
„Ja, ebensogut wie Sie." Meine Einstellung konnte er nicht begreifen.
Lytton Strache, war nicht kriegsverwendungsfähig. Aber anstatt sich von den
Ärzten abweisen zu lassen, zog er es vor, als Kriegsverweigerer vor einem
Militärgericht zu erscheinen. Er erzählte von dem fabelhaften Eindruck, den ein
Luftkissen hervorgerufen hatte, das er während der Sitzung als Protest gegen die
Härte der Bänke aufgepustet. Als durch den Vorsitzenden die übliche Frage
gestellt wurde: „Hab ich recht verstanden, Herr Strachey, daß Sie aus Gewissens-
gründen gegen den Krieg sind?", antwortete er mit seiner merkwürdigen Falsett-
stimme: „O nein, gar nicht, nur gegen diesen Krieg." Besser noch war seine Ant-
wort auf die zweite Frage, die man immer bereit hatte und die noch nie ihren
Zweck verfehlt hatte, den Angeklagten in Verlegenheit zu bringen: „Sagen Sie
mir, Strachey, was würden Sie tun, wenn sie sähen, daß ein deutscher Soldat
Ihre Schwester überfiele?" Mit edler Tugendmiene antwortete er: „Ich würde
versuchen, dazwischen zu kommen."
Deutsch von Reichsminister Treviranus
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