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Galerie Flechtheim [Mitarb.]
Der Querschnitt — 10.1930

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Heft 1
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Kenney, Rowland: Pubs sind keine Bars
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https://doi.org/10.11588/diglit.73550#0082

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Gäste. Hier werden mit dem Rücken zum Kamin die Geschichten erzählt, die
noch belacht werden, weil sie gut sind.
Bei aller Verschiedenheit der Pubs haben sie eine Wesenseinheit: sie sind all-
tägliche Versammlungsstätten gewöhnlicher Menschen. Jede Schankstube eines
Pubs hat ihre Gemeinde. In Yorkshire kenne ich einen Dorfpub, in dem jede
Sitzgelegenheit nach ihrem Stammbenützer genannt wird. Im Pub ist jeder will-
kommen, solange er sich nicht besser dünkt als ein anderer. Kameradschaftlich-
keit ist die Moral der Schankstube.
Ich sehe eine niedrige, reich mit dunklen Ecken ausgestattete Schankstube
meiner Heimat Yorkshire vor mir. Der Raum ist so groß wie eine kleine Scheune.
Es ist der neutrale Treffpunkt der Wilderer und der Förster, wo man sich ausruht
nach der Menschenjagd. Vier Mann trinken zusammen aus einem großen Krug,
der immer wieder gefüllt wird, so daß der Schaum sich nie absetzen kann. Die
Steinbrucharbeiter, die zu den Stammgästen gehören, sind große Boxer und
Ringer. Vor dem Kampfe — in der Gaststube - — - zog man sich splitternackt aus.
Die alte Wirtin hinter der Theke protestiert, und wenn das nichts hilft, steckt sie
ihren Kopf in die Hände, denn sie will nicht hinsehen und spreizt dafür die
Finger um so weiter auseinander.
Von Yorkshire, dem Lande der Heide und der Berge, wandern die Gedanken
nach Liverpool zur Hafenkneipe von Skysail Jack, dem Wirt, der so stark
war, daß er auch seinen stärksten Gästen, den Matrosen, den Kohlentrimmern
und den Dockarbeitern, die Ausübung des Faustrechts kunstgerecht verwehren
konnte. Wenn ein Gast dort den anderen „Kreuzung von Stier und Wagen"
nannte, so mußte Jack intervenieren. Aber der Beleidigte fühlte sich in dem
Schankraum so wohl, daß er nicht auf einer Auseinandersetzung im Freien
bestand, sondern als weitere Injurie „ausgekochter plattfüßiger Erdenhund"
mit in den Kauf nahm.
In der Kneipe einer schmutzigen Hinterstraße in einer Fabrikstadt von
Lancashire (mit dem schönen Titel „Eisenbahnhotel") habe ich mit dem Wirt
geboxt, weil er mich mit dem schlimmsten Schimpfwort der Gegend „blutiger
Hundeabfall" titulierte. Hätte er mich nur „Sohn einer Hündin" genannt, so
hätte ich nach dem Ehrenkodex der Gegend nicht zu kämpfen gebraucht. Wir
kämpften bis zum Umfallen. Niemand punktierte uns, und ich blieb Stammgast
in einem der menschlichsten Pubs der Welt.
Im Gasthaus „Zur aufgeregten Hausfrau" in Lincolnshire habe ich mit
Bauern und Arbeitern in dem fast unverständlichen Dialekt der Gegend ernsthaft
über Ernteaussichten und die Prinzipien der Zuchtwahl in der Schweinepaarung
geredet. Der abwesende Witzbold unserer Corona war der senile Dorfpfarrer,
und jeder Landstreicher bekam an Tagen mit Nachtfrösten seinen Teller heißer
Suppe gereicht.
Wo findet man diese Pubs in England? Nur der Zufall oder Bacchus führt
uns dahin. Ich schreibe keine Anweisung und kein Adreßbuch. Denn ich bin
weder Bacchus noch ein Gott und vermag daher nicht zu beurteilen, wer es wert
ist, in die Gemeinde eines jener Pubs aufgenommen zu werden, die sich heute
noch bemühen, die Traditionen des „Englands unserer Träume" aufrecht zu
erhalten.

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