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Galerie Flechtheim [Contr.]
Der Querschnitt — 12.1932

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Lernet-Holenia, Alexander: Über das Verführen junger Mädchen
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https://doi.org/10.11588/diglit.73728#0368
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Über das Verführen junger Mädchen
Von
Alexander Lernet-Holenia
Junge Mädchen, die verfährt werden, sind immer schon von wem andern verführt worden.
Die meisten Leute, wenn man sie fragt, wie oft sie junge Mädchen verführt hätten,
antworten : Einmal und nicht wieder.
Jemanden verführen heißt: wenigstens den Versuch machen, ihn vor Schlimmerem ^u
bewahren.
Ein Verführer verhält sich ^ einem gewöhnlichen Liebhaber wie ein Rennpferd z"
einem Ackergaul.
Man verführt entweder immer wieder oder nie wieder.
Jede Frau ist jedem Manne so überlegen, daß nur seine Eitelkeit ihn daran hindert, sich
gefoppt ^ fehlen, wenn sie ihm vor wirft, er hätte sie verführt.
Es gibt ^wei Arten von Verführungen : eine sehr unangenehme, bei der die Verführte,
und eine sehr angenehme, bei der der Verführer verführt wird.
Wer glaubt, ein Mädchen verführt zu haben, bildet sich's immer bloß ein.
Mädchen, die verführt worden sind, neigen eher da^u, später anständige Frauen „
werden als solche, die geheiratet worden sind, ohne vorher verführt worden ^u sein. Denn
irgendwie und irgendwann holt man immer alles nach.
Moral hat nicht den Zweck, vor Verführung ^ schützen, sondern vielmehr nur den,
für Unmoral ^u interessieren. Denn ohne diejenigen, die das Verführen für skandalös halten,
wäre es bloß eine Prozedur und keine Sensation.
*
Lieben heißt : sich durch nichts verführen lassen. Sich verführen lassen heißt: die Liebe
aufgeben. Eine Verführung ist eine um so vollkommenere, je mehr Liebe damit aufgegeben
wird. Ein Liebhaber kann also nie überlegen genug, ein Verführer nie inferior genug sein.
*
Kein Mädchen läßt sich von seinem Ideal verführen, sondern immer nur von dem Gegen-
teil dieses Ideals. Denn das Ideale ist unbestechlich und daher banal, das Unideale korrupt
und daher faszinierend.
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