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Galerie Flechtheim [Contr.]
Der Querschnitt — 12.1932

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Schi: "La Bagatelle": Unterhaltung mit einer Pariser Modistin
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https://doi.org/10.11588/diglit.73728#0393
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auch gar nicht schlimm, ich habe durch
diese agence zwei gut zahlende Freunde
gefunden. Den einen davon habe ich so-
gar richtig gern. Seinetwegen, weil ich
mich nicht von ihm trennen wollte,
habe ich mir gerade jetzt eine zehn-
tägige Reise mit dem anderen verscherzt.
Das ist Pech, nicht wahr? Jetzt muß ich
mir für die Zeit Ersatz suchen."
„Und wie machen Sie das?"
„Das heißt einfach, wieder Zeit ver-
lieren. Zwischen zwei und drei muß ich
in die agence gehen und dort so lange
sitzen, bis einer der wenigen Klienten
mich wählt. Aber ich langweile mich
nicht; ich nehme immer meine Näh-
arbeit mit. Und dann unterhält man sich
ja auch mit den andern Mädchen."
„Gibt es viel Konkurrenz?"
„Nicht einmal. Gestern waren außer
mir nur noch drei da: zwei Mannequins
und eine Dolmetscherin. Man muß aber


Steffi Kohl
— Mutter, wenn ich die Augen schließe,
glaub ich, du bist der Paul.

nicht zu intim mit ihnen werden. Frauen sind ja meist böse... die Eifersucht und
der Neid.. . Auf der Straße kenne ich sie dann auch nicht mehr. Mein Begleiter
könnte sie kennen und mehr von ihnen wissen, als für mich selbst gut ist."
„Ja, aber er hat Sie doch wohl auch dort kennengelernt?"
„Oh, das will noch gar nichts heißen! Die agence ist ja eigentlich und offiziell
für Ehevermittlungen da. Mein Bekannter muß eben annehmen, daß ich durch die
agence eine Heirat oder auch einen dauernden Freund gesucht hatte. Wie es sich
dann mit ihm und mir entwickelt, das kann ja ein Zufall sein. Jedenfalls darf keiner
wissen, daß er nicht der Einzige ist. Die patronne allerdings darf von all diesen
Absichten nichts wissen. Anspruchsvolle Klientinnen kann sie nicht brauchen. Am
besten ist, Sie sagen ihr, daß Sie zwar die Ehe oder auch einen ständigen Freund
suchen, wenn das aber nicht gleich klappe, so seien Sie auch bereit, inzwischen
die eine oder andre Sache zu machen. Das sagt ihr am besten zu. Denn die meisten
Männer kommen doch nur zu solchen gelegentlichen Verbindungen hin."
„Haben Sie denn nicht Angst vor der Indiskretion der Männer oder auch vor
noch Schlimmerem?"
„Nein, diese Gefahren sind gering. Die Männer, die in die agence gehen, sind
meist verheiratet und haben selbst allen Grund zur Diskretion und Vorsicht in
jedem Sinne. Dabei sind sie meist sehr gepflegt — die patronne kennt ja ihre
Klienten und nimmt nicht jeden an. Deshalb muß man sich eben nur an die besten
Häuser halten. Darin will ich sie gern genau beraten. In einer der guten agences
stellen die Klienten auch nicht zu große Ansprüche an die Zeit der Mädchen. Sie
sind selbst großzügig und suchen meist aus irgendeinem Grund eine kleine
Freundin, mit der sie, zweimal wöchentlich gewöhnlich, nett ausgehen oder auch

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