Willy Heier
Nach der Kur
Vor der Kur
Wenn er auch keine direkte persönliche Bedienung verlangte, so mußte man doch immer
um ihn sein, um kleine Fehler und Mängel abzustellen, die sich infolge seiner ständigen Kon-
zentration auf die Arbeit ergaben. Er war im Bett und im Bad und beim Anziehen immer
in Gedanken versunken. Daher kam auch seine Vergeßlichkeit in den häuslichen Dingen, die
er oft vernachlässigte. Wenn man ihn dann auf Mängel der Garderobe aufmerksam machte,
war er sehr erfreut über die Sorgfalt seines Kammerdieners, und er gestattete es auch, daß
man ihm Ratschläge und Winke gab. Sehr oft sprach er auch privat mit mir, erkundigte sich
sehr freundlich und interessiert nach meinen Angelegenheiten und plauderte von seinen Ein-
drücken in der Gesellschaft und in der Politik. So bekam ich zum Beispiel ein gutes Bild von
den ausländischen Staatsmännern mit den berühmten Namen. Mein Herr erzählte mir kleine
Geschichten und Erlebnisse von seinen Reisen, und wir lachten häufig zusammen.
Bei einem populären Künstler, den ich lange Jahre betreute, hatte ich noch eine besondere
Aufgabe zu erfüllen. Ich mußte seine Zornausbrüche regulieren. Zu seiner guten Kondition und
zu seinem Wohlbehagen gehörten regelmäßige, nicht zu oft auftretende und nicht zu lange
anhaltende Wutanfälle. Mir oblag die Pflicht, durch entsprechende Bemerkungen für einen
glatten Verlauf dieser hygienischen Verrichtungen Sorge zu tragen. Wenn er „seinen Tag" hatte,
dann suchte er so lange, bis er etwas fand, worüber er sich aufregen konnte. Es hätte ihn krank
gemacht, wenn ich seine Schimpfereien und Nörgeleien -etwa stillschweigend hingenommen
hätte. Ich mußte ihm widersprechen und ihn zu belehren suchen. Dann explodierte er, und es
ging nicht sehr fein dabei zu. Wir schrien uns manchmal sogar gegenseitig an, so peinlich mir
das war. Aber nachher war er dann in großartiger Stimmung, scherzte und lachte und machte
Witze über meine „Empfindlichkeit", die ich natürlich eine Weile markierte. Dieser Herr gehörte
zu den wenigen, die mich immer duzten. Wenn er „Sie" sagte, war das schon der Beginn eines
Gewitters. Er hing unzertrennlich an mir, und es gab große Szenen, als ich schließlich doch den
Abschied erbat.
Überhaupt ist fast immer der Diener derjenige Teil, der die Trennung anregt. Manchmal
spielt dabei der Lebenswandel des Herrn eine entscheidende Rolle. Die Vergnügungen, deren
der Diener Zeuge wird, auch wenn er, wie sich das von selbst versteht, im rechten Augenblick
wegsieht, stellen gelegentlich doch eine übermäßig starke Belastung für den Angestellten dar.
Wenn er aber auch auf diesem Gebiet zum Raterteilen herangezogen wird, so kann er häufig
genug einen guten Einfluß ausüben. Der Satz: „Das ist nichts für uns, Herr Baron", kommt
nicht nur auf der Bühne vor.
Die Zeiten haben sich gewaltig geändert, die Herrschaften auch — aber die guten Kammer-
diener sind dieselben geblieben.
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