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Galerie Flechtheim [Contr.]
Der Querschnitt — 12.1932

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https://doi.org/10.11588/diglit.73728#1120
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Käte von Porada, Mode in Paris (Frankfurter Sozietäts-Verlag).
Mode gehört auch zum Thema der Ehe. Kleider machen nicht nur Leute. Sie er-
wecken Gefühle, sie töten Gefühle. Sie gehen in gutem und in bösem Sinne auf die
Nerven. Die Mode spielt eine große direkte Rolle im Leben der Frauen — und
eine mindestens ebenso große, indirekte Rolle im Leben der Männer. Aber Mode
in Paris, das ist ein Kapitel für sich. Diesmal ist es sogar ein Buch für sich. Das
ernste, inhaltsreiche Buch einer klugen und feinfühligen Frau. Der Begriff Pariser
Mode zaubert immer eine leichte, bebänderte Atmosphäre vor. Und ist doch im
Grunde so ernst wie Kohlengruben und Ackerbau. Denn von dieser Pariser Mode
leben Riesenindustrien, leben viele Hunderttausende von Menschen. Käte von Po-
rada hat die großen Schneider und die kleinen Schneidermädchen beobachtet. Sie
lebte eine Weile das Leben hinter den Kulissen der Mode mit. Sie beschreibt die
eiserne Disziplin, die bis ins kleinste aufgebaute Systematik der Lehrjahre. Die
kleine Arbeiterin wird nicht von heute auf morgen die große Directrice. Fein beob-
achtet die grundlegende Eigenschaft, die das hohe Niveau der arbeitenden Pariserin
erzeugt: die „conscience professionelle" — das Berufsgewissen. Ueber allem schweben
die Könige von Gottesgnaden, die Einmaligen, die „grands conturiers". Die Männer,
deren Macht keine Grenzen kennt. (Nur Zölle...) Dieses Buch enthält, neben
vielem sachlich Interessanten, amüsante Details über große Schneider und große
Kunden. Und über die ungeheure Nervosität, welche die Luft der berühmten
Schneiderateliers erfüllt. Anita
Claire Goll, Ein Mensch ertrinkt. (E. P. Tal & Co., Verlag, Wien.)
Die Modeschriftstellerin Claire Goll schreibt einen handfesten Roman über die „Lei-
den der Kreatur". Eine selbst-retterische Tat. Jeder Satz läutet Sturm. So stark
ist die seelische Reaktion dieser Künstlernatur, daß Zola manchmal übertrumpft
wird! Alle Luxusstätten, die Claire Goll besuchen mußte in ihrem Dienst an der
Mode, sind umgewandelt in Leidensstationen des weiblichen Geschlechtes. Alle Plau-
der-Gespräche gehärtet zu naturalistischen Derbheiten. Und alle Mondänen der
großen Schneiderateliers verhext in ein kleines Pariser Dienstmädchen. Diese Heldin
trägt ein Leidenspaket, das, einzeln verteilt, für zehn Dienstmädchen reichen würde.
Damit fällt der Roman aus der Sphäre des Typischen ins Nur-Individuelle. Der
tendenzstarke Stoff verliert die kämpferische Spitze. Vielleicht nicht ohne Absicht.
Claire Goll lebt in Paris. Sie schreibt in deutscher Sprache. Das französische Publi-
kum, das dieser Dienstboten-Roman aufrütteln könnte, liest keine deutsch geschriebe-
nen Romane. Deutschland hat „Hausangestellte", die keine literarische Hilfe mehr
brauchen. So bleibt: das künstlerische Porträt einer primitiven Seele inmitten ihrer
tragischen Lebensluft. Ilse Linden
Bertrand Russell. Ehe und Moral. Eine Sexualethik (Drei-Masken-Verlag).
Onkel Russel gehört zu jenen wenigen Sozialpädagogen, deren Lehren nicht wie
Predigten wirken, sondern wie freundliche Feuilletons. Das bedeutet, daß man sie
lesen kann, ohne sie beherzigen zu müssen. Was wiederum zur Folge hat, daß man
sie beherzigt. Seine Sexualethik ist ein gescheites Kompendium aller Ehefragen,
nicht der trivialen, sondern der ewigen, von denen letztlich das Glück des kurz-
lebigen Menschen abhängt. Sein Buch ist nicht nur gescheit und gebildet, sondern
auch von einem ernsthaften Witz diktiert, und wie zum Beispiel das Kapitel über
die Bedeutung der Liebe im menschlichen Leben erweist, von wirklicher Wichtigkeit.
— Weniger originell und doch erbaulich, von volkstümlichem Zuschnitt, sein neues Buch
Schlüssel zum Glück (Ein Versuch zu besserer Lebensgestaltung), im selben Verlag er-
schienen. Jedenfalls hat Russell was zu sagen, und somit der Leser was zu lernen. IV.
Verantwortlich für die Redaktion: Victor Wittner, Berlin - Charlottenburg.
Verantwortlich für die Anzeigen: Herbert Kraus, Berlin. — Nachdruck verboten.
Verantwortlich in Österreich für Redaktion: Ludwig Klinenberger, für Herausgabe: Ullstein & Co.,
G. m. b. H., Wien I, Rosenbursenstraße 8. — In der tschechoslowakischen Republik: Wilh. Neumann, Prag.
Der Querschnitt erscheint monatlich einmal und ist durch jede Buchhandlung zu beziehen; ferner
durch jede Postanstalt, laut Postzeitungsliste. — Redaktion: Berlin SW.68, Kochstraße 22-26.

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