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Reinhardt, Robert
Die Gesetzmässigkeit der griechischen Baukunst (Erster Teil): Der Theseustempel in Athen — Stuttgart, 1903

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https://doi.org/10.11588/diglit.5245#0014
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DER THESEUSTEMPEL IN ATHEN.

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Architravs sich ableitenden Abmessungen für die Triglyphen,
die Tropfenleisten und die Tropfen, wie auf Tafel XII dar-
gestellt, sich nicht verändern, und dementsprechend ist auch die
Abmessung des Abakus an seiner Oberkante dieselbe wie auf
den Schmalseiten = 1,14225 m.

Die kleine Engerstellung der Säulen kommt dagegen da-
durch zum Ausdruck, dass die untere Kante des Abakus der

1 / 2,583 \

Regel entspricht und sich berechnet auf — I—'------f- 0,9735 I

= 1,1325 m, so dass die Flächen des Abakus leicht einwärts
geneigt sind. Die Abweichung von der Senkrechten beträgt

i,i4225— 1,1325

— = o,oo5375 m. Diese kleinere Abmessung

der Platten am unteren Ende erfordert, da die Höhe des
Abakus sowohl als die Gesamthöhe des Kapitells gleich sind
wie an den Kapitellen der Schmalseiten, einen etwas niedrigeren
und weniger ausladenden Echinus.

Wie aus Tafel XIII ersichtlich, ist hier der Echinus nur
o,i63375, wodurch bei den gleichbleibenden übrigen Beziehungen
der Echinus auch einen etwas kleineren unteren Durchmesser
erhält. Diese Tafeln XII und XIII geben genaue Auskunft
über die weitere Ausgestaltung des Kapitals und des Gebälks
der Langseiten.

Die Anordnung des Postikums und der westlichen Ring-
halle schliesst sich im allgemeinen ganz den Vorgängen der
Eingangsseite an. Da aber die Anten und Säulen hier keine
achsialen Beziehungen zu der äusseren Säulenstellung der Lang-
seite haben wie beim Pronaos, so ist das über Anten und
Säulen des Postikums gelagerte Gebälk nur in der Breite des
Postikums durchgeführt, und haben die Anten gegen die Lang-
seiten nur schmale Ansichtsseiten, über welche sich Architrav
und Fries gegen den glatten durchlaufenden Mauergrund der
Cella verkröpfen.

Darüber ist in etwas unvermittelter Weise für das Auf-
lager des letzten ganzen Deckenbalkens ein breiter Unterlags-
balken bis zum äusseren Gebälk gelegt, eine Breite, die sich
aus der Einteilung der Deckenbalken des Umgangs der Lang-
seiten, wie sie im Grundriss auf Tafel I dargestellt ist, ergibt.
Bei der geringeren Tiefe der westlichen Ringhalle wie des
Postikums sind, wie schon früher angegeben, die Abmessungen
der Deckenbalken in der Breite etwas geringer als auf der
(Xstseite.

Die Cella selbst ist bekanntlich ungeteilt, bei der lichten
Weite von nur 6,918 m erforderte die zweifellos aus Holz
erstellte Abdeckung des Raums keine Unterstützung durch
eingestellte Säulenreihen.

Ein weiteres Eingehen auf die Gestaltung der Verhältnisse

der Innenräume wird daher besser einem Beispiel vorbehalten,
welches die Anordnung der Teilung der Cella aufweist, wie
solche der Poseidontempel zu Pästum in besterhaltener Weise
aufweist.

Die vorliegende Arbeit, das Ergebnis mehrjähriger mühe-
voller Studien, hat somit in unwiderlegbarer Weise erwiesen,
dass zunächst an diesem der Blütezeit der griechischen Kunst
zugehörenden Monument der dorischen Stilweise, dem Theseus-
tempel in Athen, die Plandisposition sowohl als der ganze
äussere und innere Aufbau von dem Baumeister des Werks
mit einer strengen Gesetzmässigkeit geplant und ausgeführt
wurde, welche für unsere modernen Begriffe in unglaublicher
Konsequenz alle Teile des Baus gleichmässig umfasst und
geradezu die ganze architektonische Ausgestaltung bedingt.

Dass dieser Vorgang nicht vereinzelt nur am Theseus-
tempel angewendet worden ist, beweist schon die an allen
dorischen Monumenten übliche und so eigenartige Konstruk-
tionsweise der Sockelplattenschichte der Cellamauern, deren
Oberkante, wie wir gesehen, die Grundlage des ganzen Systems
der Gesetzmässigkeit bildet, und anderseits kann ein so eigen-
artiges und über alles sich erstreckendes System sich nur auf
Grund einer jahrhundertjährigen Tradition entwickelt haben.

Dass aber ferner diese Gesetzmässigkeit sich nicht nur
auf die dorische Bauweise erstreckte, kann schon damit
konstatiert werden, dass in der griechischen Baukunst eine
innige Verbindung der dorischen und ionischen Bauweise an
ein und demselben Monument mehrfach üblich war, sei es,
dass, wie an dem Propyläon in Athen, die grössere Torhalle
des im Äusseren in dorischer Stihveise erstellten Baus durch
Einstellung von ionischen Säulen dreigeteilt wurde, sei es, wie
am Apollotempel zu Bassä, dass die Cella des Tempels in
ionischer Weise ausgebildet worden ist, während solcher im
Äusseren als dorischer Peripteros erscheint, oder dass an den
zweigeschossigen Hallen das Untergeschoss in dorischer, das
Obergeschoss aber in ionischer Ordnung ausgeführt worden
ist. Dass hier an diesen Werken in gemischter Bauart eine
gleichmässige, einheitliche Gesetzmässigkeit zur Ausführung
gelangen musste, ist selbstverständlich.

Diese traditionelle Gesetzmässigkeit der griechischen Bau-
kunst ist aber, wie die grosse Verschiedenartigkeit der Aus-
bildungsweise der Monumente der einzelnen Entwicklungs-
perioden zeigt, nicht gleichmässig und schablonenhaft von der
ältesten Zeit bis zur spätgriechischen Kunst angewendet worden,
und die Ergründung des Entwicklungsgangs der Gesetzmässig-
keit wird uns erst ein klares und richtiges Bild der ganzen
griechischen Baukunst geben.

Mit vorliegender Arbeit ist der Weg hiezu gewiesen.
 
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