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Repertorium für Kunstwissenschaft — 9.1886

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Dahlke, Gotthilf: Romanische Wandmalerei
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https://doi.org/10.11588/diglit.66023#0194
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G. Dahlke:

hohe, nach oben verjüngte Thürme eingefügt, aus denen die Symbole der
Evangelisten mit menschlichen Gliedern und doppelfarbigen Flügeln sich er-
heben, um mit emporgestreckten Händen den Bogen des Himmelsgewölbes zu
stützen. In diesem Mittelfelde thront der Heiland mit gekreuzten Füssen, seg-
nend ausgestreckter Rechten und dem Evangelium in der Linken über der
häuser- und tempellosen Stadt. Das bleiche, von braunem Bart und reichem
Haar beschattete Gesicht trägt in den hagern Wangen, dem tiefernsten Munde
mit hoher Oberlippe und dem starren Blick der dunklen Augen keinen milden,
keinen gewinnenden Zug; dagegen überrascht der Faltenwurf des rothen Man-
tels, der sich lose auf die linke Schulter legt und straffer vor der Brust, wie
an dem rechten Schenkel zusammenzieht, durch Feinheit und Natürlichkeit.
Den Eingang zu dem Wohnsitz der Gerechten bilden auf jeder Seite drei
aneinanderstossende Thore, hinter deren runden, in der Mitte erhöhten Bögen
statt der Engel, welche das Auge des Evangelisten an dieser Stelle erschaute,
drei Apostel unter offenen, auf Säulen oder Pfosten ruhenden Baldachinen
als Wächter der Pforte sichtbar sind. Im Osten Petrus mit dem Doppel-
schlüssel, zwischen Andreas und Bartholomäus, die ihr Haupt in leichter Wen-
dung nach dem Führer neigen und ein Buch — mit dem Andreaskreuze auf
der Aussenseite — in Händen halten. Des Apostelfürsten würdig aufgefasster,
durch dichtes, ergrauendes, auf die breite Stirn gestrichenes Haar, grosse leuch-
tende Augen, eine schnittig schmale Nase und den kurzgekräuselten Vollbart,
individualisirter Kopf scheint übersinnlicher Offenbarung zu lauschen und ebenso
aufmerksame Spannung durchdringt die Mienen der Genossen, von denen An-
dreas durch die Silberfarbe des Haupt- und Barthaars' als ehrwürdiger Greis
bezeichnet ist, Bartholomäus in dem männlich kräftigen Gesicht mit tiefen
Augenhöhlen grösseren Ernst der Seelenstimmung enthüllt. Jeder hat den
Mantel über die linke Schulter gebreitet, so dass die Stola der halbweiten
Aermeltunica auf der rechten Achsel sichtbar bleibt: die unteren Glieder werden
von dem Thorgemäuer verdeckt.
Gegenüber behauptet Paulus neben Thomas und Mathias den Ehrenplatz
über dem mittleren Portal. Durch die hochgewölbte, kahle Stirn, das braune,
an den Schläfen glatt gestrichene Haar und den kurzen, ergrauenden Vollbart
von dem spätem Typus des tarsischen Jüngers unterschieden, in den leuch-
tenden Augen und dem kleinen, verständigen Munde nicht ohne geistige Be-
deutsamkeit, spiegelt Paulus eine Festigkeit des Willens und der Ueberzeugung,
welche den knabenhaft weichen Zügen Mathias’ zu seiner Rechten, wie der
fragenden Miene des Zweiflers fehlt, bringt aber durch die mächtige Kugel der
Stirn einen unschönen Gegensatz in das zugespitzte, hagere Gesicht. In der
Blüte des Mannesalters tritt Thomas durch die gefällige Form des Kopfes und
den dunklen Bart vortheilhafter als die Figur des schwächlichen Genossen
mit glattem Antlitz, spitzem Kinn und kleinem Munde in das Licht und diese
Altersunterschiede, sowie der Wechsel in dem Wurf des Oberkleides, in Kopf-
und Handbewegung, mildern die Einförmigkeit des Attributs und der schmuck-
losen Tracht.
Im Süden gesellen sich Jacobus major und Mathäus, jener mit kantiger
 
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