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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Editor]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 4.1902

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Klein, Rudolf: Berliner Brief
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https://doi.org/10.11588/diglit.49103#0075
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Man sieht im Salon Cassirer stets gute Sachen von
Max Liebermann, und von den jüngeren deutschen
Künstlern, die er in letzter Zeit ausstellte, seien Slevogt,
Leistikow, Hübner, Hanke genannt. Max Liebermann
steht nach wie vor an der Spitze der Berliner Impressio-
nisten. Er hat sich mit grosser Zähigkeit bis auf seine
heutigen, nicht mehr jungen Tage gehalten. Er ist
sich treu geblieben und künstlerisch ,oben4 geblieben
und hat eine Entwicklung hinter sich. Wir sahen im
Lauf der Zeit im Salon Cassirer Sachen von ihm, die
noch aus seinen frühen Anfängen rührten und wie die
ersten Courbets noch in tiefes Braun getaucht sind. Wir
sahen Sachen aus seiner besten Zeit, in der er mit
seltener Meisterschaft, wie in seinen Amsterdamer
Waisenhausbildern, das Sonnenlicht auf die Leinwand
zwang. In der letzten Zeit gab er meist kleine geistreiche
Improvisationen, die aber nie ohne Reiz, nie ohne Interesse
für den Beschauer. Man kommt bei ihm nie in die Ge-
legenheit, ein Schwanken zu konstatieren, wie dies bei
jüngeren so häufig der Fall ist. Z. B. bei Leistikow.
Dieser Künstler hat einmal einen guten Herbst und einmal
einen schlechten. Er begann als Naturalist, geriet ins
Stilisieren, höher und höher, bis seine Bilder sich von
einer Tapete nicht mehr viel unterschieden. Mir waren
diese Bilder recht sympathisch, denn sie waren mit Scharf-
sinn konsequent durchgeführt. Waren etwas Geschlossenes,
ein Ganzes. Doch nicht angenehm berührte es den
Kunstfreund, den Künstler dann schwanken zu sehen.
Heute sind Leistikows Bilder meist ein Gemisch von
impressionistischer und dekorativer Kunst und am sym-
pathischsten, so das erste Element überwiegt. Denn das
Dekorative macht ein Bild trocken und fade, wenn es
nicht reiner Selbstzweck ist. Man hat dann die Empfindung,
der Produktion eines gewandten Pinsel-Gymnastikers zu-
zuschauen, der ,so4 kann aber auch ,so‘. Und unter
diesem ,Können4 geht der intime Zauber verloren, der den
Künstler zur Produktion lockte und beseligte, während er
schuf, es bleibt mehr nur der gewandt behandelte Gegen-
stand übrig, der an sich nicht Reiz genug ausstrahlt. Das
empfand man vor so manchem der letzten Grunewald-
Bilder dieses talentvollen Malers.
Ein Maler, der nur um der Lust des Tons willen
Farben auf die Leinwand streicht, und zwar mit der deut-
lich sichtbaren Wollust, die etwa einen Manet hierzu
verführt haben mag, ist Hanke. Was ich bei ihm ver-
misse und auch, wenn auch nicht in dem Maasse, bei
dem schon viel kräftigeren so doch nicht so delikaten
Slevogt, ist das Vermögen einer gewissen Vollendung.
Man vermisst etwas. Diese Bilder scheinen alle etwas in
der Anlage stehen geblieben. Das lässt man sich ein-,
zweimal gefallen, doch der Künstler darf nicht in diesem
Zustand verharren. Bei Hübner, der sich aus recht be-
scheidenen Anfängen überraschend entwickelt hat, trifft
dieser Vorwurf nicht zu.
* *
*
Der Salon ,Keller und Reiner4 verhielt sich, was
bildende Kunst anbelangt, in den frühen Wintermonaten
ziemlich still und pflegte in erster Linie seine Haupt-
domäne, die angewandte Kunst. Für alle neueren
Kleinkünste jeglicher Art ist er heute in Berlin wohl die
beste Bezugsquelle. Das In- wie Ausland ist auf diesem
Gebiet stets gleich gut vertreten.
Eine bemerkenswertere Ausstellung war die der Mün-
chener Künstlergruppe ,die Scholle4, und in ihr fiel vor-
nehmlich Erlers Bild die ,Pest4 auf. Wer dies Werk
aus der Jugend4 kannte, war ein wenig enttäuscht, es hier
in so grossem Format zu sehen. Das Bild ist gut erfunden,
und mit unheimlicher Wucht schreitet das vernichtende
Weib über den entvölkerten Marktplatz der Stadt, aber es
wirkte dennoch leer, weil es in rein technischer Beziehung
leer ist. Es ist ein arges Missverstehen dieses und anderer
Künstler, zu glauben, es genüge, ein dekoratives Bild wie
ein Plakat anzustreichen. Die grossen Kunstwerke müssten
in jeder Beziehung gleichwertig sein. D. h.: schneide
ich ein Stück aus einem Rockärmel, so muss dieser Aus-

schnitt rein stofflich betrachtet noch ein Kunstwerk sein.
Der norwegische Bildhauer Sinding ist ein langweiliger
Herr. Das zeigte er sowohl mit seiner überlebensgrossen
Gruppe ,Mutter Erde4 wie mit den Statuen der Dichter
Ibsen und Björnson. Weder ist seine Auffassung tief noch
seine Technik pikant. Pikant ist der russische Bildhauer
Trubetzkoi. Er ist pikant, aber auch nicht tief, denn
pikant ist nicht nur seine Technik, auch seine Auffassung.
Und dann hat das Wort anderen Sinn. Er scheint ein
reizvoller Illustrator der Skulptur. Er skizziert uns
elegante kleine Damen mit all jener Charme, mit der
etwa, in einer glücklichen Stunde, unser Recznicek die
verführerischen Reize weiblicher Frou-Frou’s aufs Papier
wirft. Während Medardo Rosso das Prinzip Rodins, aus
dem Block zu arbeiten, den Eindruck des Blocks zu
wahren, noch übertreibt. Kaum, dass man die Bewegung
bei ihm ahnt. Seine Figuren scheinen alle wie Betrunkene
infolgedessen zu torkeln.
Und dann, in diesen Tagen, sahen wir bei ,Keller und
Reiner4 die drei Berliner Künstler Brandenburg, Baluscheck
und Ludwig von Hofmann. Dieser Baluscheck ist ein
interessanter Mensch. Ich sah einen simplen Spiessbürger
vor den Bildern stehn und hörte ihn sie loben. Das
wunderte mich sehr und freute mich doppelt. Denn
Baluscheck ist ein Künstler, auf den die Worte des Kaisers
passen, als er von jenen sprach, die das Hässliche suchen
und noch übertreiben. Die meisten, die beim Kaiser in
diesem Verdacht stehen, thun dies freilich nicht. Baluscheck
thut es, mit Absicht. Denn sein Studienfeld ist das
dunkelste Berlin NO. Er tritt an dieses Milieu heran
mehr mit dem Interesse des Litteraten, denn aus rein
malerischen Absichten, über die er noch dazu in nicht
allzu starkem Maasse verfügt. Deshalb wollte ich, er
zeichne diese Sachen, statt sie in grossem Format zu
malen. Seine etwas unbeholfene Malweise ist diesen
Stoffen nicht gewachsen. Ja, malte er in der geistreich
skizzierenden Art des Parisers Raffaeli! Ich sagte also,
dass er das Hässliche sucht, findet und übertreibt. Er
kennt sein Berlin, kennt diese Leute, kennt sie in allen
Situationen, die Weiber beim Kaffeeklatsch, die Männer
im Kriegerbund, hinter dem Sarg der Selbstmörderin den
einsam Hinterbliebenen, die Chansonette in der rauchigen
Schenke etc. etc. Es ist ein wenig erfreuliches Bild, das
dieser Künstler vor uns aufrollt, aber wieviel künstlerischer
Ernst, wieviel Idealität gehört dazu, dies zu malen, weil
der Künstler fühlt, er muss es malen, statt mit erlogenen
Sachen nach feilem Eintagsruhm und Erfolg zu haschen.
Ja, in dieser Kunst steckt noch mehr, wie nur das Interesse
des Litteraten, der psychologisch ein bestimmtes Milieu
zerlegt, es liegt eine Schwermut über manchem der Bilder,
unter der die Liebe glimmt wie ein Funke unter nasser
Asche . . .
Für die Märchenbilder des Brandenburg habe ich
wenig Verständnis. Sie sind mir nicht einfach genug.
Ich möchte hiermit nicht gegen diesen Künstler sprechen,
vielmehr ihn für sich selbst sprechen lassen.
Zum Schluss ein Bild von Ludwig v. Hofman. Eine
grosse dekorative Leinwand. Für Hamburg bestimmt, wie
man sagt. Als ich von oben herab das Bild hinten im
letzten Saal an der Querwand hängen sah, fühlte ich
etwas von dem, das man im ersten Augenblick vor grossen
Kunstwerken empfindet. Dann mässigte sich das Ent-
zücken. Aber der Eindruck blieb doch ein guter und
starker. Es ist eben ein dekoratives Bild. Überraschend
und zwingend ist die Raumwirkung der Landschaft ge-
staltet. Ein See, von Bergen eingeschlossen, im Vorder-
grund eine Wiese mit tanzenden Mädchen. Echt Hof-
mansche Menschen. Sie leben und sind doch nicht alle
Fleisch und Blut, haben keine Schicksale. O, dass Feuer-
bachsche Frauen in dieser Landschaft wandelten, die bei
allem Frühlingsschimmer ein leiser Ton herbstlicher
Trauer durchzittert, ja Frauen aus den Bildern des Feuer-
bach, denn die Gruppe links, die uns zu nahe gerückt ist,
als dass wir noch an ihr elfisches Dasein glauben möchten,
wirkt zu bürgerlich. Aber immerhin: eine respektable
Leistung. Rudolf Klein.

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