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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Editor]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 5.1902/​1903

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Heft 3
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Bosshart, Jakob: Salto mortale, [3]: Novelle
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https://doi.org/10.11588/diglit.45536#0138
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sie den schmollenden Leinz versöhnt und mehr
als versöhnt.
„Wir müssen Zusammenhalten, Kameraden
werden und preundsckalt schliessen." T^ber sie
verstancl clie preundsckaff aus ihre Weise. 8ie
war trotz ihrer fugend eine kleine, launische
l^rannin; clurck das Wanderleben krühreis uncl
selbständig geworden, brauchte sie jemand, aus
clen sie ihren niecllichen 8ei1tänzersckuk setzen
konnte, uncl dazu schienen ikr clie clummen
pratelü 2obelü wie geschaffen.
freilich mit pranz trieb sie ihr 8piel nickt
lange. Wenn sie ihn in ihrer herzlosen Lerrsck-
suckt zu einem Knechtlein kerabclrücken wollte,
steckte er die Hände in seine Klosentaschen und
sah sie mit seinen glänzenden braunen Trugen
so störrisch und verächtlich und doch wieder
so gutmütig an, dass er ihre lächelnde Loskeit
entwaffnete, Lie ging er ihr nach — denn er
hatte an seinem Lruder genug — sondern liess
sich von ihr suchen, und so wurde sie, säst
ohne es zu merken, die lVlagd des kleinen jungen,
stets bereit, ikn zu hätscheln und zu liebkosen,
ihre Launen den seinigen unterzuordnen.
Dafür entschädigte sie sich an Leinz, mit
dem sie spielte, wie mit einem Lall: man
schleudert ihn weg, fängt ihn mit freudigen
Länden auf, wirff ihn abermals von sich, lässt
ihn verächtlich in einen Winkel rollen und dort
liegen, oder trägt ihn sorglich wie eine puppe
mit sich herum.
Oer gutmütige ^unge litt bei diesem Lall-
spiel mehr, als er merken liess, und dock ver-
mochte er sich davon nickt dauernd zu be-
freien, es fehlte ihm etwas, wenn in den spär-
lichen Lrkolungsstunden, da er wieder ein Kind
sein durfte, wie einst im ,,8ack", der kleine
leufel mit dem plackskaar, den neckischen
blauen Trugen, den zierlich trippelnden pütsen
und den schmalen, langen Länden, die gleich
gut streicheln und schlagen konnten, den tausend
unerwarteten Pinfällen, nickt um ikn war; und
lieber noch lief« er sich plagen und foppen, als
dass er den (Quälgeist entbehrte. Lnd dock
fürchtete er Lianca im Orunde seines Lerzens,
okne dass der Lubenstolz es sich selber ein-
gestanden hätte. Lr hatte eine heimliche T^ngst
vor der Land, die mit Losen umging, wie mit
8teinen. Zuweilen, wenn sie. ikm gar weh
getkan hatte, latste er den pntsckluls, sie für
immer zu meiden, und dann konnte er ikr ff'age,

eine ganze Woche lang trotzen, T^ber sie ruhte
nickt, bis sie ikn auch in so hartnäckiger Wider-
spenstigkeit gezähmt hatte, sie lief« vor ikm
alle ihre Teufeleien los, schnitt komische Pratzen
und lauerte auf ein Lächeln um seinen lVlund;
sie sang unter seinem penster oder vor seiner
ff'küre unermüdlich das einzige Lied, das sie
ordentlich gelernt hatte:
„1?rsu unä ksrsinnixlick, irobirt Eclair,
l'anssnärnal §rüss ieli äick, liobin ^.äair."
pmpfand er den Zauber der weichen IVlelodie
oder sprachen die schmeichelnden Worte zu
seinem Lerzen? I'katsacke ist, dals er dem
Liede nie lange widerstehen konnte. Wokl war
ikm mit seinen zehn fahren die Liebe noch
fremd, aber was sich im Jüngling zur Liebe
entwickelt, lag als Leim in ikm und begann
sich quälerisch zu regen und unterstützte Lianca
in ihrem Treiben.
^.n einem Lerbstregentag stiess Leinz in
dem düstern plur des Wirtshauses auf die
Kameradin, die mit ikrer grossen prächtigen
puppe spielte, oder vielmehr sie fast beständig
abdrosck, denn -Mütterchen" war in gar übler
Laune und das „Kind" hatte den 'protz, auf
einem gespannten 8eil nickt stehen zu wollen.
Leinz langweilte sich und hätte gern als würdiger
Papa an dem 8piele teilgenommen.
„Willst du eine 8eiltänzerin aus ikr macken?"
fragte er, nachdem er ihrem l'reiben eine gute
Weile zugesehen hatte.
„lVlöcktest du sie etwa in die Lekre nehmen?"
gab sie schnippisch zurück.
„Lein, wir können keine lVlädel brauchen!"
lackte er.
,,^ka, du bist besser wie die lVlädel?"
8ie warf ihre puppe auf den plur, stellte
sich dickt vor den jungen kin und sann einen
Augenblick. Oann sagte sie langsam:
„Wem Kat man gestern mehr geklatscht,
dir oder mir?"
pr sak ikr an, dats sie eine Loskeit auf ikn
absckielsen wollte, und erwiderte verlegen: „Das
weiss ick nickt."
„Das weifst du nickt? Oock das weifst du!"
Lnd sie kng an vor ikm zu tänzeln wie auf dem
8eil, wobei sie ihre steckenden Lücke wie eine
8cklange auf ikn gekettet liets. Lr wollte gehen,
sie vertänzelte ikm den Weg und wiederholte
ihre Krage: „Wem Kat man mehr geklatscht,
dir oder mir? dem Luken oder dem lVlädel?"

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