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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 8.1904

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Heft 8
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Schäfer, Wilhelm: Ferdinand von Saar
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Hesse, Hermann: Anemonen
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https://doi.org/10.11588/diglit.19988#0096

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ßerdmand von Zaar.

er in der gemessenen Whle, in der sast nüchternen
Zachlichkeit dieser Zprache die seine künstlerische
Arbeit entdeckt.

Nan hat vom Dichter gern die Vorstellung eines
Seuerwerkes, das aus sich heraus die ßunkenreihen
in den Himmel lodert: an eine besonnene Hand,
die Wort aus Wort gleich Rarten ausgibt, denkt
man selten, und noch weniger an eine Aeele, die sich
leichter mit einem Acherzwort aus gepreßtem Herzen
um ein Lebensglück bringt, als daß sie etwas aus
sich verrät, in dcr Zorge, vor dem Pöbel in schlechter
Haltung dazustehen.

was wir von der Persönlichkeit dieses alten kserrn
in seinen Geschichten entdecken, in den Bemerkungen,
die hier und da ganz nebensächlich einfließen, in
den Problemen und Gestalten, die er bevorzugt:
das ist ein seines Lächeln um einen Nund, der in
jeder Lebenslage Herr seiner Worte bleibt, nnd ein
milder Blick der scharfen Augen, die sich auch
hinter den Vorhängen des Welttheaters nicht den
Seschmack an den Ztücken verdorben haben. Hast
nebensächlich, als Reiseerlebnis, als Lrzählung eines
Hreundes wird irgend ein Zchicksal aufgedeckt, immer
so, daß die Arinnerung schon um alle Hestig-

nenwnen.

Von Hermann Hesse.

Aennt ihr den Hrühling von ßlorenz? Wenn
am Viale die Rosen zu knospen beginnen? Wenn
die weichen Hügel hinan die zärtliche lichte Röte
der Vbstblüte fließt? Wenn Zchlüsselblumen und
gelbe Narzissen die fröhlichen Mesen ganz mit Told
überdecken?

H, das ist schön! Diese Lage, da die schwarzen
Zypressen sich in ersten warmen Lüften wiegen!
Viese heißen Mttagsstunden im April, ivenn die
Nauern der Hügelpsade leis zu glühen beginnen
und die erste warme Rast auf durchsonnten Zinnen
winkt! Wie dann die Lrde sich reckt und glänzt;
wie da die fernen Lerge immer blauer und sehn-
licher herüberstreben, bis euer Herz voll treibend
süßen Wanderfiebers wird!

Über Hiesole leuchtete ein Aprilmittag, sonnig
heiß, mit blank befiederter Bläue. Veilchenmädchen
lärmten in den Sassen, farbig gekleidete Zremde
trieben sich im römischen Lheater herum. In dem
warmen, steilen Lträßchen, das von der Piazza
zum Aloster führt, saßen Ztrohflechterinnen und
arbeiteten im ßreien. An der Aussichtsbank war
allerlei Leben. Rinder — viele blonde darunter —
lagen und spielten im Gras, jeden Augenblick bereit,
aufzuspringen, wehmütige Tesichter zu machen und
zu betteln. Lin paar Hausierweiber mit Ltroh-
waren standen erwartungsvoll dabei, und hart an
der Alauer hatte ein hübscher Bursche sein ßernrohr
ausgestellt, durch welches man für zwei Zoldi jedes
Haus von Hlorenz bis zur Torre del gallo sehen
kann. Die schöne Zwillingszypresse umströmte leis
ein wohlig warmer Wind.

keiten ihre zarten Kewebe gelegt hat: wir sehen es
gleichsam nicht selbst, sondern nur den Lindruck,
den es damals machte. Die Welt hat unterdessen
ihr Luch weiter gesponnen und es wird auch weiter
ein ganz brauchbares Tuch bleiben: es war nur
ein schlimmer Rnoten, in den ein paar Käden sich
verwickelten.

„Dissonanzen", die kleine Lkizze aus „Lumeru
obsour-i", gibt mehr als sonst den Dichter selbst,
wie er aus einer ruhigeren Aeit gewachsen spöttisch
inmitten unserer Aufregung steht. Zie spinnt keine
besondere Handlung aus, wie sie der Dichter
liebt, steht also uur deshalb au dieser Ltelle, um
zu der Persönlichkeit dieses alten Herrn Vertrauen
zu gewinnen. Wer ihn erzählen hören,will, der
nehme seine beiden Bände „Novellen aus Dsterreich"
(Verlag Teorg Weiß, Nassel) zur Hand. „Zelig-
mann tzirsch", „Leutnant Burda", „Tineva", das
sind LNeisterstücke der Lrzählung, die noch erfreute
Leser finden werden, wenn die „moderne" Literatur
mit dem modernen Teist veraltet sein wird. Nament-
lich „Leutnant Burda" reicht in der knappen, sach-
lichen Lntwicklung an die Höhe des „Nichael Rohl-
haas" heran. 8.

Vom Rloster herab kam ein junger Deutscher
gegangen. Alles an ihm war Kreude und Be-
geisterung, sein Kang wiegte sich freudig, feine
Angen glänzten, seine Arme waren in erregter Le-
wegung. Ls ist nicht anders, wenn ein junger
Nordländer zum erstenmal Hiesole im ßrühling
sieht. Ihr könnt ihm ansehen, daß er an Lorenzo
den Prächtigen, an Iakob Burckhardt und an
Böcklin und zugleich mit halbem Witleid an die
serne tzeimat denkt. Nun tritt er mit beiden Hüßen
das Land, von dem er seit Rnabenzeiten gehört
und geschwärmt hat! Nun liegt zu seinen Aüßen
Klorenz, die Heimat der Runst, und rings um-
drängen ihn Hügel, Villen, Kärten mit ihrer großen
Geschichte und ihrer großen Lchönheit.

Lr fühlt, daß er noch nicht in die Ltadt zurück-
kehren und heute überhaupt nicht arbeiten darf.
Zo ein Tag ift einzig zum Wandern da. Also
schlendert er durch Siesole, kauft Drangen und
schlägt den Höhenweg nach Zettignano ein.

Ls lohnt sich wohl, im Krühjahr diesen Weg
zu gehen. Me Ztadt verschwindet, man sieht bald
weder Häuser noch Nenschen mehr, nur bunte
Nähen, ergrünende Helder, satte wiesen und ernste
schöne Bergzüge, dazwischen einsam und grau das
sonderbare Zchloß Vincigliata in seinem dürren
jungen Nadelwald. Tem wanderer war in der
Zeele wohl; jeder blühende Baum erfreute ihn, und
jede am Hügelkamm austauchende Zypresse ent-
zückte ihn durch ihr energisches Lmporlodern und
ihre klassische Lilhouette. Tas Lchönste aber sah
er zuletzt.

Das waren die Anemonen. Lie sind sreilich
nichts eigentlich Loskanisches, man findet sie überall,
aber fie gedeihen hier besonders üppig und sind

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