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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 8.1904

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Heft 8
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Saar, Ferdinand von: Dissonanzen: Eine Geschihcte aus Österreich
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Schäfer, Wilhelm: Ferdinand von Saar
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https://doi.org/10.11588/diglit.19988#0095

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Difsonanzcn.

und bald war alles mit lauten Tutenachtrusen in
den weitläufigen Rorridorcn des Lchlosses ausein-
andergestoben.

Der Hofmeister aber wollte es sich nicht nehmen
lassen, den Doktor nach seinem Zimmer zu geleiten.
Lr hatte die Brust zum Zerspringen voll; er wollte
etwas sagen, brachte aber kein Alort hervor. Da-
bei hosste er, daß der Doktor zu ihm sprechen, ihn
vielleicht ausfordern werde, noch ein wenig bei ihm
einzutreten. Aber es geschah nicht. Der andere
reichte ihm an der Zchwelle zremlich kühl die Hand
und sagte bloß: „Also aus RAedersehen — morgen
beim Srühstück."

Raum im Zimmer, machte der Doktor seiner
inneren Lrregung dadurch Lust, daß er deu großen
getäselten Raum nach allen Richtungen hin sehr
geräuschvoll durchmaß. Den eintretenden Diener,
der sich uach allsälligen Minschen erkundigte, wies
er barsch ab. Dann blieb er stehen und stampste
mit dem Kuße. Was war ihm da widerfahren?
Überall lauschte man seiner Rede mit gläubiger
Andacht, oder doch wenigstens mit schweigender
Unterwürsigkeit. Und wenn man sich schon Lin-
wendungen erlaubte, so geschah es mit ehrerbietigem
Zögern^und in den verbindlichsten Ausdrücken —
wie es ja auch heute von setten der Mrstin ge-
schehen war. Aber dieser Tras hatte ihn von oben
herab behandelt — hatte ihn mit hochmütiger Ironie
abgekanzelt wie einen Lakai! Die Talle kochte in
ihm bis an den Hals hinaus. Lollte er diesen
Nenschen nicht fordern? Lr griss in die Lust wie
nach einer pistole und streckte den Arm, als gelte

erdinand von 5aar.

Von Wilhelm Lchäfer.

In der Nalerei sind wir die Lensationsbilder
so ziemlich los, jene Riesenschinken, vor denen stets
ein schwarzes Tekribbel erschauernden Volkes jtand.
In der Zchriststellerei scheinen sie sich länger zu
halten. Lo ziemlich in jedem Iahr kommt der
Roman von „aktuellem Interesse". Rasch wie
eine Heuschreckenplage, geht aber auch ebenso schnell
wieder; nach ein, zwei Iahren können wir uns
kaum besinnen, wie das Ding geheißen hat, uud
kein Nensch begreist, wie er darin etwas hat sinden
können.

Lelbst sür den „Iörn tthl", der doch gewiß ein
seines und tüchtiges Buch ist, hat sich die rasche
Begeisterung ebenso rasch abgeflaut. Und wie mit
den einzelnen Werken, so ist das mit den Ver-
fassern. A)as sür ein Ruhm strahlte um die
tzäupter von Paul Lindau, Lpielhagen und Teorg
Lbers, und wie rasch sind diese Lichterchen herunter-
gebrannt.

Wie wundervoll stehen dagegen jcne Alten, an
denen das Leben ihrer Zeit vorbeigegangen ist,
weil sie gar so unausfällig waren; und die dann,

es zu zielen. Diese Bewegung, die er mehrmals
wiederholte, schien ihn allmählich zur Ruhe zu
bringen. Lr begann wieder aus und ab zu
schreiten, doch in gemessener Haltung, und immer
stolzer richtete sich sein Haupt empor. Lndlich
spuckte er verächtlich aus. „Aristokratischer Hohl-
kops!" sagte er, indem er daran ging, sich auszu-
kleiden.

Aber auch der Pavillonbewohner war inzwischen
in seinem Lchlaszimmer aus und nieder geschritten.
Lr ärgerte sich über sich selbst, daß er sich mit dem
Doktor eingelassen. Denn er war ein kluger Akann
und wußte sehr genau, wie ohnmächtig er mit
seinen Anschauungen dem Zuge der Zeit gegenüber
dastehe. Ls fiel ihm daher auch gar nicht ein,
seine Neinungen irgendwie geltend machen zu wollcn,
ja er vermied es, sie vor Sremden auszusprechen.
Aber das ganze Wesen des Doktors hatte ihn gereizt.
Lein bloßer Anblick war ihm aus die Rerven ge-
gangen. Dieses kaltäugige vogelgesicht! Dieser
haarlose, zugespitzte Lchädel! Lr machte unwill-
kürlich eine Bewegung mit dem Arm, als schwinge
er eine Reitpeitsche. Dann rief er mit starker
Ltimme: „Wenzel!" Lin bejahrter Diener erschien
und war ihm wie ein Automat bei der Nacht-
toilette behilflich.

Im Bette blieb Graf Lrwin noch eine Zeit-
lang wach und solgte mit dem Blick dem Rauche
seiner Zigarre, der sich langsam zu den Ltuckver-
zierungen des Plafonds hinankräuselte. Ietzt warf
er den Ltummel in den Aschenbecher, blies das Licht
aus und murmelte: „Aioderner Lsel."

wenn jene „ihren Lohn dahin haben", die Uränze
der Iugend aus ihr weißes Haar legen dürsen.
Ls ist eigentlich ein schlechtes Bild und paßt nicht
zu der Art dieser längst von der Resignation zur
frählichen Ironie gereisten Treise, deren kühlster
und seinster seit langer Zeit der alte Kontane war.

Ihm, dem Berliner, steht Herdinand von Laar,
der siebzigjährige Wiener, am nächsten. Me mag
ihm, dem seinen, kühlen Aienschen zumute seiu,
wenn er heute in der Lrinnerung die papierencn
tzelden der letzten fünszig Literaturjahre mit Lchall
und Rauch an sich vorüber ziehen sieht und sich
selbst inmitten einer Anerkennung findet, die noch
lange über sein Trab hinaus in einer Eemeinde
von jungen Herzen lebendig bleibt und wächst!

A)er nicht gewohnt ist zu lesen, oder vielmehr
wenn sich nicht ein Tesühl dasür entwickelt hat,
daß nicht nur ein Uleid, sondern auch die Lprache
einem Nenschen höchst unvornehm und lotterig
stehen kann, der wird eine der österreichischen Te-
schichten dieses zurückhaltenden Dichters kaum mit
sonderlicher Beachtung lesen. Lr wird irgend eine
tzandlung einfach, so wie sie etwa ein alter tzerr
in einer plauderhasten Ltunde mitteilt, erzählt
sinden. Und es muß einer sich schon gründlich
allen Lchwulst und Phrase über gelesen haben, ehe

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