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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 8.1904

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Heft 11
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Hesse, Hermann: Aus Kinderzeiten: Novelle
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https://doi.org/10.11588/diglit.19988#0215

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us Linderzeiten.

Lrzählung von Hermann Hesse.

Der ferne braune Wald hat seit wenigen Tagcn
einen heiteren Lchimmer von jungem Grnn; am
Lettensteg sand ich heute die erste halberschlossene
primelblüte; am seuchten klaren Himmel tränmen
die sanften,, Aprilwolken, und die weiten kaum
gepslügten Äcker sind so glänzend braun und breiten
sich der lauen Lust so verlangend entgegen, als
hätten sie Zehnsucht, zu empsangen und zu treiben
nnd ihre stnmmen Äräste in tausend grünen Aeimen
und aufstrebenden Halmen zu erproben, zu fühlen
und wegzuschenken. Alles wartet, alles bereitet
sich vor, alles träuml und sprosit in einem feinen,
zärtlich drängenden Werdefieber - der Aeim der
Zonne, die Wolke dem Acker, das jnnge Gras den
Lüsten entgegen. Von Iahr zu Iahr steh ich um
diese Zeit mit Ungeduld und Lehnsucht aus der
Lauer, als müßte ein besonderer Augenblick mir
das Wunder der Reugeburt erschließen, als müsse
es geschehen, daß ich einmal, eine Ltunde lang,
die "Vfsenbarung der Arast nnd der Schönheit ganz
sähe und begrisse und miterlebte, wie das Leben
lachend aus der Lrde springt und junge große
Augen zum Lichte ausschlägt. Iahr sür Iahr auch
tönt und dustet das wunder an mir vorbei, ge-
liebt und angebetet — und unverstanden; es ist
da und ich sah es nicht kommen, ich sah nicht die
Hülle des Aeimes brechen und den zarten ersten
Tuell im Lichte zittern. Blumen stehen plötzlich
allerorten, Bännie glänzen mit lichtem Laube oder
mit schaumig weißer Blust, und Vögel wersen sich
jubelnd in schönen Bogcn durch die ivarme Bläue.
Das Wunder ist ersüllt, ob ich es auch nicht gesehen
habe, Wälder wölben sich und serne Sipsel rusen,
und es ist Aeit, Ztiefel und Tasche, Angelstock und
Ruderzeug zu rnsten und sich mit allen Sinncn des
jungen Iahres zu sreuen, das jedesmal schöner
ist als es jemals war und das jedesmal eiliger zu
schreiten scheint. — wie lang, wie unerschöpslich
lang ist ein Hrühling vorzeiten gewesen, als ich
noch ein Anabe war!

And wenn die Stunde es gönnt und mein Herz
guter Dinge ist, leg ich mich lang ins seuchte Tras
oder klettere den nächsten tüchtigen Ztamm hinan,
wiege mich im Geäste, rieche den Anospenduft und
das srische Harz, sehe Zweigenetz und Grün und
Blau sich über mir verwirren und trete traum-
wandelnd als ein stiller Gast in den seligen Tarten
meiner Anabenzeit. Das gelingt so selten und ist
so köstlich, einmal wieder sich dort hinüberzu-
schwingen nnd die klare Norgenlust der ersten
Iugend zu atmen und noch einmal, sür Augen-
blicke, die welt so zu sehen wie sie aus Gottes
Händen kam und wie wir alle sie in Ainderzeiten
gesehen haben, da in uns selber das wunder der
Araft und der Zchönheit sich entsaltete.

Ich bin wahrlich heute und jeden Lag der welt
und meines Lebens sroh, aber auch ein Tlücklicher

kann sich den Tlanz nicht völlig bewahren, den sein
Auge in Ainderzeiten über der Lrde sah. Da
stiegen die Bäume so freudig und trotzig in die
Lüfte, da sproß im Tarten Narziß und Hyazinth
so glanzvoll schön; und die Nenschen, die wir noch
so wenig kannten, begegneten uns zart und gütig,
weil sie auf nnserer glatten Ztirn noch den Hauch
des Göttlichen fühlten, von dem wir nichts wußten
und das uns ungewollt und ungewußt im Drang des
wachsens abhanden kam. was ivar ich sür ein
wilder und ungebändigter Bub, wieviel Lorgen hat
der Vater von klein aus um mich gehabt und wie-
viel Angst und Leufzen die Nutter! — und doch
lag auch aus meiner Ltirne Gottes Glanz, und was
ich ansah, war schon und lebendig, und in meinen
Tedanken nnd Träumen, auch wenn sie gar nicht
frommer Art waren, gingen Lngel und wunder
und Närchen geschwisterlich hin und wieder. Das
geht doch nicht ganz verloren, nnd wenn einer seine
Aindheit lieb hatnnd sich je und je bei ihr zu Gast ladet,
den Ltaub von sich streift und sich ohne Gedanken
wieder in ihre Allldnisse verliert, der hört noch
einmal (stuellen reden und Wolken singen, sieht das
Licht der Lonne gütig sich zur Lrde neigen und
alle Dinge mit einem Duft von Lchönheit und
Närchen umgeben. And viel reicher und mächtiger
und schöner kännten wir alle sein, wenn wir häustger
aus jenen Psaden gingen und fester an dem goldenen
Bande hielten, das uns mit der Aindheit und mit
allen Vuellen unserer Aräfte zusammenhält.

Nir ist aus Ainderzeiten her mit dem Eeruch
des frischgepslügten Ackerlandes und mit dem keimen-
den Grün der Wälder eine Lrinnerung verknüpst,
die mich in jedem Hrühling heimsucht und mich
nötigt. jene halbvergessene und unbegriffene Zeit
für Ltnnden wieder zu leben. Auch jetzt denke ich
daran und will versuchen, wenn es möglich ist,
davon zu erzählen.

* *

-I-

An nnserer Lchlafkammer waren die Läden zu,
und ich lag im Dunkel halbwach, hörte meinen
kleinen Bruder neben mir in sesten gleichen Aügen
atmen nnd wnnderte mich wieder darüber, daß ich
bei geschlossenen Augen statt des schwarzen Dunkels
lauter Karben sah, violette und trüb-dunkelrote
Areise, die beständig weiter wurden und in die
Hinsternis zerflossen und beständig von innen her
quellend sich erneuerten, jeder von einem dünnen
gelben Ztreisen umrändert. Auch horchte ich aus
den AAnd, der von den Bergen her in lauen lässigen
Htößen kam und weich in den großen Pappeln
wühlte und sich zuzeiten schwer gegen das ächzende
Dach lehnte. Ls tat mir wieder leid, daß Ainder
nachts nicht ausbleiben und hinausgehen oder
wenigstens am ßenster sein dürfen, und ich dachte
an eine Aacht, in der die Nutter vergessen hatte,
die Läden zu schließen.

Da war ich mitten in der Aacht aufgewacht
und leise ausgestanden und mit Zagen ans ßenster
gegangen, und vor dcm Fenster war es seltsam hell.

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