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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 8.1904

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Heft 12
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Ferdinands, Carl: Stefan George
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https://doi.org/10.11588/diglit.19988#0293

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tefan George.

Von Oi-. L. H. van Vleuten.

Oa wakrsctieivlick vickt allen Leserii cler
„^beinlancle" äsr I>t3me clieseZ rkeiniscken
Oiclrters xelänkA ist, eirie so Zrnnclsätriliclre
HmseinaiiclersetruiiiA wie 6ie nacktolAenäe iknen
also vielleiclit nnnätiZ sckeint, inu6 icli cler ^rbeit
einiZe Oaten voranssckicken: Ltelan QeorUe ist
irn Inbre 1885 Zeboren in Lin^en a. kb. nnä
lebt in Lerlin. 8cbon seit ^abren ist er äer
IVlittelpnnbt eines ästketiscben Lreises, äen rnan
irn anäern 8inn als sonst bei einein Oicbter
eine „Qerneinäe" nennen rnnb. 8eine I^riscben
Lncber weräen nicbt inr clie tVII§erneinbeit,
nur kür äie Qliecler äer Qerneinäe Aeärncbt.
In ibrein Lreis weräen ancb tVbenäe veranstaltet,
in äenen cter Oickter — nicbt okne feierlicke
^nricktnnZen — vorträZt. 80 ist clie ^Vrt cles
Oicbters von Qsbärclen uinAeben, clie ibr wobl
clen Qeruck eines leeren ^stbetentnins eintrLZen
bönnten, obwobl seine Lnnst änrcbans beäentencl
ist. Onter seinen Verebrern ist HiiAo von Hok-
innnnstbal äer bebannteste, nncl clessen 8e-
wnnclernnZ clarf nns scbon änvor bewakren,
äsn Oickter 8tekan Qeor§e so r:n inibacbten,
wie clas nntnrlicbe Qeknbl an^esicbts rnancber
^.nkclrinAlicbbeiten rnöcbte. Oa cler Verkasser
vieltbcb seine 8tnclie nber ^lfreä IVloinbert beran-
^iebt, sei äaranf besonäers verwiesen. (^Vpril-
bekt 1902. 8eite Zg.) 3.

-i- *

-r-

Von den Lchriften, die über Ltefan Teorge
erschienen find, geht keine in ihrer rückhaltlofen
Begeisterung so weit, wie die Abhandlung von
Or. pbil. Ludwig Rlages (Berlin, Teorg Bondi,
f902). Hier ift die Hingabe an den Dichter fo
bedingungslos, daß ihin unbedenklich fast die ganze
Literaturvergangenheit des deutfchen Volkes ge-
opfert wird? vr. Rlages fpricht von der „Dürre
altertümlicher Reimer", die „das Haus der Tötter
entweiht" haben. Von unseren deutfchen Alasfikern
heißt es: „Vorratsfpeichern ähnlich sind unbescheidene
Redensarten aufgeftellt von Iugend, Hreiheit,
Krauenliebe. Der Aüchenverstand der Wchternen
fühlt sich erwärmt und geschmeichelt .... hier
aber tritt in den verwahrloften Tarten deutscher
Poesie ein Lildner, der solche Aberredungen bewußt
verschmäht." Dieser Lildner soll Ztesan Teorge
sein. Logar Toethe muß zurückstehen: „Reben
Toethes Dichtungen gehalten zeigen ,die Bücher
der Hirten- und Preisgedichte' aber doch ein
inneres Zittern und Dusten, welches jenen sehlt."
Lndlich äußert er sich über Ltesan Teorge: „Am
den Tehalt Teorgescher Dichtungen völlig zu um-
schreiben, dazu müßten wir die Llemente unserer
Aeit in einer Vollständigkeit übersehen, wie es nur
Lpäterlebenden möglich ist." Das ganze Büchlein
zeigt einen eigenartig dunkeln und gezierten,

prophetischen Ltil, der große Ähnlichkeit mit
Teorges Prosa hat: „Lrst seit Teisterwut Told-
seuchte der Lcholle trinkt und die ,ausgeklärte"
Lrde in Unsruchtbarkeit erstarren will, ward es
Brauch, um tiefste Weisheit im Ton eines Hand-
lungsgehilsen zu werben." Dieser willkürlich her-
ausgegrissene Latz ist nicht nur ein Beispiel sür
die Überladenheit und Teschwollenheit der Aus-
drucksweise, er enthält auch eins jener mißgünstigen,
cholerischen, sast möchte ich sagen vorlauten Zchmäh-
worte, die I)r. Alages anzuwenden liebt. (In
dieser Beziehung sand ich seinen Ausdruck „Abend-
ländische Verblendung" besonders bemerkenswert.)
Aus all diesem erhellt, daß der kritische A)ert der
Lchrist nicht eben groß ist. A)enn wir gleichwohl
von ihr ausgehen, so veranlassen uns dazu zwei
Lrwägungen. Linmal kennzeichnet das Werkchen
in charakteristischer Weise die esoterische und ver-
stiegene Art, wie Ltesan Teorge im Rreise seiner
Temeinde angesaßt wird: es erschien in gleichem
Verlage wie die Dichtungen Teorges selbst und ist
so gewissermaßen authentischdann aber sind unter
der unruhigen und schweren Dialektik einige Trund<
irrtümer in naturwissenschaftlicher Beziehung ver-
borgen, die uns an knappem Beispiel vorsühren,
wie philosophische Lchulung und Zprechgewandt-
heit noch lange kein Verstehen und Beherrschen
der Naturgesetze gewährleistet.

Or. Alages möchte nämlich das A)esen Teorge-
scher Aunst aus seiner rheinischen Abstammung
ableiten: „Vielleicht erinnern wir uns, daß in
rheinischen Ltämmen der Überlieserungssaden, der
uns mit dem Altertum verknüpst, nie so völlig
zerriß als in Deutschlands protestantischen Tebieten.
Das vallum Ickaciriani ist auch heute noch die
Trenze, von der aus nordöstlich gerechnet die
Traditionslosen, die Barbaren beginnen. Dunkle
Tenies und bohrende Tüstler sind wohl gediehen
unter dem treibenden Wolkenhimmel der nieder-
deutschen Lbene; aber niemals die satte Hormen-
reinheit eines Holbein — niemals Mozarts südlich-
seurige Trazie .... Anderthalb Iahrtausende
römisch-christlicher Teisteskultur sind der Boden,
aus dem die goldene Hrucht Teorgescher Dichtung
wächst." Lo angenehm den Rheinländern die
Lätze sein mögen, so sehr sie im allgemeinen den
Tatsachen entsprechen, die Beziehung aus Ltesan
Teorge ist sraglos falsch. Hier vergißt vr. Alages,
daß nicht eine oder zwei Tenerationen genügend
sind, um das Wesen einer Landschaft in die Samilie
einzusenken, so daß jeder neue Lrbe der Zamilie
-auch zugleich von Teburt an das Wesen der Land-
schast in seiner persönlichkeit trägt; nicht eine,
zwei Tenerationen sind nötig, sondern hundert und
mehr, so langsam geht der Versenkungsprozeß vor
sich. Weit über zwei Tenerationen hinaus geht
aber bei Eeorge die Wirkung rheinischer Natur
nicht. Lr ist nichtrheinischen Ltammes. Die srü-
heren Reihen seiner Vorsahren waren anderen
Bedingungen unterworfen, deren Betrachtung uns
zwingt, Ltefan Eeorge neben Nombert zu stellen

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