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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 8.1904

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Heft 10
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Geiger, Albert: Sehnsucht: Novelle
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https://doi.org/10.11588/diglit.19988#0194

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ehnsucht.

Novelle von Albert Teiger.

Ls war einmal ein kranker Dichter.

Lr wurde immer kränker, nnd niemand konnte
seine Rrankheit heilen. Denn seine Rrankheit war
die Lehnsucht.

T>ie Zehnsucht nach einem andern Leben, nach
andern tltenschen, nach einer andern Aeit, nach
einer anderen Welt.

Die konnte ihm sreilich niemand stillen.

Alles, was er um sich her vorgehen sah, stieß
ihn ab und kam ihm halb beklagenswert, halb
lächerlich vor. Lr verglich zuweilen die tllenschen
und ihr Treiben mit Gräsern und Blumen, und
sie dünkten ihn dann, selbst die schönsten, so viel
weniger schön und liebenswert.

Aber hatte er denn kein Liebchen? Rein gutes
Liebchen, das ihm die klingenden Tedanken, die
seligen großen Eesühle im tzerzen wachküßte? Das
sich aus seine Aniee setzte und ihm so lange in die
Angen sah, bis der Zriede und die Hosfnung dort
einkehrten?

Ach, er hatte wohl ein Liebchen. Aber so, wie
er geworden war, konnte sie das nicht vollbringen.
Lie sah nicht ties genug hinab, und ihre Hände,
ihre Augen, ihre Ztimme hatten zu viel vom Lärm
und der Unruhe des Lebens.

ßrüher hatte er das nicht empfunden. Ietzt
sühlte er es immer mehr. Aber seine Uunst?

Auch die hatte er mehr und mehr versallen
lassen.

Die Nenschen von heutzutage zu schildern,
schien ihm nicht begehrenswert. Und jene seinsten,
reinsten, geheimsten Töne, von denen er träumte,
die so weich waren wie die Berührung eines
Blumenblattes, so slüchtig wie der erste scheue Ee-
währungsschimmer in den Augen eines Weibes, so
schwer zu sassen wie die wechselnden Ltimmungen
eines verhangenen Vorsrühlingstages — die hatte
er so selten nur zu bannen vermocht, daß ihm sein
Leben wie ein Richts vorkam. Lr sühlte, daß er
umsonst gelebt habe.

Und er verzehrte sich immer mehr.

-l- H

-i-

Aber eines hatte er — und das machte ihn zu-
weilen glücklich. tzinter seinem Hause zog sich ein
großer tiefer Garten hin.

Lin Garten voll alter und junger Bäume.
Doller Blumen, die wild wuchsen und Eängen unter
alten Aeblauben, unter denen man weltverborgen
träumen konnte. Alte Lteinbilder aus vergangener
Zeit schimmerten undeutlich durch Zweige und
Blüten. Noos halte sich auf ihnen angesetzt. Aie
glichen darin den einst so sauberen kiesbestreuten
weißen Wegen, aus denen nun Gras, wegerich,
Huflattich und sonstiges Unkraut sproßte und wuchs.
Das Lchönste des Eartens waren die alten Linden
und platanen. Lie waren ihm so vertraut wie

Kreunde. Und sie redeten eine so schöne ernste
tiese Lprache zu ihm. Line Zprache, wie sie sür
ihn kein Buch der A)elt sprach.

Die Linden hatte er am liebsten, wenn sie vor
dem Verblühen waren. Da dusteten sie am süßesten
in gewitterschwülen Nächten. Da stand er oder
schritt er leise unter ihnen, wenn ganz serne ein
Nletterleuchten am Himmel wachte und ein schwerer
schwüler NNnd die Blätter bewegte. Zuweilen
rieselten die Blüten herab, über Wangen und Nund
und seine blassen weißen Hände. Dann lächelte
er schmerzlich und dachte an Hrauenhände, deren
Berührung so zart wäre. Und leise leuchteten die
alten Zteinbilder im Wetterleuchten auf und ge-
wannen sür Augenblicke ein geheimnisvolles Leben.
Wenn dann der Regen kam, in schweren, warmen
Tropsen, dann ließ er sich Haupt und Gesicht von
ihm beseuchten, und so seuchten Hauptes ging er
schlasen. . . . In solchen Nächten hatte er manch-
mal Cräume, in denen er wundersame Töne ver-
nahm nnd entzückende Sarben sah. Tie andere
N)elt schien ihm auszudämmern. Linmal hatte er
geträumt, er treibe als ein Lindenblatt im Mnde.
Me es süß war und wohlig, so leicht zu sein, so
getrieben zu werden, und dabei Ztimmen zu hören,
die aus der Lust, aus den Bäumen, aus dem Lrd-
boden, dem Gras und den Blumen kamen! Noch
den ganzen Tag hatte er dieses leichte Gefühl und
die geheime süße Nusik in der Leele. . . .

Tie Platanen aber liebte er im Hrühling, wenn
die ersten zarten lichtgrünen Blattspitzen hervor-
drangen, und im tzerbst, wenn die welken Blätter
durch das zitternde weiche Blau des Himmels
herabrieselten. Da konnte er ost vor den Ltämmen
der Platanen stehen. Ihre Aorm, ihre Karbe
studieren. Ls war etwas so unendlich Weiches,
Wohltuendes in dieser glatten Haut, die den Leib
des Baumes umspannte. Zie hatte etwas von einer
feinen ßrauenhaut, und er meinte, sie schaudern zu
sehen, wenn der erste kalte Wind und die ersten
Zchneeslocken kamen. N)enn er dann seine ver-
träumten Blicke zum Himmel ausrichtete, der weit,
so weit in weißlicher Bläue zurückging, so schien
ihm der etwas Arankhast-Heiteres zu haben. Die
Durchsichtigkeit der tzaut eines Rranken oder Ge-
nesenden. Dann betrachtete er wiederum mit einem
stillen Lächeln seine eigenen schmalen tzände.

Im Hoch- und Zpätsommer schritt er an den
Zpalieren hin und es gefiel ihm wohl, eine sonnen-
warme Aprikose zu pslücken. Me sie dustete! N)ie ihr
Aleisch leuchtetegegen dieLonnegehalten! Ronnteman
Lchäneres sehen als eine solche Hrucht? Und wie
sinnlos und gleichgültig die meisten Nenschen sie
hinunteraßen! . . . Vder er legte sich der Länge

nach aus den N)eg unter dem Rebgang und sah
droben die Lraubenbeeren sich röten und blau
werden. Die Reseden nebenan aus dem Beet dusteten
ihre Honigsüße. Lr schloß die Augen, bis er nur
noch einen schmalen Zpalt Rebengrün und Himmels-
blau sah, und manchmal überkam ihn im halben
Lchlummer dann die wunderbare Lmpfindung, als


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