Lehnsucht.
sauge die Natur sem Leben ein. Als wäre er
gleich ihr. Atmete so leise wie sie, so in stillem
warmem brünstigem Leben. . . .
H -i-
Und er ward kränker und kränker und zehrte
immer mehr ab. Ls war ein langer schwerer trau-
riger Alinter gewesen. Lr hatte sich kaum schlep-
pen, sein Leben kaum ertragen können. Niemand
mochte ihn mehr leiden. Lr war ganz einsam ge-
worden. Aber je menschenfremder er ward, je mehr er
abmagerte und je leichter sein Uörper ward, desto
mehr lauschte er in die Natur hinein. Die stillen,
stillen Zchneetage hatte er gern. Nur kamen ihrer
so wenige. Und dagegen so viel, viel Nebel. §> grauer
böser herzdrückender Nebel. . . . Und er war
glücklich, wenn in dem Wald, der tausend Schritte
von seinem Tarten sich den Berg hinaufzog, der
Zturm sein wildes Lied sang. Wenn er den Wald
ganz in wirbelndem Hlockentreiben verbarg, so
konnte er an alte Habeln denken. Lr dachte sich,
wie er draußen im Walde unter den Zweigen einer
Tanne stand und einem wunderbar süßen leisen
Eesang lauschte. Das war der Ureuzschnabel, der
Lhristvogel, von dem die Lage erzählt, daß er
dem Heiland am Ureuze den Nagel aus der Wunde
habe ziehen wollen. . . . Gder er dachte sich eine
Lichtung im Walde mit tiesem Lchnee bedeckt; aus
dem Walde ritt ein geharnischter Reiter, mit
schönem schwermütig gefurchtem Antlitz. Parzival,
der verzweiselt umhergetriebene Eottsucher. Lr
hört die leise süße Ltimme des Lhristvogels, der
ihm Tröstung singt. . . . Aber er reitet sort und
sort in seinem Hader und Tram. Lr weiß nicht,
daß aus den Husspuren seines Rosses Blumen
blühen, daß er der Lrläsung entgegenreitet, und
er hört nicht die serne Elocke von Nontsalvat. . . .
Vder vor den Augen des Träumenden erstand das
wilde Island der Aage mit seinen zauberischen
Blumengärten inmitten weiter Liswüsten. . . .
Lpäterhin schmolz der Lchnee und manche
Nächte durch peitschte der Regen ans Zenster, heulte
der Zturm im Bergforst. Ls war ßebruar und der
Rranke lauschte osl hinaus in die weiche söhnartige
Luft, in das hastige Treiben und Rauschen,
Zchwirren und Lausen. Ls war ihm, als sänge
der A)ald in Lehnsucht ein gewaltiges Lied, und
einige sturmgeborene Verse irrten durch seine Zeele!
Ls hat der ßrühling gehangen
Zeine Harfe in den Wald,
Als er von hinnen gegangen.
Nun oft in Äächten bangen
Ihr Alagen schwingt und schallt,
Weckt Bangen und Oerlangen:
Hrühling, ach kommst du bald?
* *
-i-
Krühling, ach kommst du bald?
Lr kam endlich. Lr trat aus einem stillen grauen
weichen Norgen aus die Lrde.
Dem Rranken ward es so wohl und so wehe.
Lr sühlte, daß es sein letzter sein werde.
Ls war ein zarter warmer Aprilabend. Über
den Bäumen im blauen Himmel schwamm die
schlanke Alondsichel jungsräulich rein und schön.
Der Tarten lag im Dunkel. Unbestimmte Düste
hauchten aus ihm empor.
Lin leiser Alind trieb sein Lpiel darin. Lr
brachte einen Hauch von Narzissen und dann wieder
von Veilchen. Diese Duftwellen überströmten mit
leichten Lchauern.
Der Rranke tastete sich hinab. Noch nie hatte
er sich so schwach gefühlt. Aber auch nie so leicht,
sast ätherisch, aller Lrdenschwere enthoben. Lr
blieb stehen und sah in den Himmel hinaüf, in
sein immer mehr dunkelndes Blau. Lein Auge war
seucht von Zehnsucht. Lr breitete die Arme aus.
„Megen! Megen . . ."
Aber das Tras zu seinen Küßen lockte ihn mit
leisem Dust zu sich herab. Zu der gütigen Nutter Lrde.
Lr hatte es sprießen und wachsen sehen. Ls
war ihm so lieb geworden. Lr traute sich nicht
aufzutreten aus Kurcht, ihm wehe zu tun. Aber
er wußte, sein Tritt war so leicht, daß das Tras
wieder ausstehen würde.
Auf die Rniee ließ er sich nieder. Liebkosend
berührte er mit der Hand die zarten Zpitzen.
„A)er so wäre wie du!" murmelte er. „Zo
licht, so rein, so zart!"
Lr stand aus und ging langsam weiter. A)ie gut,
wie schön, wie harmonisch war alles um ihn! Line
späte Amsel dehnte auf der Tartenmauer ihre süßen
Töne. Der kranke Dichter trank den Wohllaut ein.
„G Nenschen!" sprach er zu sich. „Alarum
könnt ihr nicht sein wie Tras und Rnospe und
Vogel? A)ie Baum und Mucht? A)ie A)ald und
Himmel? A)arum so viel Häßliches, Unreines,
Irriges, Niezubesserndes in euch? Zo viel Neid,
Mindschast, Beklagens- und Belachenswertes?
A)arum so kleinlich euer Linn, so eng euer Herz?
A)as quält ihr euch um LNacht, um Ruhm, um
Liebe und andern Tenuß der Dinge? A)arum
bleibt ihr nicht wie die Ainder, die Brüder und
Zchwestern des Trases, der Blumen, der Vögel?
V wie ferne seid ihr alle, alle von euerm Elück!
Wahrlich, der Ackersmann, der in der Mühe die
Augen aus der Dämmerung zum LNorgenstern empor-
hebt, der Lchnitter, der die Alachtel schlagen härt
durch Tau und Mische, wieviel näher sind sie dem
wirklich Tuten und Lrstrebenswerten 'als all ihr
Namps- und Tatmenschen da draußen aus der be-
staubten, heißen, von üblen Dünsten erfüllten Arena
des Lebens!"
Lr blieb vor einem knospenden Hliederbaum
stehen. Die Anospen wiegten sich in der lauen
Lust. A)ie er sie so sah, wie er das leise, leise
Teräusch vernahm, ward ihm eigentümlich seierlich
zumute. Das ganze Teheimnis der Natur wiegte
und regte sich da, in leichtem Takte. Lein Linnen
versank in den knospenden Ztrauch vor ihm. Ls
sang und summte ihm seltsam in den Vhren. Line
geheime Rrast schien aus dem Ltrauch auf ihn
auszuströmen. Rlang an Rlang reihte sich in
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sauge die Natur sem Leben ein. Als wäre er
gleich ihr. Atmete so leise wie sie, so in stillem
warmem brünstigem Leben. . . .
H -i-
Und er ward kränker und kränker und zehrte
immer mehr ab. Ls war ein langer schwerer trau-
riger Alinter gewesen. Lr hatte sich kaum schlep-
pen, sein Leben kaum ertragen können. Niemand
mochte ihn mehr leiden. Lr war ganz einsam ge-
worden. Aber je menschenfremder er ward, je mehr er
abmagerte und je leichter sein Uörper ward, desto
mehr lauschte er in die Natur hinein. Die stillen,
stillen Zchneetage hatte er gern. Nur kamen ihrer
so wenige. Und dagegen so viel, viel Nebel. §> grauer
böser herzdrückender Nebel. . . . Und er war
glücklich, wenn in dem Wald, der tausend Schritte
von seinem Tarten sich den Berg hinaufzog, der
Zturm sein wildes Lied sang. Wenn er den Wald
ganz in wirbelndem Hlockentreiben verbarg, so
konnte er an alte Habeln denken. Lr dachte sich,
wie er draußen im Walde unter den Zweigen einer
Tanne stand und einem wunderbar süßen leisen
Eesang lauschte. Das war der Ureuzschnabel, der
Lhristvogel, von dem die Lage erzählt, daß er
dem Heiland am Ureuze den Nagel aus der Wunde
habe ziehen wollen. . . . Gder er dachte sich eine
Lichtung im Walde mit tiesem Lchnee bedeckt; aus
dem Walde ritt ein geharnischter Reiter, mit
schönem schwermütig gefurchtem Antlitz. Parzival,
der verzweiselt umhergetriebene Eottsucher. Lr
hört die leise süße Ltimme des Lhristvogels, der
ihm Tröstung singt. . . . Aber er reitet sort und
sort in seinem Hader und Tram. Lr weiß nicht,
daß aus den Husspuren seines Rosses Blumen
blühen, daß er der Lrläsung entgegenreitet, und
er hört nicht die serne Elocke von Nontsalvat. . . .
Vder vor den Augen des Träumenden erstand das
wilde Island der Aage mit seinen zauberischen
Blumengärten inmitten weiter Liswüsten. . . .
Lpäterhin schmolz der Lchnee und manche
Nächte durch peitschte der Regen ans Zenster, heulte
der Zturm im Bergforst. Ls war ßebruar und der
Rranke lauschte osl hinaus in die weiche söhnartige
Luft, in das hastige Treiben und Rauschen,
Zchwirren und Lausen. Ls war ihm, als sänge
der A)ald in Lehnsucht ein gewaltiges Lied, und
einige sturmgeborene Verse irrten durch seine Zeele!
Ls hat der ßrühling gehangen
Zeine Harfe in den Wald,
Als er von hinnen gegangen.
Nun oft in Äächten bangen
Ihr Alagen schwingt und schallt,
Weckt Bangen und Oerlangen:
Hrühling, ach kommst du bald?
* *
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Krühling, ach kommst du bald?
Lr kam endlich. Lr trat aus einem stillen grauen
weichen Norgen aus die Lrde.
Dem Rranken ward es so wohl und so wehe.
Lr sühlte, daß es sein letzter sein werde.
Ls war ein zarter warmer Aprilabend. Über
den Bäumen im blauen Himmel schwamm die
schlanke Alondsichel jungsräulich rein und schön.
Der Tarten lag im Dunkel. Unbestimmte Düste
hauchten aus ihm empor.
Lin leiser Alind trieb sein Lpiel darin. Lr
brachte einen Hauch von Narzissen und dann wieder
von Veilchen. Diese Duftwellen überströmten mit
leichten Lchauern.
Der Rranke tastete sich hinab. Noch nie hatte
er sich so schwach gefühlt. Aber auch nie so leicht,
sast ätherisch, aller Lrdenschwere enthoben. Lr
blieb stehen und sah in den Himmel hinaüf, in
sein immer mehr dunkelndes Blau. Lein Auge war
seucht von Zehnsucht. Lr breitete die Arme aus.
„Megen! Megen . . ."
Aber das Tras zu seinen Küßen lockte ihn mit
leisem Dust zu sich herab. Zu der gütigen Nutter Lrde.
Lr hatte es sprießen und wachsen sehen. Ls
war ihm so lieb geworden. Lr traute sich nicht
aufzutreten aus Kurcht, ihm wehe zu tun. Aber
er wußte, sein Tritt war so leicht, daß das Tras
wieder ausstehen würde.
Auf die Rniee ließ er sich nieder. Liebkosend
berührte er mit der Hand die zarten Zpitzen.
„A)er so wäre wie du!" murmelte er. „Zo
licht, so rein, so zart!"
Lr stand aus und ging langsam weiter. A)ie gut,
wie schön, wie harmonisch war alles um ihn! Line
späte Amsel dehnte auf der Tartenmauer ihre süßen
Töne. Der kranke Dichter trank den Wohllaut ein.
„G Nenschen!" sprach er zu sich. „Alarum
könnt ihr nicht sein wie Tras und Rnospe und
Vogel? A)ie Baum und Mucht? A)ie A)ald und
Himmel? A)arum so viel Häßliches, Unreines,
Irriges, Niezubesserndes in euch? Zo viel Neid,
Mindschast, Beklagens- und Belachenswertes?
A)arum so kleinlich euer Linn, so eng euer Herz?
A)as quält ihr euch um LNacht, um Ruhm, um
Liebe und andern Tenuß der Dinge? A)arum
bleibt ihr nicht wie die Ainder, die Brüder und
Zchwestern des Trases, der Blumen, der Vögel?
V wie ferne seid ihr alle, alle von euerm Elück!
Wahrlich, der Ackersmann, der in der Mühe die
Augen aus der Dämmerung zum LNorgenstern empor-
hebt, der Lchnitter, der die Alachtel schlagen härt
durch Tau und Mische, wieviel näher sind sie dem
wirklich Tuten und Lrstrebenswerten 'als all ihr
Namps- und Tatmenschen da draußen aus der be-
staubten, heißen, von üblen Dünsten erfüllten Arena
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Lr blieb vor einem knospenden Hliederbaum
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Teräusch vernahm, ward ihm eigentümlich seierlich
zumute. Das ganze Teheimnis der Natur wiegte
und regte sich da, in leichtem Takte. Lein Linnen
versank in den knospenden Ztrauch vor ihm. Ls
sang und summte ihm seltsam in den Vhren. Line
geheime Rrast schien aus dem Ltrauch auf ihn
auszuströmen. Rlang an Rlang reihte sich in
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