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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 8.1904

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Heft 7
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Hesse, Hermann: Peter Camenzind: Roman
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https://doi.org/10.11588/diglit.19988#0030

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eter Lamenzind.

Roman von Hermann Hesse.

(Z. Hischers Verlag, Verlin.)

Im vierten und fünsten Hest dieses Iahrgangs
brachten wir eine Aovelle, die schon in ihrem Citel
„Donna Margherita und der Zwerg ßilipp o"
verriet, daß sie bewußt im Ztil der altitalienischen
Novelle erzählt sei. Der Name ihres Dichters
Hermann Hesse war keiner von den bekannten, und
da die Novelle wohl sorgsältig, aber nicht eben
eigentümlich erzählt war und ihre Wirkung zumeist
ihrer nicht unüblen Solge von Begebenheiten ver-
dankte, in der sich zwar eine geschickte, aber nicht
sehr krästige Dichterhand zeigte, so wird sie kaum
ein Grund gewesen sein, den Namen des Dichters
zu vermerken.

Nun aber ist von ihm im Verlag von L. ßischer
in Lerlin ein Roman erschienen, dessen Citel über
diesen Nlorten steht. peter Lamenzind, der Bauern-
sohn aus dem Dörfchen Nimikon, erzählt darin die
Keschichte seiner Iugend; und wie er das unter-
nimmt, dasür möge ein Leil des ersten Napitels
zeugen, den wir hier abdrucken. A)er sich nicht
gleich von den ersten Zätzen, die weniger den
Lrzähler verraten, abschrecken läßt, wer im wei-
teren nachdenklich wird über die meisterliche Zchil-
derung der großen Bergnatur in ihrer wunderlich
menschlichen Aufsassung, wer dann in jenem lustigen
Ztück Zonne, das aus diesen großen A)olken und
Bergen hervorbrechend über das winzige Afer-
stückchen läust, die Zchicksale des ersinderischen
L>nkel Aonrad sür einen Augenblick leuchten sieht
wie einen bunten Zcherben, der wird Verlangen
tragen, mit dem Bauernsohn aus den Bergen
niederzusteigen in diese Welt, darinnen wir Iour-
nale lesen und Ausstellungen besuchen. Ls geht
dem Peter Lamenzind, wie es einem solchen
Aerl gehen muß, wenn er sich an einen Tisch
setzen will, an dem die andern doch wie dreiste
Lpatzen essen und schilpen: es ist gewiß, daß sein
ungeschicktes Bauernknie ihn umwirst. Zo sind
wir nicht verwundert, am Lnde ihn, den viel
Ztudierten, viel Tewanderten, den Aunstschreiber
und Dichter, als zukünstigen Achenkwirt in seinem
Heimatdörfchen Nimikon zu sinden. In einem
Gefühl, als ob nichts gewesen und nichts geändert
wäre unterdessen: srüher nagelte der Vater Gamen-
zind Iatten aus das alte Dach und ging abends
in das Mrtshaus, jetzt tut's der Zohn. Aber da-
zwischen hat das reiche Leben eines Iünglings und
Nannes gelegen, der in angeborner Nenschen-
scheu zu einer Naturliebe kam, deren Mtteilung
uns wie eine wunderbare Predigt klingt. A)ir
haben unsere Küße aus der Lrde gezogen und
glauben nach unserm Allllen darüber hinzuspazieren,
aus einmal sind es doch nur ihre Zäste und ihre
Lüste, die uns treiben, nur haben wir selbst die
Alurzeln ausgerissen. Wie Peter Lamenzind den
Lebensboden wiederßndet, wie er ein Geschöps

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der Lrde und also ein Zchüler des heiligen Sranz
von Assisi wird, wie er aus solcher Liebe zur
Natur eine Liebe zn einem kindlichen Nrüppel ge-
winnt, die ihm mehr wird, als alle Liebe zu
schönen Hranen: das ist der eigentliche Inhalt
dieses Romans. Lr verleugnet die Zchule Aellers
nicht, er ist in seinem Lau sast gleich dem „grünen
Heinrich", und wer ihn nach seinen Begebenheiten
mißt, wird die Mtteilungen des Bauernsohns aus
Nimikon dem herrlichen Werk des Zürcher Ztadt-
schreibers als eine schöne, aber an seinem Zpalier
gewachsene Krucht unterstellen und ihn so in seinem
eigentlichen A)ert verkennen müssen. Der grüne
Heinrich wollte aus dem philistertum seiner Gassen
hinaus nnd kehrte als ein gescheiterter Nann
zurück. Peter Lamenzind unternahm eine Kahrt
in die A)elt, die ihn als Zieger heimbringt. And
wenn er selbst in angeborner Ironie am Zchluß
seine Irrsahrten arg bespöttelt: es ist doch die
Nrast des Riesen in ihm, der seine Alutter Lrde
wieder unter den Hüßen hat.

Ich möchte, daß jeder meiner Sreunde dieses
Buch läse, vor allem jene, die der Geist der Lrde
treibt und die nicht wissen, wohin. Ls sührt mit
sröhlicher Ironie, mit heiligen Predigten und
männlichen Gedanken nnmerklich in die Lintracht
mit der Natur, der innern wie der äußern. Und
seine menschliche Mrkung ist so stark, daß es sich
vorab nicht verlohnt, von seiner „literarischen"
Bedeutung zu reden, obwohl es durch seinen
„Literaturwert" so ziemlich den ganzen Bücher-
hausen zeitgenössischer Antoren umivirst. Ls wird
gewiß nicht so viele Drnckmaschinen ersordern wie
„Iena oder Ledan", nicht einmal wie der „Iörn
Uhl", es wird längst nicht so viel Herzen in Be-
wegung setzen wie dieser, aber wen es ergreist, der
wird noch lange mit innigem Dank sich der Ltunde
erinnern, in der er einen nicht brausenden und
grübelnden, aber einen herzlich tapseren Nenschen
kennen lernte, von jener fröhlichen Ironie, die am
sichersten zum Leben hilst. Z.

-r-

Im Ansang war der Mythus. A)ie der große
Gott in den Zeelen der Inder, Griechen und Ter-
manen dichtete und nach Ausdruck rang, so dichtet
er in jedes Nindes Zeele täglich wieder.

ANe der Zee und die Berge und die Bäche
meiner Heimat hießen, wußte ich noch nicht. Aber
ich sah die blaugrüne glatte Zeebreite, mit kleinen
Lichtern durchwirkt, in der Zonne liegen und im
dichten Nranz um sie die jähen Berge, und in
ihren höchsten Ritzen die blanken Zchneescharten
und kleinen, winzigen Wassersälle, und an ihrem
ßuß die schrägen, lichten Natten, mit Gbstbäumen,
Hütten und grauen Alpkühen besetzt. llnd da
meine arme, kleine Zeele so leer und still und
wartend lag, schrieben die Teister des Lees und
der Berge ihre schönen kühnen Taten auf sie. Die
starren A)ände und Hlächen sprachen trotzig und
ehrsürchtig von Zeiten, deren Zöhne sie sind und

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