er Lnecht.
Novelle von rvilhelm Lchmidt-Lonn.
Das Loot mit dem jungen Hochzeitspaar stieß
vom Ufer ab und suhr den Ltrom hinauf. Ls
wies mit seiner Zpitze in die letzten griinen Berge,
mit feinem Hinterteil in die endlose Lbene, in die
der breite Rhein mie in ein Neer hineinströmte.
Die jungen Leule hatten erst weiter unten, bei
den weißen Häusern des Dorfes, aus das Zchifs
warten sollen, das von nun an ihr Haus, ihre
Heimat war. Aber sie waren ungeduldig geworden,
hatten sich aus der singenden und lärmenden Lchar
der Säste geschlichen und fuhren nun dem Lchifs
entgegen.
Vorn, im spitzen Mnkel des Bootes, saß die
Nutter des Hochzeiters, nach der das Bchiff seinen
Namen „Anna" trug, ohne Hut, so daß ihr weiß-
haariger Aops sich gegen das Eriin der Userwiesen
wie eine dicke Blume abhob, die neben den andern
und großer als die andern im Erase stand. Bie
winkte mit der Hand nach dem -Zchiff hin, das
langsam größer werdend herankam, indem sie die
Hand hoch über dem Uops und weit in der Lust
hin und her sührte.
Aus der ersten Äuerbank, von denen zwei die
Längsseiten des Bootes verbanden, saß die junge
Hrau im bunten Hut, Zchleifen an Hals und Armeln,
mit dem Rücken dem Bchiff zugekehrt, aber doch das
Sestcht mit einer anmutigen Drehung zu ihm hin-
gewandt. Neben ihr, mit seiner Zchulter wegen der
Lnge des Platzes dicht an die ihre gerückt, saß —
nicht der Nann, sondern der Vheim des Nannes.
Lr füllte aber den Platz des Nannes auch noch in
anderer Ledeutung aus, denn er hielt, um die
ßrau zu stützen, den Arm um ihren Rücken gelegt,
lachte mit ihr und sah ihr ins Sesicht.
Auf der zweiten Äuerbank aber saß der lrllann,
hatte die Iacke wegen der Wärme ausgezogen und
sührte mit den kurzen Lchlägen der Lchiffersleute
die Ruder. Dabei hielt er den Rücken sonderbar
steis, als wenn er einen Rücken aus Holz hätte.
Das Zchiff trieb nun schnell mit dem Ltrom
näher. Ls war nur klein und trug nur einen
Nast, der jetzt, wegen der Mndstille, ohne Legel
war, aber, der Ledentung des Tages entsprechend,
einen langen bunten Mmpel von seiner Lpitze
flattern ließ. Ls war grün gestrichen, schob vorn
einen Zchwall weißer rauschender Wellen vor sich
her und trug an seinem hinteren Lnde ein sauberes
Häuschen mit weiß eingerahmten Henstern auf sich,
die so klein waren, daß zwei nebeneinandergelegte
Lchifferhände sie völlig bedeckt hätten, aber ooch
wie wirkliche ßenster mit weißen Eardinen und
Blumentöpfen geschmückt waren. Eanz am Lnde,
am Zteuer des Zchiffes, stand der Rnecht, der seit
dreißig Iahren, seit dem Tode des Lchiffsmanns,
zusammen mit der witfrau das Lchiff besorgte.
Lr stand da mit langen Beinen, knochigem, ein
wenig gebeugtem Rücken und einem kleinen eckigen
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und scharf geschnittcnen, von weißen Lträhnen
bedeckten Ropf. Die weißen Zträhne setzten sich
an den Dhren entlang sort, gingen hinter den
Backen her und hingen, wie Zotten einer Ziege,
unter dem Rinn herunter, das nackt und rot dar-
aus hervorsah.
Der Alte band das Lteuer fest, ging aus dem
handbreiten lveg neben den Basaltblöcken her, mit
denen das Lchiff beladen war, zur Lpitze vor und
wars einen Ltrick nach dem Loot hinunter. Dabei
ließ er kein anderes Zeichen der Hreude oder der
Begrüßung sehen als ein kurzes Aufleuchten der
Augen, die, klein und weiß, sengend wie glühendes
Lisen, unter den buschigen Brauen herausstachen.
„Ruder weg — nemmt dat Leil!" rief er kurz, in
einer Mise, wie man einem Rind oder einem
Nenschen zurust, der zum erstenmal in einem
Nachen sitzt.
Aber der Iunge hatte, ehe der Alte noch aus-
gesprochen, die Ruder krachend ins Boot geworsen,
das hingeschleuderte Aeil in der Luft ergriffen,
um die Ruderbank gebunden und das Boot mit
starkem Zug, so daß die Mllen zischend aus-
schäumten, dicht an die Holzwand des Lchiffes ge-
bracht.
Der Rand des Lchiffes, das von seiner grauen
Lteinlast ties in die ßlut gedrückt wurde, war nur
wenig höher als der Rand des Lootes. And so
machte der Iunge nur einen Lchritt und stand
mit beiden ßüßen auf dem Lchiff. Dhne ein Wort
zu sagen, nur den Nund lachend breitgezogen,
wollte er dem Alten mit einer schnellen Bewegung
das Zeil aus der Hand nehmen.
Der aber schob, als ob sich das von selbst ver-
stehe, die sremde Hand zur Leite und trat ohne
Umstände mit der ganzen Breite seines Rückens
zwischen den Iungen und das Boot.
Der Iunge, der nun der Herr des Lchiffes
war, aus das er seine Küße gestellt hatte, stand
eincn Augenblick, sah den Alten überrascht an,
ließ ihm aber dann das Zeil und hob mit beiden
Händen die Nutter und die ßrau aus dem Boot.
Der Vheim, klein und mit demselben runden,
vor Güte und Sröhlichkeit strahlenden Gesicht wie
die Lchwester, stand mit breitgesetzten Beinen unten,
bemiiht, das Eleichgewicht zu wahren, reckte den
Aopf hoch aus dem Lchifferhalstuch, und die junge
ßrau, weiß und rot wie Lchnee und Rosen und
mit einer Pracht schwarzen Haares darum, mußte
niederknieend sich über denLchisfsrand beugen und ihm
ihren LNund hinhalten. Dann trieb das^Boot, von
dessen Bank sich das Zeil unerwartet geläst hatte,
plötzlich vom Lchiff weg; der Sheim rief noch,
aber da der weißhaarige Anecht oben bereits das
Leil zusammengerollt und schon ein weites Ltück
wasser sich zwischen Lchiff und Nachen gebreitet
hatte, nahm er die Ruder und suhr langsam, mit
zurückgedrehtem Aopf und lachenden Zurusen, zum
Afer zurück.
Anterdes hatte der Anecht, immer in seiner
merkwürdigen Ruhe, deren verborgene Lrregung
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Novelle von rvilhelm Lchmidt-Lonn.
Das Loot mit dem jungen Hochzeitspaar stieß
vom Ufer ab und suhr den Ltrom hinauf. Ls
wies mit seiner Zpitze in die letzten griinen Berge,
mit feinem Hinterteil in die endlose Lbene, in die
der breite Rhein mie in ein Neer hineinströmte.
Die jungen Leule hatten erst weiter unten, bei
den weißen Häusern des Dorfes, aus das Zchifs
warten sollen, das von nun an ihr Haus, ihre
Heimat war. Aber sie waren ungeduldig geworden,
hatten sich aus der singenden und lärmenden Lchar
der Säste geschlichen und fuhren nun dem Lchifs
entgegen.
Vorn, im spitzen Mnkel des Bootes, saß die
Nutter des Hochzeiters, nach der das Bchiff seinen
Namen „Anna" trug, ohne Hut, so daß ihr weiß-
haariger Aops sich gegen das Eriin der Userwiesen
wie eine dicke Blume abhob, die neben den andern
und großer als die andern im Erase stand. Bie
winkte mit der Hand nach dem -Zchiff hin, das
langsam größer werdend herankam, indem sie die
Hand hoch über dem Uops und weit in der Lust
hin und her sührte.
Aus der ersten Äuerbank, von denen zwei die
Längsseiten des Bootes verbanden, saß die junge
Hrau im bunten Hut, Zchleifen an Hals und Armeln,
mit dem Rücken dem Bchiff zugekehrt, aber doch das
Sestcht mit einer anmutigen Drehung zu ihm hin-
gewandt. Neben ihr, mit seiner Zchulter wegen der
Lnge des Platzes dicht an die ihre gerückt, saß —
nicht der Nann, sondern der Vheim des Nannes.
Lr füllte aber den Platz des Nannes auch noch in
anderer Ledeutung aus, denn er hielt, um die
ßrau zu stützen, den Arm um ihren Rücken gelegt,
lachte mit ihr und sah ihr ins Sesicht.
Auf der zweiten Äuerbank aber saß der lrllann,
hatte die Iacke wegen der Wärme ausgezogen und
sührte mit den kurzen Lchlägen der Lchiffersleute
die Ruder. Dabei hielt er den Rücken sonderbar
steis, als wenn er einen Rücken aus Holz hätte.
Das Zchiff trieb nun schnell mit dem Ltrom
näher. Ls war nur klein und trug nur einen
Nast, der jetzt, wegen der Mndstille, ohne Legel
war, aber, der Ledentung des Tages entsprechend,
einen langen bunten Mmpel von seiner Lpitze
flattern ließ. Ls war grün gestrichen, schob vorn
einen Zchwall weißer rauschender Wellen vor sich
her und trug an seinem hinteren Lnde ein sauberes
Häuschen mit weiß eingerahmten Henstern auf sich,
die so klein waren, daß zwei nebeneinandergelegte
Lchifferhände sie völlig bedeckt hätten, aber ooch
wie wirkliche ßenster mit weißen Eardinen und
Blumentöpfen geschmückt waren. Eanz am Lnde,
am Zteuer des Zchiffes, stand der Rnecht, der seit
dreißig Iahren, seit dem Tode des Lchiffsmanns,
zusammen mit der witfrau das Lchiff besorgte.
Lr stand da mit langen Beinen, knochigem, ein
wenig gebeugtem Rücken und einem kleinen eckigen
7X
und scharf geschnittcnen, von weißen Lträhnen
bedeckten Ropf. Die weißen Zträhne setzten sich
an den Dhren entlang sort, gingen hinter den
Backen her und hingen, wie Zotten einer Ziege,
unter dem Rinn herunter, das nackt und rot dar-
aus hervorsah.
Der Alte band das Lteuer fest, ging aus dem
handbreiten lveg neben den Basaltblöcken her, mit
denen das Lchiff beladen war, zur Lpitze vor und
wars einen Ltrick nach dem Loot hinunter. Dabei
ließ er kein anderes Zeichen der Hreude oder der
Begrüßung sehen als ein kurzes Aufleuchten der
Augen, die, klein und weiß, sengend wie glühendes
Lisen, unter den buschigen Brauen herausstachen.
„Ruder weg — nemmt dat Leil!" rief er kurz, in
einer Mise, wie man einem Rind oder einem
Nenschen zurust, der zum erstenmal in einem
Nachen sitzt.
Aber der Iunge hatte, ehe der Alte noch aus-
gesprochen, die Ruder krachend ins Boot geworsen,
das hingeschleuderte Aeil in der Luft ergriffen,
um die Ruderbank gebunden und das Boot mit
starkem Zug, so daß die Mllen zischend aus-
schäumten, dicht an die Holzwand des Lchiffes ge-
bracht.
Der Rand des Lchiffes, das von seiner grauen
Lteinlast ties in die ßlut gedrückt wurde, war nur
wenig höher als der Rand des Lootes. And so
machte der Iunge nur einen Lchritt und stand
mit beiden ßüßen auf dem Lchiff. Dhne ein Wort
zu sagen, nur den Nund lachend breitgezogen,
wollte er dem Alten mit einer schnellen Bewegung
das Zeil aus der Hand nehmen.
Der aber schob, als ob sich das von selbst ver-
stehe, die sremde Hand zur Leite und trat ohne
Umstände mit der ganzen Breite seines Rückens
zwischen den Iungen und das Boot.
Der Iunge, der nun der Herr des Lchiffes
war, aus das er seine Küße gestellt hatte, stand
eincn Augenblick, sah den Alten überrascht an,
ließ ihm aber dann das Zeil und hob mit beiden
Händen die Nutter und die ßrau aus dem Boot.
Der Vheim, klein und mit demselben runden,
vor Güte und Sröhlichkeit strahlenden Gesicht wie
die Lchwester, stand mit breitgesetzten Beinen unten,
bemiiht, das Eleichgewicht zu wahren, reckte den
Aopf hoch aus dem Lchifferhalstuch, und die junge
ßrau, weiß und rot wie Lchnee und Rosen und
mit einer Pracht schwarzen Haares darum, mußte
niederknieend sich über denLchisfsrand beugen und ihm
ihren LNund hinhalten. Dann trieb das^Boot, von
dessen Bank sich das Zeil unerwartet geläst hatte,
plötzlich vom Lchiff weg; der Sheim rief noch,
aber da der weißhaarige Anecht oben bereits das
Leil zusammengerollt und schon ein weites Ltück
wasser sich zwischen Lchiff und Nachen gebreitet
hatte, nahm er die Ruder und suhr langsam, mit
zurückgedrehtem Aopf und lachenden Zurusen, zum
Afer zurück.
Anterdes hatte der Anecht, immer in seiner
merkwürdigen Ruhe, deren verborgene Lrregung
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