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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 8.1904

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Heft 13
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Hesse, Hermann: Der Briefwechel: zwischen Th. Storm und G. Keller
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https://doi.org/10.11588/diglit.19988#0329

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er Briefwechsel

zwischen Th. 5torm und G. stüeller.

Von Hermann Hesse.

§ür solche mattgoldige Herbstsonntagabende,
wenn man von draußen heimkommt und noch die
mit rot und gelben Äpseln überladenen Bäume
srisch im Tedächtnis hat, wüßte ich nichts Zchöneres
zum Lesen, als den vor kurzem erschienenen Brief-
wechsel zwischen Lheodor Ztorm und Gottsried
Reller. Zwei alte Traubärte, die einander erst
spät im Leben begegnet sind, plaudern und lachen
und brummen da miteinander über sich und ihre
werke, über die Rosen im 2uni und über den
Lchnee im Winter, sagen einander höfliche Hreundlich-
keiten und sreundliche Wahrheiten und knüpsen
daran gelegentlich eine Bemerkung übers Leben,
über Lchicksal und Runst und Bchassen, seufzen
zuweilen über die Beschwerden des Alters und
sind im ganzen doch ihres Lebens sroh. And mit
allem Recht, denn beide sind Prachtsmenschen, ge-
sunde und tüchtige Arbeiter und Genießer, und
beide sind nicht Literaten und Tintensäue, sondern
feine und reine Dichter, denen Gottes Welt nicht
eine Gelegenheit zum Räsonieren, sondern ein
schöner Paradiesgarten mit bedeutsam redenden
Bäumen, Blumen und Tieren ist.

Aber der eine von diesen Graubärten ist ein
milder, sein erzogener, gemäßigter Nensch, er be-
sitzt Haus und Garten, hat Hrau und liebe Ainder,
seiert kleine Kestchen und hat häufig Hreunde und
Verwandte bei sich zu Tast. llnd der andere ist
ein mit den Iahren schars gewordener Iunggesell,
der in Metswohnungen haust, keine Verwandte
und eigentlich auch keine Kreunde hat, wenig von
Behagen und säuberlicher wirtschast weiß, vielmehr
häufig des Abends in den Lchenken sitzt und ost nicht
ohne Ztolpern und Hluchen den Heimweg findet.

Lin Vrieswechsel ist immer eine Teschichte, und
so wollen wir auch diesen betrachten. Lr fängt
gnno s8L^ damit an, daß Itorm bei sich dachte:
„Ihr wenigen, die ihr gleichzeitig auf der Lrde
wandelt, wenn auch ein Händedruck nicht möglich
ist, ein Gruß aus der Kerne sollte doch hin und
wieder gehen." Und so spricht er dem Zürcher
seine Verehrung aus und erweist seine gute Be-
kanntschast mit dessen Alerken dadurch, daß er ihn
bittet, seinem „Hadlaub" einen etwas geänderten
Zchluß zu gännen, in welchem der Leser nicht so
ganz um den Anblick des Hadlaubischen Liebes-
glückes betrogen würde. Und es geschieht das Lr-
staunliche, daß lleller, der sonst mit seinen Antwort-
briefen oft viele Nonate, ja zuweilen jahrelang
auf fich warten ließ, fchon nach drei Tagen freund-
schaftlich antwortet, und zwar gleich mit einem
echten llellerbries, einem der launigsten in der
ganzen Lammlung. „Die treuliche und freundliche
Vermahnung", fchreibt er, „befremdet mich nicht,
weil die Geschichte gegen den Schluß wirklich über-
hastet und nicht recht ausgewachsen ist. Das Liebes-
wesen jedoch für sich betrachtet, so halte ich es für

das vorgerücktere Alter nicht mehr recht angemesfen,
auf dergleichen eingehend zu verweilen ufw. Immer-
hin will ich den Handel noch überlegen; denn die
Tatsache, daß ein lutherischer Richter in Husum,
der erwachsene Löhne hat, einen alten llanzellaren
helvetischer Ronfession zu größerem ßleiß in erotischer
Lchilderei aufsordert, ift gewiß bedeutsam genug."

Und später hat er wirklich der erotischen
Zchilderei nachgeholfen. Lo fängt der Briefwechfel
heiter und fast nmtwillig an. Line Aleile taufchen
die alten Herren allerlei Neinungen, Berichte und
Zcherze aus, daß einem recht behaglich dabei wird.
Dann fällt einem gelegentlich auf, daß Ueller hie
und da wieder sehr lang mit dem Antworten
zögert, auch daß seine Briefe hie und da kurz und
trocken aussallen. Acan stutzt ein wenig und be-
sinnt sich, woher das kommen möge. Und man
findet schnell den wunden Punkt. Der ßamilien-
vater und Hausherr Ltorm erlebt beständig viel
Uleines, Liebes, Häusliches, und spricht davon mit
unermüdlicher, zuweilen rührender Kreude und
Ausführlichkeit. Und Ueller liest's und nickt, aber
was soll er antworten? Lr kann mit nichts Ähnlichem
dienen als mit dem Bericht von einem mühseligen
Umzug, bei dem er, da er zu weite Pantofseln
trug, mit einem Arm voll Bücher von der Leiter
stürzt und faft den Hals bricht. Und was dazu
wieder Ltorm fagen? Bei ihm gibt es keine zu
weiten Pantoffeln und keine stürzenden Leitern,
denn es ist eine sorgende Hrau da und es herrscht
Vrdnung und Glück im Haus. Und wenn er auch
vielleicht zuweilen in solchen Uleinigkeiten das
Tragische fühlte, wenn ihm die Vereinfamung und
Unwirtlichkeit des Uellerschen Lebens leid tat, er
durfte darüber nichts fagen. Lo sährt er freund-
lich und gesprächig im alten Tone fort; Ueller
aber wird spröder und kühler, läßt sogar einmal
ein volles Iahr nichts von sich hören.

Tas hatte freilich noch tiefere Gründe. Ueller,
dem das äußere Leben in Lntsagen verlief, lebte
fich in ungewöhnlicher Inbrunst und Leidenschast
in seinem Lchaffen aus. Zu einem ganz ernsthasten,
tiefen Teilnehmen kam es hierin aber zwischen
Ltorm und ihm nicht. Ltorm berührt in dem,
was er jeweils über Aellers Mchtungen sagt, fast
nie das innerste A)esen, und der einsame Äeller,
dem an höslichen Liebenswürdigkeiten wenig ge-
legen war, zog sich mit leiser Lnttäuschung 'lang-
sam zurück. Zum Lchlusse tat Ztorm, der gewiß
nicht ahnte, was er jenem damit antat, Uellers
gesammelte Gedichte, ein Lebenswerk, in sehr wenig
Worten ab, und damit hatte er sich den schwer
zugänglichen Neister vollends entfremdet. Der Rest
war Lchweigen.

Ls läßt fich nicht beschönigen — der letzte
Lindruck, den diese Briefsammlung auf den tiefer
fchauenden Lefer macht, ist traurig, bitter traurig.

Aber es kann auch an einem solchen tzerbst-
sonntagabend zuweilen etwas Achönes ums Traurig-
werden sein. Denn nicht nur ist in den Briesen,
von denen wir reden, nebenher eine Üienge pracht-
voller Zachen enthalten, sondern es läuft der
 
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