ie Sollandreise.
Line Anekdote von Wilhelrn Schäfer.
Aarl Dietrich Traf von Noriamez war kamn
ein dutzendmal durch das benagelte Lichentor ins
Haus des alten Villingtrop gegangen, als er auch fchon
die weißlackierte Mendeltreppe wußte, die hinten-
durch voni Tarten her zu den Temächern der jungen
Hausfrau führte. Die war mit ihren achtzehn
Iahren dem Leben frifcher zugetan, als dem Te-
mahl mit seinen fechsundfünfzig; und während der
die Zeit am Zchloß in Hofratsdiensten oder unten
in den Ltuben mit Aramerei und Zammelwerk ver-
tat, ließ sie den Trasen ihre Locken wickeln oder
sonft verliebte Dinge tun.
Doch weil sie sonst als feine Lhefrau dem alten
Herrn nicht ganz entgehen konnte, gefchah es eines
Nachmittags, daß der Traf sie allen Zärtlichkeiten
abgeneigt in ftarken Lränengüsfen fand und nicht
gewillt, noch mehr als einen Lag im Hause des
alten villingtrop zu bleiben. Der Traf nahm zart
und ernfthaft ihren Puls, ließ fich die rote Zungen-
spitze zeigen, und als ihr dahei immer noch die
Tränen aus den Augen liefen, die groß und wie
von braunem Sammet waren, nahm er bedenklich
wie ein Doktor seine Prise, nicht ohne ihr ein
Dtäubchen anzubieten, das fie mit ihren Kinger-
spitzen zierlich nahm, und sprach gelehrte Worte
von einer Zeelenftockung, die ihr das Blut verdicke
und den Atem enge, so daß nur eine Hollandreife
nach dem luftigen Haag fie heilen könne, wozu er
fich als Reifemarfchall ebenso empfohlen wie ge-
eignet halte. Worauf fie zwar unter Lränen lachen
mußte, fo daß ihr die glitzernden Lropfen lustig auf
den zarten Bäckchen hingen; dann aber ihm, der
in folchen Reifen wohlerfahren noch am Abend
einen Alagen zur raschen ßlucht am Tartentor be-
reit halten wollte, faft zornig in die Rede fiel:
Lie führe ungern bei Nacht anf fremden Ltraßen;
auch solle jedermann zu Brüssel wiffen, wem fie
vor ihrem Tatten die Lhre der Begleitung gähe.
Roch war am andern Tag der Lnglifche Truß
nicht ausgeläutet, da fuhren vor dem fchwarz-
gefugten Backsteinhaus des alten Villingtrop drei
Wagen vor, sechsfpännig und der vorderste mit
gelben Relken überhängt. Den Rutschen schloffen
sich die Reiter an, auf schlanken Roffen fünfzig
Reiter bunt und übermütig; denn Brüffels reichfte
Herrensöhne hatten sich vereinigt, ihrem Vetter
diesen Liebesdienst zn tun. Und während nun die
Hufeisen auf den Lteinen klapperten, Lcherzworte
wie geschwungene Ruten hin und wieder fiogen,
Lchaumslocken aus den Pferdemäulern abgeschüttelt
wurdcn und dann wieder ein Telächter von fünf-
zig frifchen wüsten Iungmännern in den Himmel
scholl, während sich die Neugier auf beiden Ztraßen-
feiten ftaunend drängte, wurden die Lrfordernisfe
zu einer langen Damenreise in Näften, Nörben,
Risten, Rollen, Lchachteln aus die beiden letzten
Wagen verpackt, wobei die Rammerfrauen reife-
fertig treppauf- und niederliefen, vom Lcherz der
Reiter viel geneckt, und auch die Herrin ein paar-
mal auf dem Balkon fichtbar wurde, mit gefchwenk-
ten ßederhüten jubelnd begrüßt.
Und erft, als zu dem letzten Roffer der große
gelbgeblümte Reisefonnenschirm geschnallt war und
die Hofrätin mit dem Trafen Aloriamez hinunter
in den offenen Hausflur kam, trat aus den unteren
Ztuben der alte Villingtrop, blaß und feucht vor
Trimm und mit der Hofratskette um den Hals.
Lr fragte feine §rau, die wie vor einem lieben
Gnkel am Arm des fchlanken Noriamez mit einem
Rnicks und artig lächelnd stehen blieb, wohin die
Reife gehe?
„Nach Holland und dem Haag, Herr Rat. Ich
häre wohl, daß dort die Welt so luftig ist, wie ich
fie nötig habe; und weil ich hier Tefellfchast finde,
die mir paßt, will ich die Reife tun."
Das sagend, machte sie den zweiten Rnicks, fah
über die Zchulter mit den jungen Lippen lächelnd
nach ihm zurück und ftieg, mit ihrer Hand leicht
auf den Arm des Noriamez geftützt, zu dem Wagen
hinunter, wo die Pferde fich im Rreis um sie zu-
fammendrängten und über dem Hreudengefchrei
der jungen Alänner die Rlänge einiger Lrompeten
Kanfaren hingleiten ließen. Die Menge, durch fo
viel Lärm und Prächte hingeriffen, schwenkte gleich-
falls ihre Nützen, und während der Hofrat mit
dem Diener, angezogen von dem Iubel, in die
offene Haustür trat und der kräftige Noriamez
die junge ßrau auf beiden Armen wie ein Rind
ins Megenbett so in die gelben Blüten legte und sich
nach allen Zeiten ftolz verneigend zu ihr fetzte:
da war es unterm blauen Zommerhimmel, an dem
zwei weiße Tauben übermütig purzelten, wie wenn
ein Volksgericht gehalten würde über Iugend und
Alter. Rein Zchlagbaum und kein Nenfchenwort
behinderte den tollen Zchwarm, der unter den
Trompetenklängen einer alten Liebesweife, worein
die kräftigen Ztimmen der jungen Reiter einfielen
und das Hufgetrapp gleich Raftagnetten klang, im
rafchen Zchritt die Ztraße hinunter zog, von hundert-
ftimmigem Nenschenschwarm begleitet. Der Treis
mit feiner tzofratskctte fah ihm nach, bis alles um
die Lcke fchwand und dann der Diener behutsam
die schweren Türen vor ihm fchloß.
* *
*
Als am dritten Tag der Zug zum Haag ein-
ritt, und von den Hörnern angelockt das Volk
auch hier sich fiaunend um die Pracht der Reiter
drängte, — noch war der Himmel blau, nur goldig-
matt durch Ztaub uud Dunft des heißen Lages —,
kam von der Zeite und wurde überholt ein Zechs-
spänner, worinnen gleich einer Nonne angezogen
mit vielgewundenen blonden Hlechten eine fchlanke
Srau nicht einen Blick von ihren Rnieen hob und
fo den bunten Zug vorüberprunken ließ. Das
war Llifabeth die Winterkönigin, Iakob von Lng-
lands Tochter und des pfalzgrasen ßrau, der in
der Zchlacht am weißen Berge Land und Rönigs-
Line Anekdote von Wilhelrn Schäfer.
Aarl Dietrich Traf von Noriamez war kamn
ein dutzendmal durch das benagelte Lichentor ins
Haus des alten Villingtrop gegangen, als er auch fchon
die weißlackierte Mendeltreppe wußte, die hinten-
durch voni Tarten her zu den Temächern der jungen
Hausfrau führte. Die war mit ihren achtzehn
Iahren dem Leben frifcher zugetan, als dem Te-
mahl mit seinen fechsundfünfzig; und während der
die Zeit am Zchloß in Hofratsdiensten oder unten
in den Ltuben mit Aramerei und Zammelwerk ver-
tat, ließ sie den Trasen ihre Locken wickeln oder
sonft verliebte Dinge tun.
Doch weil sie sonst als feine Lhefrau dem alten
Herrn nicht ganz entgehen konnte, gefchah es eines
Nachmittags, daß der Traf sie allen Zärtlichkeiten
abgeneigt in ftarken Lränengüsfen fand und nicht
gewillt, noch mehr als einen Lag im Hause des
alten villingtrop zu bleiben. Der Traf nahm zart
und ernfthaft ihren Puls, ließ fich die rote Zungen-
spitze zeigen, und als ihr dahei immer noch die
Tränen aus den Augen liefen, die groß und wie
von braunem Sammet waren, nahm er bedenklich
wie ein Doktor seine Prise, nicht ohne ihr ein
Dtäubchen anzubieten, das fie mit ihren Kinger-
spitzen zierlich nahm, und sprach gelehrte Worte
von einer Zeelenftockung, die ihr das Blut verdicke
und den Atem enge, so daß nur eine Hollandreife
nach dem luftigen Haag fie heilen könne, wozu er
fich als Reifemarfchall ebenso empfohlen wie ge-
eignet halte. Worauf fie zwar unter Lränen lachen
mußte, fo daß ihr die glitzernden Lropfen lustig auf
den zarten Bäckchen hingen; dann aber ihm, der
in folchen Reifen wohlerfahren noch am Abend
einen Alagen zur raschen ßlucht am Tartentor be-
reit halten wollte, faft zornig in die Rede fiel:
Lie führe ungern bei Nacht anf fremden Ltraßen;
auch solle jedermann zu Brüssel wiffen, wem fie
vor ihrem Tatten die Lhre der Begleitung gähe.
Roch war am andern Tag der Lnglifche Truß
nicht ausgeläutet, da fuhren vor dem fchwarz-
gefugten Backsteinhaus des alten Villingtrop drei
Wagen vor, sechsfpännig und der vorderste mit
gelben Relken überhängt. Den Rutschen schloffen
sich die Reiter an, auf schlanken Roffen fünfzig
Reiter bunt und übermütig; denn Brüffels reichfte
Herrensöhne hatten sich vereinigt, ihrem Vetter
diesen Liebesdienst zn tun. Und während nun die
Hufeisen auf den Lteinen klapperten, Lcherzworte
wie geschwungene Ruten hin und wieder fiogen,
Lchaumslocken aus den Pferdemäulern abgeschüttelt
wurdcn und dann wieder ein Telächter von fünf-
zig frifchen wüsten Iungmännern in den Himmel
scholl, während sich die Neugier auf beiden Ztraßen-
feiten ftaunend drängte, wurden die Lrfordernisfe
zu einer langen Damenreise in Näften, Nörben,
Risten, Rollen, Lchachteln aus die beiden letzten
Wagen verpackt, wobei die Rammerfrauen reife-
fertig treppauf- und niederliefen, vom Lcherz der
Reiter viel geneckt, und auch die Herrin ein paar-
mal auf dem Balkon fichtbar wurde, mit gefchwenk-
ten ßederhüten jubelnd begrüßt.
Und erft, als zu dem letzten Roffer der große
gelbgeblümte Reisefonnenschirm geschnallt war und
die Hofrätin mit dem Trafen Aloriamez hinunter
in den offenen Hausflur kam, trat aus den unteren
Ztuben der alte Villingtrop, blaß und feucht vor
Trimm und mit der Hofratskette um den Hals.
Lr fragte feine §rau, die wie vor einem lieben
Gnkel am Arm des fchlanken Noriamez mit einem
Rnicks und artig lächelnd stehen blieb, wohin die
Reife gehe?
„Nach Holland und dem Haag, Herr Rat. Ich
häre wohl, daß dort die Welt so luftig ist, wie ich
fie nötig habe; und weil ich hier Tefellfchast finde,
die mir paßt, will ich die Reife tun."
Das sagend, machte sie den zweiten Rnicks, fah
über die Zchulter mit den jungen Lippen lächelnd
nach ihm zurück und ftieg, mit ihrer Hand leicht
auf den Arm des Noriamez geftützt, zu dem Wagen
hinunter, wo die Pferde fich im Rreis um sie zu-
fammendrängten und über dem Hreudengefchrei
der jungen Alänner die Rlänge einiger Lrompeten
Kanfaren hingleiten ließen. Die Menge, durch fo
viel Lärm und Prächte hingeriffen, schwenkte gleich-
falls ihre Nützen, und während der Hofrat mit
dem Diener, angezogen von dem Iubel, in die
offene Haustür trat und der kräftige Noriamez
die junge ßrau auf beiden Armen wie ein Rind
ins Megenbett so in die gelben Blüten legte und sich
nach allen Zeiten ftolz verneigend zu ihr fetzte:
da war es unterm blauen Zommerhimmel, an dem
zwei weiße Tauben übermütig purzelten, wie wenn
ein Volksgericht gehalten würde über Iugend und
Alter. Rein Zchlagbaum und kein Nenfchenwort
behinderte den tollen Zchwarm, der unter den
Trompetenklängen einer alten Liebesweife, worein
die kräftigen Ztimmen der jungen Reiter einfielen
und das Hufgetrapp gleich Raftagnetten klang, im
rafchen Zchritt die Ztraße hinunter zog, von hundert-
ftimmigem Nenschenschwarm begleitet. Der Treis
mit feiner tzofratskctte fah ihm nach, bis alles um
die Lcke fchwand und dann der Diener behutsam
die schweren Türen vor ihm fchloß.
* *
*
Als am dritten Tag der Zug zum Haag ein-
ritt, und von den Hörnern angelockt das Volk
auch hier sich fiaunend um die Pracht der Reiter
drängte, — noch war der Himmel blau, nur goldig-
matt durch Ztaub uud Dunft des heißen Lages —,
kam von der Zeite und wurde überholt ein Zechs-
spänner, worinnen gleich einer Nonne angezogen
mit vielgewundenen blonden Hlechten eine fchlanke
Srau nicht einen Blick von ihren Rnieen hob und
fo den bunten Zug vorüberprunken ließ. Das
war Llifabeth die Winterkönigin, Iakob von Lng-
lands Tochter und des pfalzgrasen ßrau, der in
der Zchlacht am weißen Berge Land und Rönigs-