Dissonanzen.
„Das ist eine gänzlich veraltete Anschauung,
Herr Traf. Nan ist längst davon abgekommen,
das Glück der Alenschheit ist der Beschränkung zu
suchen. Vielmehr muß der ganze Reichtum des
Daseins jedem Linzelnen erschlossen iverden, aus
daß er teilhabe an allen Lebensgenüssen — bis
hinauf zu den reinsten Lrhebungen durch die Aunst."
„Durch die Runst!" hohnlachte der Tras.
„Ia, durch die Aunst!" wiederholte der Doktor
nachdrücklich. „§>der wollen Zie vielleicht dem
Arbeiter das Recht aus die Sreude am Zchönen
streitig machen? Wollen Lie ihm Museen, Cheater
und Ronzertsäle verschließen, aus daß er nach wie
vor stumpssinnig vorübergehe an dem Adel und der
Bedeutung unserer ässentlichen Bildwerke, an der
Pracht unserer Gebäude — ja selbst an den Reizen
der Natur?"
„Reineswegs. Ich bin nur gegen eine vorbe-
dachte Züchtung des sogenannten Aunstsinns. Dieser
samose Linn rust den Nachahmungstrieb hervor
und hat in unserer bereits gebildeten )velt Anheil
genug angerichtet, da in ihr jeder zweite klcensch
malt oder modelliert, komponiert oder dichtet. Zoll
dieser Wahnwitz auch noch die nnteren Volksschichten
erfassen?"
„Ls soll aber keine unteren Volksschichten mehr
geben," versetzte der Doktor gistig.
„Ich weiß, daß Iie dies beabsichtigen, indem
Lie das Gberste zu unterst kehren wollen. Slück
zu! Wird aber nicht viel nützen. Lchichten bleiben
Zchichten, ob sie nun aus diesen oder jenen Lle-
mcnten zusammengesetzt sind. Denn daß die Nensch-
heit jemals aus einer Linschicht bestehen werde,
glauben Zie wohl selbst nicht."
„Dho!" ries der Doktor. „NAr glauben das
ganz bestimmt. Ls dürfen nur einmal durchaus
vernünstige s oziale Institutionen Platz gegriffen haben,
so ist es nur eine Hrage der Aeit, daß bei einer
genau abgewogenen und streng durchgesührten
Auchtwahl, die alles Widerstrebende und daher
Ichädliche dem Absterben preisgibt, eine — wenn
auch nicht gleichförmige, aber durchweg harmonisch
gegliederte und geläuterte Nenschheit entsteht."
„Ich gratuliere im voraus. Nur schade, daß
bis dahin sich unser Planet bereits im Zustand der
Lrstarrung befinden wird."
Lchon bei Beginn dieser immer hitziger gesührten
Aontroverse hatte sich der tzausarzt, wie es bei
ähnlichen Sällen seine Tewohnheit war, aus laut-
losen Lohlen über die Leppiche des Lalons in ein
Nebengemach begeben, durch das er verschwand.
Die übrigen aber solgten mit steigender Spannung
und sehr verschiedenen Lmpfindungen dem Ztreite
der beiden Tegner. Der Hofmeister sah mit weit
ausgerissenen Äugen unverwandt nach dem Doktor
hin, deffen N>orte er, die Lippen krampshast be-
wegend, im stillen nachsprach, während die Hran-
zösin jede Bemerkung des Grasen, sür den sie ein
Liblo hatte, mit lebhaft zustimmendem Aopsnicken
begleitete. Das Sräulein aber hielt voll innerlichen
Bebens angstvoll den Blick gesenkt. Denn sie be-
fürchtete, daß auch die ßrauensrage berührt werden
kännte, aus die, wie sie wußte, der in seinen Aus-
drücken nicht gerade wählerische Tras übel zu
sprechen war. Lie selbst jedoch besaß bei allem
Hange zur Lmanzipation eine übertrieben seminine
Lmpfindlichkeit gegen jedes derbere und sreiere
Wort, das ihr sofort das Blut in die schmächtigen
Nlangen trieb. Aber auch in dem Antlitz der
Kürstin wurde allmählich ein ängstlicher Zug sicht-
bar. Lie hatte zwar derlei Nlortgesechte in ihrer
Tegenwart nicht ungern, aber nur bis zu einer
gewissen Trenze. An dieser Erenze schien ihr jetzt
das Tespräch der beiden Herren angelangt zu sein,
und sie überlegte eben, wie sie vermittelnd ein-
greisen solle, als die Tesellschast, die unten das
Lpiel beendet hatte, sehr geräuschvoll über die
Treppe heraus und in den Zalon geschritten kam,
an der Lpitze die schäne Träfin, die einen ganzen
Pack zusammengeknüllter Banknoten in der Rechten
hielt.
„Da schau, Nama," rief sie, auf die ßürstin
zueilend, „das alles habe ich den Herren abge-
nommen!"
„Ia, sie hat uns total ausgesackt," bekräftigte
Gras Adenko, ihr Eatte.
„Ach ivas," lachte der ßürst, indem er sich in
einen Kauteuil warf, „dir verschlägt es nichts!
Nann und Srau greifen doch in eine Tasche."
Nnn nahmen auch die übrigen Ankömmlinge
das Wort, und es wurden alle Wechselsälle im
Lpiel sehr lebhast durchgesprochen. Auch der Iagd
wurde noch Lrwähnung getan. Nan stritt sich,
iver den ersten Bock gesehlt habe, und rechnete
wiederholt nach, wieviel jeder Linzelne zur Ltrecke
gebracht. Lin superber Huchs, den man ganz un-
vermutet ausgcstöbert und geschossen hatte, wurde
der Tegenstand besonderer Lrörterungen. Damit
aber verbreitete es sich rings wie srische, kräftige
Waldlust und vertrieb die angehäuften geistigen
Noleküle. Auch noch anderes kam an die Reihe.
Nan sprach jetzt von wien, von den bevorstehenden
Bällen, von Nadame Hrancine und von neuen
Roben, von der Nlolter, die damals noch lebte,
von der Heirat der Palmap und von Girardi. Lin
noch sehr junger Baron versuchteeine Toupletstrophe
in der Art dieses Aünstlers vorzutragen, mit dem
er im Äußeren einige Ähnlichkeit hatte. Zo wurde
es immer lauter im Lalon; nur Gras Lrwin und
der Doktor, die sich gegenseitig sonderbare Blicke
zuwarsen, verhielten sich schweigend.
. Die Sürstin bemerkte die Verstimmung der beiden
Herren und sagte endlich: „Na, Ainder, jetzt aber
ist es Zeit, daß wir schlasen gehen." Lie erhob
sich etwas mühsam aus ihrem Lehnsessel und um-
armte die Tochter. Dann reichte sie dem Doktor
die Hand, die dieser mit einer sehr särmlichen Ver-
beugung an die Lippen sührte. „Ich bedauere,
daß Zie uns schon morgen vormittag verlassen
wollen. Aber ich hoffe, Zie vor Ihrer Abreise
noch zu sehen." Nach diesen Worten bewegte sich
die ßürstin, von den übrigen gesolgt, der Cür zu,
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„Das ist eine gänzlich veraltete Anschauung,
Herr Traf. Nan ist längst davon abgekommen,
das Glück der Alenschheit ist der Beschränkung zu
suchen. Vielmehr muß der ganze Reichtum des
Daseins jedem Linzelnen erschlossen iverden, aus
daß er teilhabe an allen Lebensgenüssen — bis
hinauf zu den reinsten Lrhebungen durch die Aunst."
„Durch die Runst!" hohnlachte der Tras.
„Ia, durch die Aunst!" wiederholte der Doktor
nachdrücklich. „§>der wollen Zie vielleicht dem
Arbeiter das Recht aus die Sreude am Zchönen
streitig machen? Wollen Lie ihm Museen, Cheater
und Ronzertsäle verschließen, aus daß er nach wie
vor stumpssinnig vorübergehe an dem Adel und der
Bedeutung unserer ässentlichen Bildwerke, an der
Pracht unserer Gebäude — ja selbst an den Reizen
der Natur?"
„Reineswegs. Ich bin nur gegen eine vorbe-
dachte Züchtung des sogenannten Aunstsinns. Dieser
samose Linn rust den Nachahmungstrieb hervor
und hat in unserer bereits gebildeten )velt Anheil
genug angerichtet, da in ihr jeder zweite klcensch
malt oder modelliert, komponiert oder dichtet. Zoll
dieser Wahnwitz auch noch die nnteren Volksschichten
erfassen?"
„Ls soll aber keine unteren Volksschichten mehr
geben," versetzte der Doktor gistig.
„Ich weiß, daß Iie dies beabsichtigen, indem
Lie das Gberste zu unterst kehren wollen. Slück
zu! Wird aber nicht viel nützen. Lchichten bleiben
Zchichten, ob sie nun aus diesen oder jenen Lle-
mcnten zusammengesetzt sind. Denn daß die Nensch-
heit jemals aus einer Linschicht bestehen werde,
glauben Zie wohl selbst nicht."
„Dho!" ries der Doktor. „NAr glauben das
ganz bestimmt. Ls dürfen nur einmal durchaus
vernünstige s oziale Institutionen Platz gegriffen haben,
so ist es nur eine Hrage der Aeit, daß bei einer
genau abgewogenen und streng durchgesührten
Auchtwahl, die alles Widerstrebende und daher
Ichädliche dem Absterben preisgibt, eine — wenn
auch nicht gleichförmige, aber durchweg harmonisch
gegliederte und geläuterte Nenschheit entsteht."
„Ich gratuliere im voraus. Nur schade, daß
bis dahin sich unser Planet bereits im Zustand der
Lrstarrung befinden wird."
Lchon bei Beginn dieser immer hitziger gesührten
Aontroverse hatte sich der tzausarzt, wie es bei
ähnlichen Sällen seine Tewohnheit war, aus laut-
losen Lohlen über die Leppiche des Lalons in ein
Nebengemach begeben, durch das er verschwand.
Die übrigen aber solgten mit steigender Spannung
und sehr verschiedenen Lmpfindungen dem Ztreite
der beiden Tegner. Der Hofmeister sah mit weit
ausgerissenen Äugen unverwandt nach dem Doktor
hin, deffen N>orte er, die Lippen krampshast be-
wegend, im stillen nachsprach, während die Hran-
zösin jede Bemerkung des Grasen, sür den sie ein
Liblo hatte, mit lebhaft zustimmendem Aopsnicken
begleitete. Das Sräulein aber hielt voll innerlichen
Bebens angstvoll den Blick gesenkt. Denn sie be-
fürchtete, daß auch die ßrauensrage berührt werden
kännte, aus die, wie sie wußte, der in seinen Aus-
drücken nicht gerade wählerische Tras übel zu
sprechen war. Lie selbst jedoch besaß bei allem
Hange zur Lmanzipation eine übertrieben seminine
Lmpfindlichkeit gegen jedes derbere und sreiere
Wort, das ihr sofort das Blut in die schmächtigen
Nlangen trieb. Aber auch in dem Antlitz der
Kürstin wurde allmählich ein ängstlicher Zug sicht-
bar. Lie hatte zwar derlei Nlortgesechte in ihrer
Tegenwart nicht ungern, aber nur bis zu einer
gewissen Trenze. An dieser Erenze schien ihr jetzt
das Tespräch der beiden Herren angelangt zu sein,
und sie überlegte eben, wie sie vermittelnd ein-
greisen solle, als die Tesellschast, die unten das
Lpiel beendet hatte, sehr geräuschvoll über die
Treppe heraus und in den Zalon geschritten kam,
an der Lpitze die schäne Träfin, die einen ganzen
Pack zusammengeknüllter Banknoten in der Rechten
hielt.
„Da schau, Nama," rief sie, auf die ßürstin
zueilend, „das alles habe ich den Herren abge-
nommen!"
„Ia, sie hat uns total ausgesackt," bekräftigte
Gras Adenko, ihr Eatte.
„Ach ivas," lachte der ßürst, indem er sich in
einen Kauteuil warf, „dir verschlägt es nichts!
Nann und Srau greifen doch in eine Tasche."
Nnn nahmen auch die übrigen Ankömmlinge
das Wort, und es wurden alle Wechselsälle im
Lpiel sehr lebhast durchgesprochen. Auch der Iagd
wurde noch Lrwähnung getan. Nan stritt sich,
iver den ersten Bock gesehlt habe, und rechnete
wiederholt nach, wieviel jeder Linzelne zur Ltrecke
gebracht. Lin superber Huchs, den man ganz un-
vermutet ausgcstöbert und geschossen hatte, wurde
der Tegenstand besonderer Lrörterungen. Damit
aber verbreitete es sich rings wie srische, kräftige
Waldlust und vertrieb die angehäuften geistigen
Noleküle. Auch noch anderes kam an die Reihe.
Nan sprach jetzt von wien, von den bevorstehenden
Bällen, von Nadame Hrancine und von neuen
Roben, von der Nlolter, die damals noch lebte,
von der Heirat der Palmap und von Girardi. Lin
noch sehr junger Baron versuchteeine Toupletstrophe
in der Art dieses Aünstlers vorzutragen, mit dem
er im Äußeren einige Ähnlichkeit hatte. Zo wurde
es immer lauter im Lalon; nur Gras Lrwin und
der Doktor, die sich gegenseitig sonderbare Blicke
zuwarsen, verhielten sich schweigend.
. Die Sürstin bemerkte die Verstimmung der beiden
Herren und sagte endlich: „Na, Ainder, jetzt aber
ist es Zeit, daß wir schlasen gehen." Lie erhob
sich etwas mühsam aus ihrem Lehnsessel und um-
armte die Tochter. Dann reichte sie dem Doktor
die Hand, die dieser mit einer sehr särmlichen Ver-
beugung an die Lippen sührte. „Ich bedauere,
daß Zie uns schon morgen vormittag verlassen
wollen. Aber ich hoffe, Zie vor Ihrer Abreise
noch zu sehen." Nach diesen Worten bewegte sich
die ßürstin, von den übrigen gesolgt, der Cür zu,
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