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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 10.1905

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Nr. 11
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Keyssner, Gustav: Robert Haugs Wandbilder im Stuttgarter Rathaus
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Kühl, Gustav: Unsere Musikbeilage
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https://doi.org/10.11588/diglit.26235#0204
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Robert haugs wandbilder

IM STUTTGARTER RATHAUS.*

Von Dr. G. KEYSSNER.

Die Gemeinde von Dingshausen hat be-
schlossen, ihr neues Rathaus mit Wandgemälden
schmücken zu lassen. Kann man irgend in
Zweifel sein, welche Stoffe in den Bildern dar-
gestellt werden sollen? Nein, es müssen natür-
lich Szenen aus der Vergangenheit der Stadt
sein! Mit Hilfe des Stadtarchivars ist das Pro-
gramm rasch entworfen; ein bewährter Historien-
maler, der noch das Banner des Wahren, Guten,
Schönen hochhält, wird aus einer der Kunst-
städte des Reiches berufen und malt, verständnis-
voll auf die Intentionen der Stadtväter eingehend
und sorgfältig die Angaben des Archivars be-
nutzend, der eine Autorität in Kostümkunde und
heimatlicher Topographie ist, folgende sechs
Bilder: Chatten und Sueven kämpfen um Weide-
plätze auf der Stelle, wo später Dingshausen ge-
gründet wurde (4. Jahrh. n. Chr.); König Hein-
rich I. umgibt Dingshausen mit steinernen
Mauern (10. Jahrh.); Bischof Wunnibald legt
den Grund zur Dingshauser Stadtkirche (12.
Jahrh.); Einführung der Reformation in Dings-
hausen (16. Jahrh.); Tilly brandschatzt die Stadt
im 30jährigen Krieg (17. Jahrh.); Gründung der
Dingshauser gemeinnützigen Sozietät (18. Jahrh.);
die 25jährige Feier des Sedantages auf der
Bürgerwiese (19. Jahrh.). Auf der Mehrzahl
dieser Bilder werden Pergamente entrollt, Ur-
kunden unterzeichnet, Tücher geschwenkt; bunt-
gekleidete Knaben sind damit beschäftigt, das
Stadtwappen zu halten, und ernstblickende
Männer sinnen nach, daß das gemeine Wesen
keinen Schaden erleide. Das Ganze aber wird,
wie der Herr Bürgermeister in der Einweihungs-
rede hervorhebt, dazu beitragen, den Sinn für
das Gemeinwohl, die Liebe zur Heimat und
zum angestammten Herrscherhause mächtig und
dauernd in den Herzen unserer lieben Mitbürger
von Dingshausen zu fördern.

Es kann nicht verschwiegen werden, daß
die Stadt Stuttgart, als sie an die malerische
AusBchmückung ihres neuen Hauses herantrat,
es verschmäht hat, dem Vorgange von Dings-
hausen (das auf der Landkarte des Deutschen
Reiches ungeiähr an dreißig bis fünfzig ver-
schiedenen Stellen zu finden ist) zu folgen.
Robert Haug, dem die Ausmalung des großen
Sitzungssaales und eines daranstoßenden kleineren
Raumes übertragen wurde, hat dort ein paar
schwäbische Landschaften, hier einen Zug der
Gewerke an die Wände gemalt. Sollen wir
den Künstler schelten oder ihm danken für
diese Stoffwahl? Suchen wir uns vorerst darüber
klar zu werden, was ihn bestimmt haben mag,
gerade diese Wahl zu treffen.

* Der Stuttgarter Morgenpost entnommen. D. Red.

Haug ist als Maler in der Wahl seiner
Gegenstände durchaus kein wirklichkeitscheuer
Ästhet. Er gehört sogar zu den sehr seltenen
Künstlern, die wirklich volkstümliche Stoffe zu
packen und allgemein verständlich zu gestalten
wissen, ohne im geringsten die Vornehmheit
ihrer Ausdrucksmittel aufzugeben und ins trivial
Anekdotische zu verfallen: man erinnere sich
an Bilder wie den „Morgen vor der Schlacht“
oder den „Blücher am Rhein“. Sollte also der
Versucher an ihn herangetreten sein und ihm
zugeflüstert haben: „Lieber, male uns einen
Zyklus aus Stuttgarts Vergangenheit!“, so hätte
gewiß nicht ein Gefühl des Nichtkönnens oder
prinzipielle Abneigung gegen alles, was nach
„Historienmalerei“ schmeckt, ihn die Versuchung
zurückweisen lassen. Ja, man darf sagen: wenn
Einer einen solchen Zyklus so malen könnte,
daß er noch einigermaßen künstlerisch wirkte,
so wären es nicht die zu Unrecht patentierten
Wand-Historienmaler wie Prell oder Peter
Janssen, sondern am besten würde es immer
noch Haug machen. Aber er sagte sich wohl —
oder, wenn jener Gedanke überhaupt nicht an
ihn herangekommen ist, so sagen wir es uns:
Jene Zyklen, wie sie heute zusammengestellt
und ausgeführt werden, können gar nicht
künstlerisch wirken. Ihre ganze Konzeption ist
unkünstlerisch, denn sie ist rein verstandes-
mäßig. Das war nun freilich das Programm
für die Zimmer im Vatikan, die Raffael ausmalte,
auch; aber Raffael durfte auf der Grundlage des
gegebenen Stoffes weiterschaffen, frei nach
Herzenslust und Phantasie. Wollte er im selben
Geiste heute den Dingshausern ihre Rathaus-
bilder malen, so würde ihm der trachtenkundige
Herr Archivar schön aufs Kollett steigen!
Denn — und das ist vielleicht die Hauptsache —
nicht nur die Konzeption, sondern auch die
Ausgestaltung im einzelnen wird bei diesen
historischen Serienbildern durch gelehrtes Wissen
und politisch-historische Nebengedanken be-
stimmt. In jedem Gemälde der Serie soll ein
„Bild der Zeit“ gegeben werden — und es wird
nur ein bis auf jeden Knopf und jede Tresse
genaues Bild des Zeitkostüms gegeben; es
soll bürgerlicher Gemeinsinn, ausharrender Opfer-
mut, aufblühende geistige Kultur geschildert
werden — und wir sehen leere Zeremonien,
falsches Pathos, selbstgefällig gespreizte Posen.
Ferner: diese Bilder, die doch auf die Wand
gemalt, also für einen ganz bestimmten Raum
geschaffen sind, logischerweise also eben diesen
Raum mit den Mitteln der Malerei künstlerisch
gestalten helfen sollten — sie könnten in den
meisten Fällen an jeder beliebigen Wand hängen,
den Raum aber, in dem sie sich nun einmal
befinden, helfen sie nicht ausgestalten, sondern
sie verengern ihn und machen ihn unruhig mit
dem Wirrwarr ihrer aus der Fläche heraus-
agierenden Gestalten, mit diesem Durcheinander

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