MODERNE GRABMÄLER.
verschiedentlich auf eine notwendige Reform
der Grabmalkunst hingewiesen hat, will seine
November-Nummer diesem neu erschlossenen
Kunstgebiet widmen.
Und endlich wird die „Wanderausstellung
zur Hebung der Friedhofs- und Grabmalkunst“,
welche die Wiesbadener Gesellschaft für bildende
Kunst in Verbindung mit dem von Dr. Deneken
geleiteten Kaiser-Wilhelm-Museum in Krefeld
veranstalten wird, auch hier am Rhein die neuen
Bestrebungen weiteren Kreisen vermitteln und
den aufstrebenden und nach Betätigung sich
sehnenden Kräften ein neues reiches Arbeitsfeld
eröffnen.
Hoffentlich wird es diesmal eine wirkliche
Reform. Schon einmal hatte man gehofft, die
schlimmsten Zeiten des Ungeschmacks über-
wunden zu haben: die schwarz beschriebenen
Porzellanplatten, zuweilen in Buchform, manch-
mal mit einer Kabinettphotographie des Ver-
storbenen geschmückt, waren im Verschwinden
begriffen. Zur vollen Entwicklung war diese
greuliche Mode zum Glück noch nicht gekommen,
sonst hätten wir es vielleicht noch erlebt, auch
noch den angerauchten Pfeifenkopf des Seligen
und die Kaffetasse „der Hausfrau“ darauf abge-
bildet zu finden. Bei der steigenden Wohlhaben-
heit unseres Volkes war mittlerweile mit Syenit
und Granit ein edleres und beständigeres Material
zur Geltung gekommen. Aber leider ist nun
gerade das Prunken mit dem Material unseren
Friedhöfen erst recht zum Fluch geworden.
Zuerst waren es schlichte Steine mit sauberer
Inschrift; aber immer auffälliger wurde die Form
und immer breiter, reklamehafter die Goldschrift.
Schließlich waren es Turmspitzen mit Giebeln
und Gesimsen, mit Rosetten und Ziersäulen, mit
Quadern und Knöpfen und dem ganzen Plunder,
den man bis vor kurzem „Kunstgewerbe“ nannte.
So sieht denn ein Teil, und gerade der den Erb-
begräbnissen vorbehaltene Teil,unserer Friedhöfe
aus wie eine Niederlage der Steinmetzzunft oder
vielmehr wie ein Musterlager nordischer Smirgel-
und Polierwerke, und man wäre gar nicht er-
staunt, wenn man läse, nicht: Hier ruht der
ehrenwerte Herr Soundso, sondern: „IalaHoch-
glanzpolitur der Firma Andersen & Bendersen“.
Der einzige Gedanke, den diese vor lauter
Schleiferkunst geschmacklosen Steinblöcke aus-
sprechen, ist doch wohl der: „Ich habs, Gott
sei Dank, dazu“, d. h. gehabt. Es sind Denk-
mäler der schönsten Parvenukultur, die je die
Erde gesehen, Dekorationen des Todes, wie die
schöne Leichenrede und die schöne Kirchen-
zeremonie und wie so vieles in Kunst und Leben
heute eine schöne, leere Dekoration ohne tieferen
Sinn geworden ist, ein leichtes Spiel mit den For-
men, die einsternsten Sinn und Gedanken bargen.
Wenn man aber irgendwo Sinn und Gedanken
von einem Kunstwerk verlangen kann, dann
ist es auf den Friedhöfen, nicht bei dem ein-
fachen Grabmalschmuck, von dem ich hier nicht
reden will, sondern vor allem bei der eigentlichen
Grabmalkunst. Die Friedhöfe sind ja die Stätten,
wo die Philosophie der Menschheit wahrschein-
lich angefangen hat, wo sie sicher zu Ende geht;
es ist vielleicht schon mehr als bloße Vermutung,
daß das Rätsel des Todes zuerst den Gedanken
an eine jenseitige Welt, an eine Welt des Geistes
und der Geister vermittelt hat. Und Leben und
Tod sind Rätsel geblieben bis heute, trotz aller
Deutungen und Erklärungen und Aufklärungen.
Es hat ja eine Zeit gegeben, die kein Rätsel,
kein Geheimnis, kein Sinnen und Fragen mehr
kannte, der alles, auch Leben und Tod, so furcht-
bar einfach und klar war, die sich so hoch über
alle Scholastik erhaben dünkte und doch inner-
lich ihr so nahe verwandt ist, für die beide die
Welt so ungeheuer einfach ist, daß man ihren
Grund und Zusammenhang in mäßig großen
Lehrbüchern vollständig erklären kann. Und
es ist durchaus nicht zufällig, daß diese Zeit
zusammenfiel mit der Wertschätzung toten
Materials und mechanischer Maschinenarbeit,
mit diesen Formen ohne Sinn und Bedeutung,
und mit einer Kunst, die nur Formen, nur eine
Mache mehr kannte, der aber jeder Gedanke im
Kunstwerk eiri Greuel war.
Aus solcher Betrachtungsweise folgt natürlich
eine andere Gliederung des Stoffs als die sonst
übliche nach rein formalen, stilkritischen Ge-
sichtspunkten. Ich weiß, vor kurzem wäre es
noch eine sehr gewagte Sache gewesen, Kunst-
werke nach Gedanken zu ordnen und im Kunst-
werk nach Weltanschauung zu fragen. Aber
heute darf man es doch schon wieder aus-
sprechen, daß uns am Kunstwerk je länger je
weniger allein die Form und Ausdrucksweise,
die bloße Mache interessiert, sondern vor allem
auch das „Wer“, die Künstlerpersönlichkeit, das
künstlerische Ich, das sich im Kunstwerk aus-
spricht und in seiner eigenen Weise seine Welt-
anschauung und sein Weltgefühl offenbart. Und
wenn des Künstlers Anschauungskreis irgend
mit den Ideen seiner Zeit Berührung hat, wenn
es wahr ist, daß die feinfühlige Künstlernatur
die kommende Entwicklung des Zeitgeistes
vorausahnt, das tiefste Sehnen seines Volkes
versteht und — erfüllt, so müssen also auch die
Kunstwerke in ihrer Weise den Geist der Zeiten
spiegeln. Wenn darum heute wie selten vorher
die Gedanken der Menschheit im Fluß sind und
die Ideen einer ganzen Welt und von Jahr-
tausenden durcheinandergären, so wird sich
etwas davon auch da äußern, wo die Probe auf
das Leben und die Kultur gemacht wird, da wo
„der Tod das Leben verklagt“.
Es sind in der Tat die verschiedensten Gefühle
und Gedankengänge, die da in den Grabmälern
der letzten Jahrzehnte anklingen: Schmerz,Trauer,
Wehmut, Abschiednehmen und Wiederfinden,
Auferstehungsglaube und Gerichtserwartung,
XI
409
verschiedentlich auf eine notwendige Reform
der Grabmalkunst hingewiesen hat, will seine
November-Nummer diesem neu erschlossenen
Kunstgebiet widmen.
Und endlich wird die „Wanderausstellung
zur Hebung der Friedhofs- und Grabmalkunst“,
welche die Wiesbadener Gesellschaft für bildende
Kunst in Verbindung mit dem von Dr. Deneken
geleiteten Kaiser-Wilhelm-Museum in Krefeld
veranstalten wird, auch hier am Rhein die neuen
Bestrebungen weiteren Kreisen vermitteln und
den aufstrebenden und nach Betätigung sich
sehnenden Kräften ein neues reiches Arbeitsfeld
eröffnen.
Hoffentlich wird es diesmal eine wirkliche
Reform. Schon einmal hatte man gehofft, die
schlimmsten Zeiten des Ungeschmacks über-
wunden zu haben: die schwarz beschriebenen
Porzellanplatten, zuweilen in Buchform, manch-
mal mit einer Kabinettphotographie des Ver-
storbenen geschmückt, waren im Verschwinden
begriffen. Zur vollen Entwicklung war diese
greuliche Mode zum Glück noch nicht gekommen,
sonst hätten wir es vielleicht noch erlebt, auch
noch den angerauchten Pfeifenkopf des Seligen
und die Kaffetasse „der Hausfrau“ darauf abge-
bildet zu finden. Bei der steigenden Wohlhaben-
heit unseres Volkes war mittlerweile mit Syenit
und Granit ein edleres und beständigeres Material
zur Geltung gekommen. Aber leider ist nun
gerade das Prunken mit dem Material unseren
Friedhöfen erst recht zum Fluch geworden.
Zuerst waren es schlichte Steine mit sauberer
Inschrift; aber immer auffälliger wurde die Form
und immer breiter, reklamehafter die Goldschrift.
Schließlich waren es Turmspitzen mit Giebeln
und Gesimsen, mit Rosetten und Ziersäulen, mit
Quadern und Knöpfen und dem ganzen Plunder,
den man bis vor kurzem „Kunstgewerbe“ nannte.
So sieht denn ein Teil, und gerade der den Erb-
begräbnissen vorbehaltene Teil,unserer Friedhöfe
aus wie eine Niederlage der Steinmetzzunft oder
vielmehr wie ein Musterlager nordischer Smirgel-
und Polierwerke, und man wäre gar nicht er-
staunt, wenn man läse, nicht: Hier ruht der
ehrenwerte Herr Soundso, sondern: „IalaHoch-
glanzpolitur der Firma Andersen & Bendersen“.
Der einzige Gedanke, den diese vor lauter
Schleiferkunst geschmacklosen Steinblöcke aus-
sprechen, ist doch wohl der: „Ich habs, Gott
sei Dank, dazu“, d. h. gehabt. Es sind Denk-
mäler der schönsten Parvenukultur, die je die
Erde gesehen, Dekorationen des Todes, wie die
schöne Leichenrede und die schöne Kirchen-
zeremonie und wie so vieles in Kunst und Leben
heute eine schöne, leere Dekoration ohne tieferen
Sinn geworden ist, ein leichtes Spiel mit den For-
men, die einsternsten Sinn und Gedanken bargen.
Wenn man aber irgendwo Sinn und Gedanken
von einem Kunstwerk verlangen kann, dann
ist es auf den Friedhöfen, nicht bei dem ein-
fachen Grabmalschmuck, von dem ich hier nicht
reden will, sondern vor allem bei der eigentlichen
Grabmalkunst. Die Friedhöfe sind ja die Stätten,
wo die Philosophie der Menschheit wahrschein-
lich angefangen hat, wo sie sicher zu Ende geht;
es ist vielleicht schon mehr als bloße Vermutung,
daß das Rätsel des Todes zuerst den Gedanken
an eine jenseitige Welt, an eine Welt des Geistes
und der Geister vermittelt hat. Und Leben und
Tod sind Rätsel geblieben bis heute, trotz aller
Deutungen und Erklärungen und Aufklärungen.
Es hat ja eine Zeit gegeben, die kein Rätsel,
kein Geheimnis, kein Sinnen und Fragen mehr
kannte, der alles, auch Leben und Tod, so furcht-
bar einfach und klar war, die sich so hoch über
alle Scholastik erhaben dünkte und doch inner-
lich ihr so nahe verwandt ist, für die beide die
Welt so ungeheuer einfach ist, daß man ihren
Grund und Zusammenhang in mäßig großen
Lehrbüchern vollständig erklären kann. Und
es ist durchaus nicht zufällig, daß diese Zeit
zusammenfiel mit der Wertschätzung toten
Materials und mechanischer Maschinenarbeit,
mit diesen Formen ohne Sinn und Bedeutung,
und mit einer Kunst, die nur Formen, nur eine
Mache mehr kannte, der aber jeder Gedanke im
Kunstwerk eiri Greuel war.
Aus solcher Betrachtungsweise folgt natürlich
eine andere Gliederung des Stoffs als die sonst
übliche nach rein formalen, stilkritischen Ge-
sichtspunkten. Ich weiß, vor kurzem wäre es
noch eine sehr gewagte Sache gewesen, Kunst-
werke nach Gedanken zu ordnen und im Kunst-
werk nach Weltanschauung zu fragen. Aber
heute darf man es doch schon wieder aus-
sprechen, daß uns am Kunstwerk je länger je
weniger allein die Form und Ausdrucksweise,
die bloße Mache interessiert, sondern vor allem
auch das „Wer“, die Künstlerpersönlichkeit, das
künstlerische Ich, das sich im Kunstwerk aus-
spricht und in seiner eigenen Weise seine Welt-
anschauung und sein Weltgefühl offenbart. Und
wenn des Künstlers Anschauungskreis irgend
mit den Ideen seiner Zeit Berührung hat, wenn
es wahr ist, daß die feinfühlige Künstlernatur
die kommende Entwicklung des Zeitgeistes
vorausahnt, das tiefste Sehnen seines Volkes
versteht und — erfüllt, so müssen also auch die
Kunstwerke in ihrer Weise den Geist der Zeiten
spiegeln. Wenn darum heute wie selten vorher
die Gedanken der Menschheit im Fluß sind und
die Ideen einer ganzen Welt und von Jahr-
tausenden durcheinandergären, so wird sich
etwas davon auch da äußern, wo die Probe auf
das Leben und die Kultur gemacht wird, da wo
„der Tod das Leben verklagt“.
Es sind in der Tat die verschiedensten Gefühle
und Gedankengänge, die da in den Grabmälern
der letzten Jahrzehnte anklingen: Schmerz,Trauer,
Wehmut, Abschiednehmen und Wiederfinden,
Auferstehungsglaube und Gerichtserwartung,
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