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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 10.1905

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Nr. 11
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Franck, G.: Moderne Grabmäler
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Kühl, Gustav: Unsere Musikbeilage
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https://doi.org/10.11588/diglit.26235#0210

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ODERNE GRABMÄLER.

Von G. FRANCK.

Wer sich ein Bild machen will von der Kultur
eines Volkes, der darf nicht achtlos vorübergehen
an seinen Friedhöfen und Grabmälern; sie werden
dem, der ihre Zeichen zu deuten weiß, zu eigen-
artigen Spiegelbildern ihrer Zeit. Man stelle
nur einmal attische Grabstelen und ägyptische
Toten-Statuen nebeneinander, diese Denkmäler
einer aufblühenden und einer absterbenden
Kultur, Zeugnisse von einem Kultus des Lebens
und einem Kultus des Todes, Pole zweier Welten.
Auf der Stätte des Todes wird die Stellung des
Menschen zum Leben offenbar, das was das
Leben trägt und treibt, das was die Menschen
aneinander und ans Leben bindet, was sie hebt
oder erdrückt; wieviel im Sichgebaren eines
Geschlechtes naive Kraft ist und wieviel Pose,
wieviel Ruhe ist und Selbstsicherheit und wie-
viel Unruhe und Zweifel. Von dem allen wird
sich auch auf unseren Friedhöfen etwas zeigen.
Aber noch etwas anderes zeigen sie, etwas Selt-
sames: wir sehen auf den Friedhöfen unserer
Zeit die Formen und Rudimente der Kulturen
aller Zeiten durcheinandergären. Man braucht
nur einmal durch die Gräberfelder einer Groß-
stadt zu gehen, und man hat da eine Übersicht
über einige Jahrtausende Kultur- und Kunst-
geschichte. Man findet sie da alle beieinander
die verkleideten Gestalten derVorzeit: ägyptische
Pyramiden, hellenische Tempel, sogenannte
Heroa, mit ihren Marmorbildwerken, geflügelte
Genien, einst die Torwächter der Assyrer, dann
die Engel der Juden und die Niken der Griechen,
attische Grabstelen, griechische Trophäen in
römischer Formgestaltung, Altäre von Pompejis
Gräberstraße, lykische Sarkophage, halb ver-
hüllte, mit Tänien umwundene Aschenurnen und
nordische Steinsetzungen, eine seltsame Samm-
lung von Formen und Gestalten aus aller Welt.

Je bunter das Bild ist, desto deutlicher zeigt
sich auch auf unseren Friedhöfen der verborgene
Zug unserer Zeit: ein Tasten und Suchen nach
neuen Gedanken und neuen Formen, eine Sehn-
sucht nach einem neuen Stil.

Andere, naivere Zeiten hatten ihren Stil, oft
ohne daß sie es wußten. Der Norddeutsche hatte
einen solchen, als er seine Gräber mit wuchtigen
Steinplatten deckte; die Athener hatten ihn, als
sie auf ihre Steinsäulen die schlichten Abschieds-
und Familienszenen meißelten; die Brüder-
gemeinde hat ihn, wenn sie auf der Wahlstatt
des großen Gleichmachers kein Denkmal duldet;
der Anfang des vorigen Jahrhunderts hatte seinen
Stil, wenn es auch nur ein Spiel war mit antiken
Formen, mit geborstenen Säulen und verhüllten
Urnen. Heute aber suchen wir sehnsüchtig nach
einem neuen eigenen Ausdruck unserer Emp-
findungen und unseres Geschmacks. Und gerade

in diesem Jahre beginnt man allenthalben dieser
Zeitaufgabe näher zu treten. Auf der Ausstellung
der „Vereinigung für angewandte Kunst“ in
München versucht Paul Thiersch eine künst-
lerische Friedhofsstimmung zu geben. Man mag
über die ausgestellten Grabmäler denken wie
man will, man mag es bedauern, daß auch die
Friedhofskunst nunmehr in den Ausstellungs-
betrieb hineingezogen wird, dennoch isi es erfreu-
lich, wenn es so den weiten Kreisen genügsamer
Bürger einmal zum Bewußtsein kommt, wie lang-
weilig und stimmungslos ihre Friedhöfe sind.

Schon vorher hatte die „Vereinigung erster (!)
Künstler für Grabmalplastik“ in München sich
gebildet, um der Formenverarmung, fast möchte
ich sagen dem Formenelend der letzten fünfzig
Jahre zu steuern. Am interessantesten ist es,
wie man hier z. B. durch leise Änderungen und
Abschwächungen des hergebrachten Kreuztypus
auch das Gesamtbild erträglicher und weniger
eintönig zu gestalten sucht. Denn auch das
Kreuz, so stimmungsvoll, wenn es einzeln, auf
der Fläche verstreut, aus Rosensträuchern und
Holunderbüschen hervorschimmert, es verliert
seinen Sinn, wenn es auf neu und schnell
besetzten Gräberfeldern herdenweise auftritt,
sektionsweise ausgerichtet und offenbar in einer
und derselben Fabrik nach einem und demselben
Schnitt und Schema angefertigt.

Auch das Stultgarter „Christliche Kunstblatt“,
das unter seinem neuen Herausgeber schon

408

Grabkreuz. (Vereinigung Münchener Künstler
für Grabmalplastik.)
 
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