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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Editor]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 10.1905

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Nr. 8
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Frobenius, Hermann: Künstliche Kunst-Metamorphosen
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https://doi.org/10.11588/diglit.26235#0088

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Künstliche

KUNST-METAMORPHOSEN.

Von HERMAN FROBENIUS.

AUe io—20 Jahre tritt im deutschen Vater-
lande eine fröhliche Umwertung aller künst-
lerischen Werte ein und man kann nicht nur im
„Feuilleton“ der Tageszeitungen, sondern auch
in den Büchern von Professoren Bekenntnisse
lesen, wie das von Rich. Muther in seiner
„Geschichte der englischen Malerei“ über
Wilson: „Was ich früher über diesen Meister
schrieb, erscheint mir heute verfehlt. Die ge-
ringe Beachtung, die ich ihm schenkte, erklärt
sich nur daraus, daß damals der ganze Klassi-
zismus, auch Claude selber in Mißkredit war.
Jetzt ist er es nicht mehr“, was doch nur
so viel heißen kann: weil die öffentliche
Meinung, nämlich das Geschwätz in Ateliers
und in Künstlerkneipen, in einem andern Jargon
sich bewegt, wertet Herr Muther unverzagt und
mutig einige alte Werte um.

Und unsere Zeitgenossen fahren fort in diesem
Werke und bisweilen noch bei weitem gründ-
licher. Vor etwa 12—13 Jahren war Richard
Muthers „Geschichte der Malerei im ig. Jahr-
hundert“ das Buch, welches die allgemeinen
Ansichten ausdrückte, heute scheint dies das
Buch von Julius Meier-Gräfe zu tun.

Es war damals die Zeit, als die modernen
künstlerischen Bestrebungen sich zum ersten-
mal kräftig zu regen begannen. Und wenn
auch viel, viel Unreifes damals an den Wänden
hing, so sah es doch frühlingshaft und wage-
mutig aus, ja auf alle Fälle ganz anders, als
unsere heurige deutsche, nebenbei auch nicht
viel reifere Abteilung auf der Internationalen
in München, wo Langeweile von Bild zu Bild
schleicht und einen grauen Schleier deutscher
Temperamentlosigkeit mit müden Händen über
die Wände spannt.

Man gähnte damals vor den Modernen we-
niger, man hoffte dafür, denn es duftete etwas
von würzigem Erdgeruch in diesen jungen
Schöpfungen, das leider längst einem ästhe-
tisierenden Spintisieren über Kultur und vor-
nehme Allüren zum Opfer gefallen ist. Da-
mals hat man neue Mittel geschaffen, die man
heute ins Konventionelle oder Absichtliche zu
verfälschen bemüht ist.

Gleichzeitig setzte eine Begeisterung für
Thoma und Böcklin ein, die zunächst durch
deren Selbständigkeit gegenüber den alten Mei-
stern erklärlich wurde, eine Selbständigkeit, die
man ihnen damals ganz rückhaltlos zusprach.
Im deutschen Volke war diese Begeisterung
echt, nicht deshalb, weil es die beiden bewußt
künstlerisch verstanden hätte, es war vielmehr
ein instinktives Empfinden, die modernen Maler
dagegen schüttelten meist schon damals die

Köpfe, denn sie verstanden die beiden ebenso-
wenig und wußten auch leider keinen Weg zu
ihnen zu finden, trotz ihres Künstlertums.

Den Feuerbach warf man damals als Klassi-
zisten, als langweilig und unbrauchbar bei-
seite.

Dafür berauschte man sich an den Schotten,
deren brillante, anfangs lediglich freche Mache
und entschiedenes zielbewußtes Können dem
deutschen Tasten nach neuen Dingen ganz er-
staunlich imponierte.

Wer Einsicht besaß in die Verhältnisse,
mußte sich jedoch sagen, daß alle diese Urteile,
auch der wohlverdiente Ruhm Böcklins und
Thomas, nicht unangefochten bleiben würden,
weil man, was diese beiden speziell angeht, die
berechtigten Gründe dafür nicht einsah und so
in eine Begeisterung sowohl für gute als auch
für ganz minderwertige Arbeiten ohne allen
und jeden Unterschied verfiel, die notwendig
einen Rückschlag hervorrufen mußte.

Hätte man damals Böcklin verstanden und
seine Grundgedanken, die teilweise auch in
Hildebrands „Problem der Form“ niedergelegt
sind, einem Buche, das damals gleichfalls er-
schien und bezeichnenderweise gänzlich un-
beachtet blieb, ich sage, hätte man diese so
gesunden Gedanken über künstlerische Form
und künstlerische Tätigkeit mit dem neuen
Beobachtungsmaterial der Modernen vereinigt,
so wäre man den richtigen Weg gegangen.
Aber damals sah man Hildebrand noch sehr
von der Seite an, und von dem größten der
Franzosen, von Puvis de Chavannes, sprach man
überhaupt nicht mehr gern.

Hervorgehoben muß aber eines werden:
München bewahrte sich trotz alledem vor Ein-
seitigkeit und auch vor einer unbedingten in-
toleranten Gehässigkeit, so daß in der Sezession
doch hie und da wenigstens sogar ein ent-
schieden romantischer Ton anklingen durfte.
Und Romantik nannte man ja allmählich alle
jene Grundgedanken, die frühere Künstler-
geschlechter gepflegt hatten.

Man verrannte sich. Eine trockene kühle
Beobachtung der Natur, die objektiv sein sollte,
aber doch den Hauptwert auf die Farbe legte,
galt eigentlich allein als Kunst. Ob eine
Beobachtung der Natur objektiv ist, die mit
farbigen Gläsern in Atelierfenstern und grauen
Gläsern vor der Landschaft arbeitet, die Auto-
mobillaternen benutzt und das Modell hinter
farbige Scheiben stellt, möge jeder selbst be-
urteilen. Bequem war es jedenfalls, die Dürre
der allgemeinen Geistlosigkeit hinter das Wort
„absolute Malerei“ zu verstecken. Verfechter
in der Presse fanden sich selbstverständlich.
Hatten die alten Meister verlangt, man solle
eine Situation so gut beobachtet schildern, daß
man glaube, selbst dabei zu sein (Lionardo),
legte die Hochrenaissance und gerade Rembrandt

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