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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 10.1905

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Valentiner, Wilhelm Reinhold: Eugène Fromentins "die alten Meister"
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Schmitthenner, Adolf: Die Entdeckung des Heidelberger Schlosses vor hundert Jahren
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Die entdeckung des heidel-

BERGER SCHLOSSES VOR
HUNDERT JAHREN.

Von ADOLF SCHMITTHENNER.

Als sie zu steigen begannen, fing das Geläute
an, und während sie an den Häuschen hin
die schmale Gasse hinaufwanderten, eilten die
Kirchgänger an ihnen vorüber in die Stadt hinab;
dabei ruhten die Augen der Gesangbuchträger
mit Neugier oder mit Wohlgefallen auf den
edlen Gestalten. Die Männer schauten die junge
Frau an, und wenn die Blicke zu dem hoch-
gewachsenen Gatten hinüberschweiften, so ge-
schah es nur deshalb, weil man schauen wollte,
wie der Mann aussehe, dem ein so holdes
Geschöpf zu eigen sei. Die Frauen und Mädchen
aber betrachteten entzückt den schönen Knaben,
der zwischen Vater und Mutter glückselig dahin-
schritt.

Den Eltern aber wurde es feierlich zumute.
Hinter ihnen her und über die Häuser herein
rauschte das Geläute. Sie spürten, wie rings
um sie der Zug wirksam war hinunter zu
den rufenden, sammelnden Glocken; sie aber
fühlten sich ausgenommen, frei und sich selbst
genug, sie ließen die Andern vorüberziehen und
stiegen hinauf und hinaus in die Höhe und in
die Einsamkeit.

Unwillkürlich schauten sie einander an und
lächelten. In dem Manne schwoll die Sehn-
sucht. Sie sah es seinen Augen an, und sie
lächelte wieder, so, wie überlegene Güte dem
Ungestüm lächelt.

„Hast du gewußt, daß heute Sonntag ist?“
fragte sie.

„Einen Augenblick dachte ich gestern daran,
als das Gewitter am schlimmsten tobte und
ich mit dem Kutscher die Pferde hielt. Ich
weiß nicht, wie es kam. Als ich den bäumenden
Braunen herunterriß und der Boden zitterte
unter dem Donner, der uns über den Köpfen
hinrollte, dachte ich: morgen ist Sonntag! und
ich wurde ganz ruhig.“

„Und weißt du, was mir alle Furcht ge-
nommen hat? Das stille Pfeifen des Fuhr-
manns, mit dem er die Pferde besänftigte, und
zwischenhinein aus der Finsternis deine Zu-
rufe, die ich zwar nicht verstand, aber die
mir doch sagten: er ist da. Das einzige Wort,
das ich verstanden habe, war ,Portugal‘. Por-
tugal ? Darüber verwunderte ich mich also,
daß ich leicht über den Schrecken hinaus
kam, als der Blitz nicht weit von uns in den
Bergwald schlug. Was wolltest du eigentlich
mit Portugal?“

„Ich habe dir zugerufen: Bei diesem Un-
wetter fahren wir nicht bis Weinheim, sondern
bleiben in Heidelberg über Nacht im König
von Portugal.“

„O, unsere Herberge hat einen so stolzen
Namen?“ rief der Knabe. „Und ich habe sie
noch gar nicht einmal recht angesehen!“

„Ich auch nicht, mein Sohn,“ sagte die Mutter.
„Ich war todmüde und bin ins Bett gesunken
und eingeschlafen, ohne recht zu wissen, wo
wir sind.“

„War ich auch so müde?“ fragte der Knabe.
„Du bist sogar nicht einmal aufgewacht,“
sagte der Vater. „Wir haben dich als einen
Schlafenden aus der Kutsche ins Bett getragen,
der Aufwärter und ich.“

„Ach, der dumme Schlaf!“ rief der Knabe.
„Wir haben schon so vieles erlebt, und ich habe
alles verschlafen: die französischen Sappeurs
mit ihren langen Bärten, die von euch Brot
und Wein und Geld wollten, dann die Zigeuner,
die euch zu ihrer Hochzeit einluden, beim
großen Feuer, mitten im Wald, und nun gestern
nacht das schöne Gewitter! Wenn ihr wieder
ein Abenteuer erlebt, müßt ihr mich aufwecken.“
Unter diesen Reden hatten sie den Hügel
erstiegen. Es hatte ausgeläutet. Sie wandten
sich um und schauten hinüber und hinab und
hinaus.

„O wie schön!“ riefen sie eines Mundes.
„Es ist doch gut, daß wir den Berg hinauf-
gegangen sind,“ meinte das Kind.

„Das steckt uns in den Beinen,“ sagte der
Vater. „Wohin wir auch kommen mögen, wir
müssen und müssen den Berg hinauf und von
oben hinunterschauen.“

„Aber der Berg da drüben wäre höher ge-
wesen,“ rief der Knabe.

„Wo mag denn nur das Kurfürstenschloß
stehen?“ fragte die Frau. „Unten in der Stadt
oder draußen in der Ebene?“

„Es muß auf der Höhe liegen,“ erwiderte
der Gatte, „denn es ist eine alte Burg, und wo
solche Berge sind wie hier, haben die Vor-
fahren keine Schlösser in die Tiefe gebaut. Ich
möchte glauben, daß es hier oben läge; aber
das war kein Burgweg und keine Schloßstraße.“
„O Vater, o Mutter, schaut!“ rief in diesem
Augenblick die Stimme des Knaben. Er war
einige Schritte weiter vorgelaufen und stand
mit ausgebreiteten Armen da. Die Eltern gingen
ihm nach und sahen nun zu ihrer Freude das
Schloßtor und den überbuschten Wall mit seiner
tiefen Mauer vor sich liegen. Über dichtes Ge-
büsch und zwischen hohen Bäumen schimmerten
hochragende Wände und verhießen eine geheim-
nisvolle Welt.

„Wie schade! Ich habe mein Zeichenbuch
vergessen!“ rief der Vater. „Ich eile zurück in
das Gasthaus, es zu holen.“

„O bleibe hier und zeichne mit den Augen,“
bat die Frau.

„Wir müssen heute mittag weiter fahren,
und das hier ist so schön, das darf in meinem
Buche nicht fehlen.“

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