Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 10.1905

DOI Artikel:
Baumann, Rudolf G.: Des Klausners Gebet
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.26235#0053

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
ES KLAUSNERS GEBET.

Von RUDOLF BAUMANN.

Die nachfolgende Schnurre ist aus „Waldspuk 44, dem
ersten Buch eines bis dahin unbekannten Schweizers
R. Baumann, genommen (Verlag von Schulthess & Co.,
Zürich). Phantastische Geschichten, irgendwo ins Märchen-
hafte abspringend — wie auch hier, da wo der Waldschrat
erscheint — alle treuherzig die Natur schildernd und aus
ihren Wundern unmerklich in phantastische Träume über-
gehend, zeigen sie ein Talent, das hier und da noch
ungeschickt, im Ganzen aber die Sorgfalt und Sprachzucht
der schweizerischen Schriftsteller beweist. Bezeichnend ist
die Geschichte von den Wintertöchtern, wo ein Dichter in
den Wald steigt, um den Winter zu besingen. Was er
sich selbst zurecht denkt, ist ärmlich; auch was ihm, dem
Erfrierenden, die Wintertöchter erzählen, wird nichts Rechtes,
bis sie ihm auf einmal einen Eisspiegel vorhalten. Da
beginnt ein Spiel, das, eines grossen Dichters würdig, die
Poesie des Winters in wundervollen Bildern wie in einem
Kaleidoskop erscheinen lässt: ,,Der Spiegel drehte sich“,
und jedesmal eine andere Winterwelt.

Es mag sein, dass mürrischen Leuten ein solches Buch
nicht gefällt; es gehört der reiferen Jugend und mehr noch
den Erwachsenen, die sich ihr Kinderherz ein wenig ver-
wahrt haben, wenn auch nur für Sonntagsstunden. S.

*

*

*

„Düdeldü“ machte ein kleines Vögelchen,
und „düdeldö“ ein anderes.

Die beiden saßen bei Sonnenaufgang auf
der Klause des frommen Vaters Emeranzius
und suchten eben nähere Bekanntschaft, behufs
späterer Verehelichung, denn der Frühling war
vor der Tür.

Ganz vor kurzem war der Schnee weg-
gegangen auf dem Berg im Wald, und wenn
keiner mehr kam, fing der Frühling laut Kalender
wirklich an.

Indem kam auch der fromme Vater zur rohen
Tür heraus und blinzelte vergnüglich in den
Sonnenschein. Das runde Gesicht wurde rosig
angehaucht.

Jetzt, wo es wärmer war, wurde er wieder
reinlicher und besuchte fleißig am Morgen den
Springquell, der neben der kleinen Holzhütte
silbern plätscherte. Erst wusch er sich das
breite Gesicht und die haarigen großen Hände,
dann zog er sogar noch die Plattfüße aus den
schweren Sandalen und ließ sie vom Wässerchen
bespülen. Eine struppige Krähe hinkte hinter
ihm her, blinzelte schlau und nahm mit dem
dicken Schnabel einen Morgentrunk. Darauf sah
sich der gute Emeranzius eben in seinem Gärt-
chen um und verschwand wieder.

Der schwarze Vogel gab sich vergebliche
Mühe, sein ruppiges Gefieder glatt zu legen, und
suchte einen Imbiß unter einem Haufen Allerlei.
Aus der Hütte stieg indes ein graues Räuchlein,
und es roch nach Zwiebeln.

Draußen war alles hell und sonnig. Insekten
summten, es säuselte lau, es blühte und sproßte,
Zufriedenheit und wohlige Ruhe lag auf der
kleinen Lichtung.

Die Klause, ein Klümpchen Bretter und
Balken, stand an einen Fels gelehnt mitten im
Wald; daneben war noch etwas, das einer
winzigen Kapelle glich, teils im Fels, teils daran
gebaut, mit einer schmalen Pforte und einem
rankenumsponnenen Fensterloch.

Jetzt kam der fromme Mann wieder aus
seinem Haus. Auf dem breiten gutmütigen
Gesicht lagen bange Sorgen und die Röte eines
handfesten Frühstücks. Sonst lag nichts darin,
weder Weisheit noch Verstand, höchstens viel-
leicht etwas dummfröhliche Einfalt.

Mit einem tiefen Seufzer öffnete er das Tür-
chen zur Kapelle und warf sich stöhnend vor
ein sonderbares Heiligenbild. Kräftig rang er
die muskelstarken Arme, bog sich vor- und rück-
wärts, auf und ab, und brummte dabei unauf-
hörlich ein längliches lateinisches Gebet, das
sich oft wiederholte. Immer stärker und schneller
betete er, bis sich auf seiner Nase ein paar
Schweißtröpfchen begegneten. — Ah! — Da
glättete sich seine Stirn, er verdoppelte die An-
strengungen, betete immer lauter im rollenden
Baß und fing an vergnüglich zu grinsen, als
auch noch sein zottiger Rücken sich feuchtete.
Zum Schluß rasselte er noch einmal den ganzen
Spruch durch, sprang auf, nahm einen Trunk
aus dem Quell, ergriff ein großes Baummesser
und verschwand froh und falsch pfeifend im
Tannenwald.

Der fromme Vater Emeranzius war ein
Klausner und betete jeden Tag, bis er schwitzte.

Das kam so:

Eigentlich hieß der Vater Peter Stump. Er
hatte den Namen aber abgelegt, seit er fromm
geworden war, und sich Emeranzius getauft.
Das war der einzige lateinische Name, den er
sich je gemerkt hatte, und ein Klausner konnte
doch nicht Stump heißen, da täten sich ja die
Engel im Himmel seiner schämen, wenn er
später einmal zufällig heilig werden sollte.

Peter Stump war schon alles mögliche ge-
wesen, aber überall hatte er Unglück gehabt.
Jedermann hatte ihn übers Ohr gehauen, selbst
seine Frau war ihm gleich wieder weggelaufen.
Zuletzt hatte er Handgeld genommen und war
als Kriegsknecht beim grimmen Ritter Kellerstein
in Dienst getreten. Aber der fluchte so entsetz-
lich. Und als Stump einmal bei einem Überfall
des Ritters zwei Rosse halten mußte, und
zwischen den Bäumen hindurch ein mächtiges
Hauen und Stechen sah, band er die Gäule an
einen Stamm und lief schnurstracks voller Angst
davon. Wie das der Ritter Kellerstein nachher
merkte, soll er so fürchterlich geflucht haben,
daß die Pferde alle hinten ausschlugen und ein
Eichhörnchen tot aus dem Baum fiel; und er
soll geschworen haben, wenn er den Stump
erwische, ihn in Brennesselbrühe zu dämpfen
und zu Hühnerfutter zu zerkleinern. Das bekam
der tapfere Kriegsknecht von einem früheren

275
 
Annotationen