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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 10.1905

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Nr. 11
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Schäfer, Wilhelm: Der Spielman
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Schäfer, Wilhelm: Unterm Rad
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Hesse, Hermann: Der Rosendoktor
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Kühl, Gustav: Unsere Musikbeilage
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https://doi.org/10.11588/diglit.26235#0243

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ER SPIELMANN.

Eine Rheinsage erzählt von W. Schäfer.

In Mainz ein Spielmann war so alt und
wunderlich, daß keiner mehr nach seiner Geige
tanzen mochte. So ging er auf die Straßen
gleich einem Bettler und spielte seine Lieder
den Leuten vor, die da vorüber gingen. Doch
weil schon damals jeder seine eigene Plage
auf dem Rücken trug, so gab es wenig Ohren,
die ihn geigen hörten, und noch weniger Batzen
in den Hut, so daß er immer mehr den bittren
Hunger leiden mußte. Da ging er eines Tages
in die Kirche, der Mutter Gottes seine schwere
Not zu klagen. Und wie er vor dem Gnaden-
bild die Kerzen sah und das Geschmeide, was
ihr geopfert worden war und seine Taschen
waren leer: da nahm er seine Geige vor und
dachte, sie möchte wohl um seiner leeren
Armut willen sich mit seinem Spiel begnügen,
wenn auch die Menschen es nicht mehr von
ihm begehrten. So fing er gläubig an zu geigen,
und obwohl die Hand sehr mit dem Bogen
zitterte, so floß die Traurigkeit mit in sein Spiel,
so daß er selber dabei fröhlich wurde wie in
der Jugend. Da sah er, wie die milden Augen
lieblich nach ihm sahen und wie die schmalen
Lippen freundlich lächelten. Und als er fertig
war mit seinem Lied, da warf sie ihm den
goldenen Schuh von ihrem Fuß herunter. Ob-
wohl er wunderlich erschrocken war, nahm er
ihn eilends auf als ihre Gabe und ging zum
Goldschmied, um ihn einzulösen.

Wie der den alten Mann besah, schien ihm
der goldene Schuh verdächtig, so daß er nach
den Häschern schickte. Die nahmen ihn sogleich
gefangen, und weil dem alten Mann das Märchen
von dem Schuh kein einziger glauben wollte, so
wurde er am dritten Tage mit einer Schlinge
um den Hals hinausgeführt. Da bat er sich als
letzte Gnade aus, daß er noch einmal vor dem
Gnadenbilde spielen dürfe; und weil den
Menschen die letzte Bitte eines der vom Leben
geht von jeher heilig war, so ließen sie den
alten Mann gewähren, trotzdem sie seine
wunderliche Art verspotteten. Doch wie die
Häscher noch lachend mit ihm vor dem Bilde
standen und ihm die Geige gaben, trotzdem der
Strick ihm an dem Halse hing, fing er an, das
gleiche Lied zu spielen. Und wieder sahen
ihn die milden Augen lieblich an und ihre
schmalen Lippen lächelten, und wie er fertig
war mit seiner Melodie, da warf sie ihm den
andern goldenen Schuh in seinen Hut. Darüber
bekamen die Häscher und alle die dahinter-
standen, einen schweren Schrecken, daß manche
in die Kniee hinsanken vor dem Wunder, und
ihn die Häscher eilends nach dem Richter
führten; worauf die Stadt für seine alten Tage
so reichlich sorgte, daß er den Spielmannshut
fortab auf seinem Kopf behalten konnte.

u NTERM RAD.

Der neue Roman von Hermann Hesse (Veilag
S. Fischer) trägt diesen Titel im Sinn der volkstümlichen
Redensart, dass einer ,,unter die Räder gekommen“ sei.
Weil es diesmal Hans Griebenrath, ein Klosterschüler aus
Maulbronn ist, wird man das Buch den Erziehungsgeschichten
zurechnen, die jetzt an der Mode sind; auch lockt ein Ver-
gleich mit dem ,,Freund Hein“ seines Landmannes Emil
Strauss. Vor allem aber wird man den ,,Camenzind“ darin
suchen; denn dass Hermann Hesse ein anderer sei, als der
Held seines ersten Romans, mag mancher nicht glauben.
Mit all diesen Beziehungen aber täte man dem schlichten
Buch unrecht, das gleich nach dem Camenzind, also vor
dessen Erfolg geschrieben wurde und jetzt erst erscheint.
Es ist weniger drastisch in der Wirkung, einfacher im Stoff,
an keiner Stelle pathetisch, in vielem aber feiner und tiefer,
dem Tragischen in dem humorvollen Sinn nahe kommend,
wie etwa Böcklins ,,Gartenlaube“.

Ein schmächtiger Knabe an Leib und Seele aus einer
kleinen Stadt wird durch unablässig eingeträufelten Ehr-
geiz zu einer Begabung aufgeblasen; bis in den entschei-
denden Jünglingsjahren alles zusammenschrumpft gleich
einem jener roten Gummiballons von der Kirmes, die über
Nacht im warmen Zimmer so jämmerlich vergehen. Der
im Landexamen ,,Zweiter“ wurde und auf der Theologen-
schule zunächst eine Leuchte war, muss an sich selbst zer-
gehen, als in dem Jüngling die unterdrückte Menschlichkeit
seiner Knabenspiele wieder erwacht. Und das ist das er-
greifend Schöne an diesem Buch, wie ganz zuletzt die miss-
handelte Natur in ihm ihre schmächtigen Arme nach dem
übervollen Leben verlangend ausstreckt. Was an Grimm
über einen tölpeligen Vater und schlechte Lehrer doch an
den Leser kam, das verfliegt, wenn in der wundervollen
Herbst- und Kelterzeit auch diesem armen Körper ein Teil
von Gottes Reichtum gespendet wird. Nicht einer, der vom
Leben zerstört, sondern einer, der von ihm aufgesogen
wird: so geht Hans Griebenrath von uns. Und noch
lange, wenn wir längst erfuhren, wie seine Leiche im nächt-
lichen Wasser still abwärts treibt, ist ein Gefühl in uns
von einer schönen Landschaft und einem bunten Leben
darin; und es will uns fast wenig verschlagen, dass darin
einer unter die Räder kam. Und erst ganz zuletzt merken
wir: diese Landschaft und dieses Leben scheinen nur so
schön, weil wir unmerklich mit den Augen eines Jünglings
hinein sahen, dem eine törichte Pädagogik verwehrte, darin zu
wachsen und zu blühen, und der es sterbend um so inniger
aufnahm. Es hiesse gering von dem Buch sprechen, wollte
man es Lehrern und Eltern ans Herz legen, obgleich es
gerade denen nichts schaden könnte: trotz langer Schil-
derungen und auch Betrachtungen ist es eine Dichtung; von
jener schlichten Art, die uns noch lange wandeln lässt wie
staunend, dass solche wunderbaren Dinge alltäglich um
uns sind. S.

Der rosendoktor.

Im ,,Rosendoktor“ (Deutsche Verlagsanstalt, Stutt-
gart) erzählt Ludwig Finckh seine Jugendgeschichte, nicht
als Literat, aber als Dichter. Es wäre leicht, dem Buche
Fehler nachzuweisen, aber schwer wäre es, unter den
heutigen Bücherschreibern einen wärmeren, unverdorbeneren
und keuscheren Menschen zu finden. Künstlerisch mag es
ein Fehler sein, dass er nicht nur Überwundenes erzählt,
dass das Erlebte beim Aufschreiben noch in ihm brannte
und stürmte; dafür fehlt aber auch jede Eitelkeit und falsche
Schönheit, und das Werkchen quillt von heissem Leben
über. Unbekümmert unterbricht der Rosendoktor seine
Geschichte mehrmals, um in bitterer Entrüstung allerlei
faule Dinge im Staate Deutschland mit Namen zu nennen,
die nicht lieblich, aber auch nicht unschön und böse sind.
Ohne es zu wissen, predigt er aber besser und eindring-
licher durch sein Beispiel, durch sein treues Leben und
Glauben und durch den Glanz wahrhafter Liebe, der das
ganze Buch erfüllt und zu einer köstlichen Gabe macht.

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