FRANZ SCHUBERTS einstimmige
LIEDER, GESÄNGE ÜND BALLADEN
MIT TEXTEN VON SCHILLER.
Von LUDWIG SCHEIBLER.
IV.
Dritte Periode: Sept. 1816 bis in Nov. 1818:
Beginnende Meisterschaft, erste Hälfte.
Wir haben jetzt, nach Erledigung der 21
Lieder, Gesänge und Balladen der zweiten
Periode Schuberts als Komponist einstimmiger
Gesangswerke, uns seiner dritten zuzuwenden.
Hier fällt zunächst auf, daß er, nach der starken
Beschäftigung mit Schillertexten im März 1816,
etwa sechzehn Monate verstreichen ließ, ehe er
wieder einen solchen einstimmig komponierte:
das nächste Stück ist 327 II („597“). die zweite
Komposition der Entzückung (An Laura) vom
August 1817. Dann aber setzte er vom September
bis in den November noch fünf Schillertexte in
Musik, meist mittleren Umfanges (von 2, 3, 5,
6 und 10 Seiten). Alle diese sechs Stücke
nehme ich mir die Freiheit für erstklassig zu
erklären, obgleich erst zwei davon (Gruppe aus
dem Tartarus und Thekla eine Geisterstimme)
allgemein anerkannt sind. Auch mein Genosse
H. de Curzon läßt mich hier im Stich: er
erwähnt bei der Besprechung der Lieder von
1817 (S. 37—38) aus den Schillertexten nur den
allbekannten Tartarus - Gesang.
Wie auf S. 168 I Mitte schon kurz erwähnt,
setze ich das Ende von Schuberts zweiter
Periode als Liederkomponist in den Herbst 1816;
er durfte damals mit Schluß des Schuljahrs
sein ihm sehr lästiges Amt als Elementarlehrer
aufgeben, da sein Vater ihm gestattete, sich
wenigstens versuchsweise ganz der Komposition
zu widmen. Denn Franz von Schober (geb.
17. Mai 1796), neben Josef von Spaun der wich-
tigste und treueste seiner vielen Freunde, der
für Schuberts Lieder begeistert war, erbot sich,
zunächst für Wohnung und Unterhalt zu
sorgen. Wenn sie wohl auch nur bis Frühjahr
1817 zusammen wohnten (vergl. 272 I unten), so
wirkte die Befreiung von der Schulfron auf
Schubert doch epochemachend.
Ebenso wie im Herbst 1814 in Schuberts
Liederkomposition eine wesentlich reifere Pe-
riode begann, so auch genau zwei Jahre später.
Schon früher (S. 135 I unten), bei Gelegenheit
von Beethovens Liederkreis, habe ich vom
Anfang der neuen Periode mit September 1816
gesprochen. Man nehme ein chronologisches
Verzeichnis von Schuberts sämtlichen einstim-
migen Gesangswerken zur Hand, und man wird
hnden, daß er auf diesem Gebiet mit September
1816 zusehends wächst. Gerade in den vorher-
gehenden liederreichen Monaten von April bis
Ende August überwiegen noch sehr die kleinen
Lieder, meist streng strophisch, mit Texten
von Dichtern, die ganz oder vorwiegend dem
18. Jahrh. angehören: Uz (5 Nummern), Klop-
stock (4), Schubart (2), Jacobi (5), Hölty (12),
Stolberg (2), Matthisson (5), Salis (3), während
Göthe und Schiller ganz fehlen. Im Sep-
tember treffen wir dagegen gleich auf zwei
ebenso große wie großartige Gesänge: Liedes-
end von Mayrhofer (Ballade) und Lied des
Orpheus von Jacobi (lyr. Monodie); es schließen
sich an: die S. 135 I unten genannten erstklassigen
Göthe-Gesänge und -Lieder (elf Nummern),
ferner von September und Oktober acht von
Schuberts Freund Joh. Mayrhofer (1787—1836),
von dem er vorher erst vier Lieder komponiert
hatte und dessen Texte (47 bis in 1824) von
ihm meist mit ausgezeichneter Musik versehen
wurden. Die neun Claudiustexte vom No-
vember, meist strophisch behandelt, sind freilich
teilweise wieder ein Rückfall ins 18. Jahrh.
(ersten Ranges jedoch die nicht strophischen:
An eine Quelle, Am Grabe Anselmos, An
die Nachtigall). — Auch im Jahr 1817 finden
sich noch einige kleine, wenig bedeutende
Strophenlieder, in Art der vielen von
1815—16 gehalten (besonders von Claudius und
Salis), 1 im übrigen aber ist dies Jahr (53 Num-
mern enthaltend, wobei viele mittelgroße) eins
von Schuberts wichtigsten Liederjahren: dem
Verehrer des Meisters geht das Herz auf (falls
er eins besitzt), wenn er diese reiche Folge
erstklassiger Gesänge überblickt, meist lyrische
Monodien und Dyodien, Lebens- und Natur-
bilder, dazu nur zwei Balladen; aber auch
ausgezeichnete Strophenlieder. Die Haupt-
dichter sind Göthe (4 Nummern), Schiller
(5), und besonders Mayrhofer (15); dazu ein-
zelnes Hervorragende von Ossian, Schubart,
Claudius, A. W. Schlegel, Fouque, Platner, und
von Freunden Schuberts: Schober (von ihm
5 Texte in der ganzen dritten Periode), Spaun,
Stadler, Ottenwalt. — Von dem an Liedern auf-
fallend armen Jahr 1818 (nur 14 Nummern)
rechne ich die Zeit bis in den November noch
zur 3. Periode (meine Gründe dafür später);
sie enthält neun Nummern. Davon sind vier
von Aloys Schreiber; ferner von Mayrhofer
ein 17 S. langes Lebensbild „Einsamkeit“;
kleinere bedeutende von unbekannten Verfassern
sind: Grablied für die Mutter und Blondel zu
1 Dies bitte ich nicht dahin misszuverstehen, ich sei ein
grundsätzlicher Gegner des strengen Strophenliedes. Schubert
hat von Ende 1814 an bis in seine letzte Zeit eine Menge
von ausgezeichneten geschrieben. Die besseren unter den
vielen von 1815 und 16, meist aus Dichtern des 18. Jahrh.,
unter ihnen Göthe und Schiller, gehören zu seinem Besten
dieser Gattung; namentlich den zarten, meist sanft melan-
cholischen Texten von Hölty, Matthisson, Salis schmiegt
sich seine Musik bewundernswert an. Z. B. ist die berühmte
bekannteste Komposition von Mignons Sehnsuchtslied (N. 491,
angeblich von 1826) nichts als eine Erweiterung von Salis’
Strophenlied ,,Ins stille Land u N. 201 von 1816.
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LIEDER, GESÄNGE ÜND BALLADEN
MIT TEXTEN VON SCHILLER.
Von LUDWIG SCHEIBLER.
IV.
Dritte Periode: Sept. 1816 bis in Nov. 1818:
Beginnende Meisterschaft, erste Hälfte.
Wir haben jetzt, nach Erledigung der 21
Lieder, Gesänge und Balladen der zweiten
Periode Schuberts als Komponist einstimmiger
Gesangswerke, uns seiner dritten zuzuwenden.
Hier fällt zunächst auf, daß er, nach der starken
Beschäftigung mit Schillertexten im März 1816,
etwa sechzehn Monate verstreichen ließ, ehe er
wieder einen solchen einstimmig komponierte:
das nächste Stück ist 327 II („597“). die zweite
Komposition der Entzückung (An Laura) vom
August 1817. Dann aber setzte er vom September
bis in den November noch fünf Schillertexte in
Musik, meist mittleren Umfanges (von 2, 3, 5,
6 und 10 Seiten). Alle diese sechs Stücke
nehme ich mir die Freiheit für erstklassig zu
erklären, obgleich erst zwei davon (Gruppe aus
dem Tartarus und Thekla eine Geisterstimme)
allgemein anerkannt sind. Auch mein Genosse
H. de Curzon läßt mich hier im Stich: er
erwähnt bei der Besprechung der Lieder von
1817 (S. 37—38) aus den Schillertexten nur den
allbekannten Tartarus - Gesang.
Wie auf S. 168 I Mitte schon kurz erwähnt,
setze ich das Ende von Schuberts zweiter
Periode als Liederkomponist in den Herbst 1816;
er durfte damals mit Schluß des Schuljahrs
sein ihm sehr lästiges Amt als Elementarlehrer
aufgeben, da sein Vater ihm gestattete, sich
wenigstens versuchsweise ganz der Komposition
zu widmen. Denn Franz von Schober (geb.
17. Mai 1796), neben Josef von Spaun der wich-
tigste und treueste seiner vielen Freunde, der
für Schuberts Lieder begeistert war, erbot sich,
zunächst für Wohnung und Unterhalt zu
sorgen. Wenn sie wohl auch nur bis Frühjahr
1817 zusammen wohnten (vergl. 272 I unten), so
wirkte die Befreiung von der Schulfron auf
Schubert doch epochemachend.
Ebenso wie im Herbst 1814 in Schuberts
Liederkomposition eine wesentlich reifere Pe-
riode begann, so auch genau zwei Jahre später.
Schon früher (S. 135 I unten), bei Gelegenheit
von Beethovens Liederkreis, habe ich vom
Anfang der neuen Periode mit September 1816
gesprochen. Man nehme ein chronologisches
Verzeichnis von Schuberts sämtlichen einstim-
migen Gesangswerken zur Hand, und man wird
hnden, daß er auf diesem Gebiet mit September
1816 zusehends wächst. Gerade in den vorher-
gehenden liederreichen Monaten von April bis
Ende August überwiegen noch sehr die kleinen
Lieder, meist streng strophisch, mit Texten
von Dichtern, die ganz oder vorwiegend dem
18. Jahrh. angehören: Uz (5 Nummern), Klop-
stock (4), Schubart (2), Jacobi (5), Hölty (12),
Stolberg (2), Matthisson (5), Salis (3), während
Göthe und Schiller ganz fehlen. Im Sep-
tember treffen wir dagegen gleich auf zwei
ebenso große wie großartige Gesänge: Liedes-
end von Mayrhofer (Ballade) und Lied des
Orpheus von Jacobi (lyr. Monodie); es schließen
sich an: die S. 135 I unten genannten erstklassigen
Göthe-Gesänge und -Lieder (elf Nummern),
ferner von September und Oktober acht von
Schuberts Freund Joh. Mayrhofer (1787—1836),
von dem er vorher erst vier Lieder komponiert
hatte und dessen Texte (47 bis in 1824) von
ihm meist mit ausgezeichneter Musik versehen
wurden. Die neun Claudiustexte vom No-
vember, meist strophisch behandelt, sind freilich
teilweise wieder ein Rückfall ins 18. Jahrh.
(ersten Ranges jedoch die nicht strophischen:
An eine Quelle, Am Grabe Anselmos, An
die Nachtigall). — Auch im Jahr 1817 finden
sich noch einige kleine, wenig bedeutende
Strophenlieder, in Art der vielen von
1815—16 gehalten (besonders von Claudius und
Salis), 1 im übrigen aber ist dies Jahr (53 Num-
mern enthaltend, wobei viele mittelgroße) eins
von Schuberts wichtigsten Liederjahren: dem
Verehrer des Meisters geht das Herz auf (falls
er eins besitzt), wenn er diese reiche Folge
erstklassiger Gesänge überblickt, meist lyrische
Monodien und Dyodien, Lebens- und Natur-
bilder, dazu nur zwei Balladen; aber auch
ausgezeichnete Strophenlieder. Die Haupt-
dichter sind Göthe (4 Nummern), Schiller
(5), und besonders Mayrhofer (15); dazu ein-
zelnes Hervorragende von Ossian, Schubart,
Claudius, A. W. Schlegel, Fouque, Platner, und
von Freunden Schuberts: Schober (von ihm
5 Texte in der ganzen dritten Periode), Spaun,
Stadler, Ottenwalt. — Von dem an Liedern auf-
fallend armen Jahr 1818 (nur 14 Nummern)
rechne ich die Zeit bis in den November noch
zur 3. Periode (meine Gründe dafür später);
sie enthält neun Nummern. Davon sind vier
von Aloys Schreiber; ferner von Mayrhofer
ein 17 S. langes Lebensbild „Einsamkeit“;
kleinere bedeutende von unbekannten Verfassern
sind: Grablied für die Mutter und Blondel zu
1 Dies bitte ich nicht dahin misszuverstehen, ich sei ein
grundsätzlicher Gegner des strengen Strophenliedes. Schubert
hat von Ende 1814 an bis in seine letzte Zeit eine Menge
von ausgezeichneten geschrieben. Die besseren unter den
vielen von 1815 und 16, meist aus Dichtern des 18. Jahrh.,
unter ihnen Göthe und Schiller, gehören zu seinem Besten
dieser Gattung; namentlich den zarten, meist sanft melan-
cholischen Texten von Hölty, Matthisson, Salis schmiegt
sich seine Musik bewundernswert an. Z. B. ist die berühmte
bekannteste Komposition von Mignons Sehnsuchtslied (N. 491,
angeblich von 1826) nichts als eine Erweiterung von Salis’
Strophenlied ,,Ins stille Land u N. 201 von 1816.
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