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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 10.1905

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Nr. 8
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Jaumann, Anton: Bühnensprache
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Jacques, Norbert: Pappeln
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https://doi.org/10.11588/diglit.26235#0075

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BÜHNENSPRACHE.

natürlich auch die des Dramatikers. Aber gerade
der Dramatiker ist berufen, zur Besserung dieser
Verhältnisse beizutragen; dieBühne soll reinigend
und anregend auf unsern Gehörsinn wirken, sie
soll uns Beispiele vorhalten und uns anspruchs-
voll machen, daß wir mit dem Grau-in-grau des
Lebens nicht mehr zufrieden sind. Mittelbar
wird dadurch auch das Leben selbst gesteigert;
denn ohne Ausdruck stirbt es, weil immer zurück-
gedämmt und unterdrückt, allmählich ab. Wir
stehen unter der Herrschaft des gedruckten und
geschriebenen Wortes; das Zeichen, derSchatten,
der Begriff regiert statt des farbigen, warmen,
kräftigen Lebens.

PAPPELN.

Von NORBERT JACQUES (Ueberlingen).

Nun hatte der Sturm wieder eine meiner
alten Bodensee-Pappeln gefällt, und nur eine
blieb übrig, weil diese sich klugerweise etwas
weiter vom Ufer weg gestellt hatte. Noch vor
einem Jahr standen sie zu drei im Ueberlinger
Badgarten, und in diesem Garten, von dem man
gar nicht weiß, weshalb er so merkwürdig schön
ist, waren sie das Allerschönste. Alt waren sie
und hatten sich mit von allen Regeln losgesagten,
verwachsenen und durcheinander verschrobenen
Wurzeln rund um den Fuß ihres Stammes in
den hartgetretenen Boden eingegraben, zäh, wie
alte Menschen sich ans Leben krampfen! Und
sie waren breit, wie riesenhafte Steinsäulen, und
wuchsen hoch hinauf mit wunderbar gemeißel-
ten, altertümlich reichen Äste-Ornamenten —
die man besonders im Winter bewundernd
anstaunen konnte —, hoch und bewußt macht-
voll, als wüßten sie, daß sie das Himmels-
gewölbe trügen.

So oft man mit dem Schiff ankam, standen
sie da! Es war, als wollten sie die „Honneurs“
machen in dem alten Hause Ueberlingen, das
noch so prunkvoll reich an vielerlei mittelalter-
lichen Herrlichkeiten ist, obschon . . . nein, nicht
schimpfen. Die heute leben, können nicht dafür,
daß man Bilder und Stiche noch aus den sech-
ziger Jahren nicht ohne Ingrimm anschauen kann.
Das war ein Nürnberg und ein Rottenburg ob
der Tauber, aber geliebkost in den zauberischen
Armen des Schwäbischen Meeres . . . Eigent-
lich wollte ich ja auch von den Pappeln er-
zählen.

* *

*

Ach ja — Pappeln am Bodensee!

Das sind Gedichte, Romane, Dramen . . .
Gedichte, die lieblich sind, wie schnellende
junge Körper, wenn sie im Lichte baden; Romane
voll einer Lebensglut, und Dramen, die in den
rauhen Stürmen hängen, wenn ein wüstes Schick-

Das Theater ist bekanntlich eine zusammen-
gesetzte Kunst; sie wendet sich nicht nur an
einen Sinn, sondern zugleich an mehrere. Aber
die Sprache ist einer ihrer wichtigsten Bestand-
teile. Hoffen wir, daß die, welche mit dem
Theater zu schaffen haben, das Instrument, auf
dem sie spielen, immer besser kennen lernen:
die Dichter, welche dafür komponieren, die
Schauspieler, die es handhaben, und die Kritiker,
die das Urteil fällen, was alles ohne innige Ver-
trautheit und eingehendes Studium nicht mit
Erfolg geschehen kann. Noch ist da sehr viel
zu tun.

sal mit wild aufbrüllenden Gebärden in ein
Menschenherz greift.

Dabei denke ich natürlich nicht an die Pappel-
reihen, die in Konstanz am Seeufer aufwachsen.
Das sind schon mehr gezüchtete Kulturdamen,
über den Kleidern, die jede „Saison“ von ihren
Modeschneidern in Falten und Plis zurecht-
gezupft werden, leicht ihr Pappelherz ver-
gessend.

Aber an die wilden Gertenpappeln denke ich,
die über die Waldzüge sehnsüchtig ragen, um
ihren See anschauen zu können. Wirft er ihr
Bild wieder? . . . wie das der andern Bäume,
die sich unten ans Wasser gedrängt haben? . . .
Das ist ihr eifersüchtiges Leid. Aber sie können
ihr Bild nicht finden. Sie stehen zu hoch hinauf,
wo der Himmel beginnt. Und in dieser Un-
gewißheit dehnen sie ihre wehe, schlanke Sehn-
sucht, alles andere vergessend, in die silbrige
Luft hinein.

* *

Auch vor meinem Fenster, das seitwärts
über den See schaut, stehen Pappeln, zum Teil
gegen die Wand einer Villa, zum Teil gegen
den See und die Luft, junge biegsame Dinger . . .
und unten ganz an den See und ganz in die flüssige
Luft hinein hat sich eine kleine noch vollständig
unerfahrene gestellt, mit einem silbrig kindlichen
Leib . . . kaum ein paar Gliederchen . . . Sie ist
noch zu jung und folgte ihrer Liebe ohne Klug-
heit. Sie weiß nicht, wie rauh die Liebe ist.
Wenn der Sturm in die Wasser peitscht und
sie anfaßt.

Aberheuteistliebliches Wetter. Ein schwerer
ruhiger Sonnentag in einem üppig blauen un-
endlichen Himmel. Und in solche blauen Sehn-
süchte ragen die Pappeln hinauf und streicheln
sie, scheu, versprechend, wie zwei tun, die sich
vor den Augen einer großen Welt heimlich lieben.
Das dichte grüne Gewand fällt in Falten und
läßt verloren da und dort einen Schimmer des
nackten Körpers hervordringen. Das besitzt
etwas so traulich Süßes, so vertrauensvoll
Rührendes . . .

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