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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 10.1905

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Nr. 9
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Valentiner, Wilhelm Reinhold: Eugène Fromentins "die alten Meister"
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Nr. 10
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Hille, Peter: Vom Podium aus: Konzertskizze
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https://doi.org/10.11588/diglit.26235#0197

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OM PODIUM AUS.

Konzertskizze von PETER HILLE.

Drei Tage Bach.

Das tut wohl.

Was für eine große deutsche Seele, dieser
Organist, was für eine selbstherrliche Natur,
dieser Kantor.

Diese Frische, diese Vielseitigkeit, diese
perlende Hurtigkeit, in die Meister Joachims
Bogen und ein Paar notenwitternde Flügelhände
zusammenrannen.

So und soviel Instrumente heranziehen, daß
sie ihr Bestes hergeben und nun damit auf un-
gezählte Zeit auf ungezählte Menschen wirken, —
es ist doch etwas Schönes ums Komponieren.

Es ist eine Art Regieren; das beste, ver-
edelndste, seelenvollste Regieren, das sich
denken läßt, ein platonischer Staat.

Ich weiß nicht, wär ich Komponist, ich
wäre bang um mich.

Über so eine wesenhaft alle Kräfte auf-
spielende Natur kann man sich doch nicht
nennenswert hinaus entwickeln, und eine Größe,
die uns erfaßt und in eine Nervenmühle steckt,
ist doch nicht das letzte Wort.

Und mindestens ebensoviel wie eine kühne
Neuerung bringt auch Bach. Bei Bach wogt
Empfindung, Freude.

Gewiß, man kann weiter erwerben, soll aber
die Güter, die Seele und Leben bereits kräftigen,
nicht forträumen, um mehr Platz zu machen.

Und so mitten darunter, vor sich die zier-
lichen Rüschen und Saumranken der Geigen-
spielerinnen, wie sie zu gleicher Zeit sich die
kleinen braunen Kissen auf die Achsel legten,
gegen die sie die schwingenden Böden ihrer
Violinen stellten und mit der bebenden Festig-
keit ihrer rosigzarten Finger alle zu einer Zeit
denselben Strich ziehen, alle Bögen ein einziger
Strich — staccato, leis gleitend, von oben nach
unten — zu zweien durch das gemeinsame Heft
auf dem Pulte noch aufeinander besonders an-
gewiesen: man ist damit so vertraut, man fühlt
sich förmlich in diese Musikfamilie, die Kapell-
meisterseele hinein, wie er alles so in sich hat,
diesen ganzen Tonorganismus mit schichtenweis
aufforderndem oder zum Schwingen bringendem
Taktierrhythmus belebt, man spürt ein Musik-
werk entstehen, den Komponisten in sich.

Und da sind so allerlei Romane und Skizzen,
von denen man Zeuge wird. Hier der alte Herr
auf dem widerspenstigen Klappstuhl, das innere
Feuer, mit dem er an besonders begeisternden
Stellen den Rhythmus markiert und dann mit
eins sein längliches Skizzenbüchlein losbindet

Anknüpfend an die Bacb-Bekenntnisse in vorigfer Num-
mer übergibt uns Herr Ludwig Schröder in Iserlohn dieses
Manuskript des verstorbenen, leider noch immer kaum ge-
kannten Peter Hille. D. Red.

und mit sicheren Strichen den seines Amtes wal-
tenden Dirigenten zeichnet.

Und in der Tat: eine dankbare Aufgabe stellt
dieser Professor Joachim, dieses weise freund-
liche Geigerantlitz. Eigentlich gehört die veilchen-
farbene kettenschmucke Pracht seiner schönheits-
freudigen Amtstracht dazu und der Pokal. So
sieht man Joachim nur ganz, nicht im Schwalben-
schwanz.

Dann der freundlichschelmische Krauskopf,
dessen Augen ein verhaltenes Lachen spielen,
wie er für seine augenscheinlich noch nicht
ganz feste Partnerin, die sich, während der Part
pausiert, leise fragend herüberneigt, für diese
Kunstnovize mit aufpaßt. „An die Tempi denken,
Fräulein!“

Ob nicht ein dritter Bogen da mit im Spiel
ist? Der des kleinen Geflügelten?

Das ist noch mehr Genuß als die Musik: die
Musik werden sehn, das Leben darin.

Das hatte ich darüber hinaus auf meinem
Podiumplatz. Und wenn ich bedenke, wie ich
dazu gekommen bin!

Ein ganzer Roman!

Am Nachmittag hatte ich die Generalprobe
zur letzten Aufführung gehört. Die Aufführungen
selbst — die zweite heute, die letzte morgen —
alle beide ausverkauft. Da fange ich auf der
Treppe ein paar Worte auf: eine Dame will ihre
Karte veräußern. Ich erkundige mich nach dem
Preise und erstehe.

Draußen sehe ich zu meinem Schrecken, die
Karte gilt nicht für heute, sondern erst für den
letzten Tag, für morgen abend: die Aufführung,
die ich eben in der Generalprobe gehört.

Ich hinein zur Kasse, und meinen Bitten ge-
lingts, daß sie mir freundlich die Karte aus-
tauscht gegen die letzte, die für heute noch da
ist. Und diese trägt die fremdartige Bezeichnung
„Podium“. Und da fragt man sich hinan: vorbei
am Flügel, da irgend einer der numerierten
Stühle! Bis oben hinauf steigen sie.

Und da lernt man den Segen der Bildung
kennen: Geduld, Zwanglosigkeit, Ausweichen auf
engstem Raume. Langsames Entwirren, herauf-
quellende Mitwirkende, niedersteigende Zuhörer.

Auch das gehört zur Menschheit, ist Errungen-
schaft der Gesellschaft.

Und diese Freude hier oben an Darbietung
des Besten und dessen Anerkennen: wie der
Dirigent sie seinen Mitgliedern mit Lächeln, mit
Händedruck, mit Teilnehmenlassen am Dank für
den Applaus so feinsinnig übertragend zu äußern
weiß; die Selbstverständlichkeit, mit der er
Solisten gegenüber aufs Markieren verzichtet
und nur ein Blatt nach dem andern umwendet:
das ist gesellschaftlich spielendes Fluidum.

Und die mythologische Pausbäckigkeit des
„beschwichtigten Äolus“, die uns aus nächster
Nähe umbläst aus zum Teil verschollenen In-
strumenten, deren possierliche, sonderbar freudige.

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