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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 10.1905

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Valentiner, Wilhelm Reinhold: Eugène Fromentins "die alten Meister"
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Nr. 10
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Kromer, Heinrich Ernst: Seidler-Vasen
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https://doi.org/10.11588/diglit.26235#0191

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EIDLER-V ASEN.

Von HEINRICH ERNST KROMER.

Wenn man heute die mannigfachen Er-
zeugnisse der Kunstkeramik betrachtet, so ver-
wirrt einem ihre Überfülle fast die Sinne; man
kennt sich kaum mehr darin aus und weiß nicht
mehr, wohin das noch gehen soll; man glaubt,
schon die Härte der Konkurrenz müßte ab-
schrecken oder einen Zusammenbruch dieses
Zweiges des Kunstgewerbes herbeiführen. Herr,
hör auf mit deinem Segen! Allein — es ist
mit dem Verzweifeln nicht getan. So wenig,
als man erwarten kann, das Leben müsse in-
folge der Uberfülle seiner Erscheinungen und
der Härte des Existenzkampfes selber aufhören
und sich zum Tode verurteilen. Im Gegenteil:
wenn das Leben einen Sinn hat, einen erkenn-
baren und lobenswerten
Sinn, so ist es der, durch
fortwährenden Wettkampf
sich selber zu steigern und
zu jener Pracht- und Prunk-
fülle aufzusteigen, die wir
Kultur zu nennen pflegen;

Kultur, deren Mittel und
deren Ausdruck die Kunst
selber ist.

Die Seidlertöpfereien
sind seit nicht allzulanger
Zeit bekannt. Sie sind
dem breiteren Markte bis-
her ziemlich fern geblieben.

Zumeist gehen sie auch
heute noch, wo sie die
große Anerkennung der
Weltausstellung von St.

Louis haben, aus der Töp-
ferei in Konstanz gerades-
wegs in die Hand des Lieb-
habers und Sammlers. Man mag vom geschäft-
lichen Standpunkt aus darüber denken wie man
will: Seidler verschmäht die Herstellung von
Massenware, womit er den Markt überschwem-
men könnte, und hält sich im großen und
ganzen an seinen von Beginn an gefaßten Grund-
satz: Handarbeit und Unika. Wiederholungen
sind bei ihm selten; schon die völlige Ableh-
nung des Ornaments, des farbigen wie des
linearen, das zu Wiederholungen nur allzu
leicht verführt, zwingt ihn, sich ausschließlich
der Farben, der Flüsse und der Glasuren zu
bedienen und hier die zahlreichen Variationen
zu finden, die er in der Tat erreicht und die
seine Keramiken auszeichnen.

Seidler hat nicht das, was man gemeinhin
Stil nennt und woran er vor anderen sogleich
zu erkennen wäre, etwa wie Läuger oder die
Gebrüder Heider und andere. Eben weil er
sich weder auf eine bestimmte Form noch auf

eine enger begrenzte Farbenskala oder ein
typisches Ornament festlegt, muß er sozusagen
als wild erscheinen. Wollte man bei ihm von
Stil sprechen — und man kann das heute aller-
dings — so müßte man sagen, er läge in der
Umfänglichkeit seiner keramischen Palette, auf
dem fast unbeschränkten Gebiete seiner kolo-
ristischen Fähigkeiten, hinzugerechnet das der
Nutzbarkeit seiner Majoliken. Wir finden bei
ihm eine Stufenreihe vom simpelsten graugrünen
oder altgrünen bauchigen Weinkrug oder der
anspruchslosesten gelblichen Schnelle bis zur
feinsten Prunkschale, die an Farbe und Glasur
heute überall ihresgleichen sucht. Beim An-
blick dieser Rauchschalen, Schmuckschälchen,
Tintenzeuge und Ziervasen vergißt man, daß
es eine japanische Keramik gibt, die wir bisher
für unerreichbar hielten.

Bei aller Mannigfaltigkeit ihrer Bestimmung
und der ihr entsprechenden
Form halten sich diese
Keramiken fast durchweg
an das Einfachste. Ich
habe in einer großen Kollek-
tion von Vasen zwei ein-
zige gefunden, die durch
barocke oder gesuchte
Bauchungen die wunder-
bare Einfachheit und Vor-
nehmheit ihrer Farbe be-
einträchtigten und den
ihnen eigenen Stil verletz-
ten. Sonst treten immer
die seit Jahrtausenden von
den Töpfern für schön und
praktisch gehaltenen For-
men wieder auf, und es
müssen Farbe und Glasur
alles tun zur Abwechslung
und Differenzierung der
Wirkung. Aber hierin ist
denn auch wirklich das Erstaunlichste ge-
leistet: Das warm-altgrüne Weinkrüglein, das
mit seiner satten Farbe und behäbigen Form
jeden vierhundertjährigen Bauernkrug schlüge,
wie er auf Teniers Wirtshausbildern eine so
aktive Rolle spielt; daneben, wie eine lange
adlige Jungfer, die schlanke Salzburger Schnelle
im Grün unreifer Äpfel; hier die Wasserblumen-
schale, auf deren Grund ein dunkles Sumpfgrün
mit einigen helleren Mattglasurgrünflecken einen
beinahe grausen macht: täuschend ein unheim-
licher Sumpf; einige Rauchschalen zeigen außen
ein feines Graublau wie Changeantseide, innen
das klarste Honiggelb mit eingespritztem Muster,
das sich wie Apfelblüten oder wie der feine
Flaum von Weidenkätzchen ansieht. Manche
Prunkschalen bringen das Muster geschliffenen
Achats in allen erdenklichen Farben aber stets
prachtvoll vornehm zusammengestimmt; wieder
andere gemahnen im Äußern täuschend an

Hermann Seidler, Konstanz. Rauchschale.


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