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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 10.1905

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Nr. 9
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Schäfer, Wilhelm: Das Perspektiv: eine Anekdote
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https://doi.org/10.11588/diglit.26235#0116

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AS PERSPEKTIV.

Eine Anekdote erzählt von W. Schäfer.

Ein Perspektiv ist sonst nicht gerade ein
gefährliches Gerät, doch hat der Kaspar Tritten-
macher, soeben an einem Märztag 1795 als
Furier in Ehrenbreitstein angelangt, mit einem
solchen Ding die Hauptstadt Koblenz sehr in
Gefahr gebracht. Es war die Zeit, da die Fran-
zosen unter Marceau sich in der Residenz
des Clemens Wenzeslaus nicht übel eingenistet
und mit den Trierschen auf dem Ehrenbreit-
stein einen Waffenstillstand hatten, so daß am
Rheintor wohl mit Holz und Mist ein Festungs-
werk errichtet, sonst aber wenig Feindliches
geschehen war. Weil an dem Morgen nach
einer lauen Regennacht der duffe Nebel um die
Kastortürme hing, gleich einem Gazetuch, das
eine Hausfrau nur von ihren Kannen und Tellern
aufzuheben braucht, und alles blinkt wie frisch
geputzt dem Gast entgegen: so ließ dem Kaspar
Trittenmacher sein neues Perspektiv nicht Ruhe,
die Stadt in Augenschein zu nehmen. Er machte
sich hinunter an den Hafen, wo die Zimmer-
leute an der fliegenden Brücke in Arbeit waren,
stellte die Füße recht breit und fest auf ein
Ponton, zog sein Messingrohr — indes die
Zimmerleute bewundernd nach ihm sahen —
aus dem bestickten grünen Futteral heraus und
danach recht mit Würde die einzelnen Staffeln
auseinander und begann, gleich einem Geometer,
die Häuser und die Türme am andern Ufer
recht fleißig abzustechen.

Nun aber war am Deutschen Eck Ablösung
aufmarschiert, ein junger Kerl aus der Cham-
pagne, vor wenig Tagen erst zum Heer ge-
kommen. Der bemusterte den Ehrenbreitstein
gleich einem Feldherrn, der sich den besten
Weg ihn zu erobern sucht, als ihm von drüben
aus den Schiffen ein Funkeln in die Augen kam
und er genau hinspähend ein blankes Rohr auf
sich gerichtet sah. Und weil er nicht geneigt
war, sich wie ein aufgemalter Scheibenmann
abschießen zu lassen, riß er die Flinte kaum
bedacht herunter, und ehe der Furier mit
seinem Rohr ans Rheintor hielt: da legte sich
gleich einer Peitschenschnur ein Büchsenschlag
quer übern Rhein und tippte ihm dermaßen an
sein Perspektiv, zwar nur am Rand, jedoch so
stark, daß er rücklings auf das Ponton zu liegen
kam und mit dem Messingrohr den dunstig
blauen Frühlingshimmel visitierte. Das gab

natürlich bei den Zimmerleuten ein Gerenne,
wie wenn der Fuchs zu Hühnern kommt; und
als dem ersten Schuß auch noch ein zweiter
folgte, waren die Trierschen Jäger im Johannis-
turm schon alarmiert. Denn weil im Wafl'en-
stillstand das scharfe Schießen nicht erlaubt ist
wie das Schnupfen oder Kartenspielen, so fingen
sie als die Verratenen ein Knallen an, daß um
den raschen Schützen aus der Champagne die
Kugeln in die Mauer spritzten und eine ihm
dermaßen an den Kolben schlug, daß er gleich
einem Toten platt in den Kies zu liegen kam;
obwohl ihm von dem Schlag und Schrecken
nur die Nase blutete, so daß er aufkratzend noch
ums Deutsche Eck herum zum Schwanentor
den Hasen spielen konnte.

So gab es mitten in dem Waffenstillstand
ein Geschieße überm Rhein und ein Geschrei,
wie wenn noch an dem selben Tag Koblenz in
Stücke geschossen werden müsse. Und weil
sich Trierer wie Franzosen überfallen und ver-
raten glaubten, so blieb es nicht bei den Ge-
wehren. Vom Ehrenbreitstein fiel der erste
Stückschuß in die Stadt, den zu erwidern die
Franzosen sich beeilten, so daß nach einer
Viertelstunde eine Kanonade ihre Schrecken in
die Gassen und Dächer der alten Rheinstadt
schüttete. Erst als sie schon an vielen Stellen
brannte, kam über die Kartause niederreitend
und im Spazierritt aufgeschreckt Marschall
Marceau und ließ sogleich die weiße Fahne an
das Rheintor tragen.

Da wars, wie wenn der Zufall, dem die
wilde Schießerei entfahren war, zum andernmal
die Schelmenhand erhöbe: indem genau zur
gleichen Zeit der Kaspar Trittenmacher aus
seiner Ohnmacht zu sich selber kam und erst
ans Auge, aanach an alle Glieder faßte und alles
noch ganz heil befand und sich auf seine Beine
hob und sehr verwundert in dem Frühlingstag
sein Perspektiv zusammenschob. Denn weil die
Zimmerleute, in Furcht und Neugier hinter
Planken sitzend, die weiße Fahne nicht, nur
den Furier aufstehen sahen, wie der sein Per-
spektiv ins Futteral versenkte, und all der Lärm
sogleich verstummte, wie wenn er aus dem
Rohr gekommen wäre: so spähten sie dem
kleinen Mann mit sonderbaren Augen nach, als
er das Teufelswerkzeug unterm Arm ganz still
nach Hause ging, dieweil von Koblenz her der
Rauch von vielen Bränden sich braun und dick
in all den blauen Dunst des Pulvers mischte.

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