VOM PODIUM AUS.
in den höchsten Tönen jubelnde Originalität —
allen voran eine merkwürdig gestreckte Klarin-
trompete — eine schier ausbündige Freude äußert;
die Orgel über uns, die einer Messe weihevolle
Worte in ihrer weichen Erhabenheit vor die
Seele bringt, — alles das spricht von der frucht-
baren Gelegenheit, die dteser einzige Mann vor-
findet und zu benutzen weiß.
Bach ist ein Symbol der ganzen deutschen zu-
sammengesetzten Kultur. So ein Homer mit der
jonischen Fügsamkeit der Sprache und des
heroischen, in großen Gruppierungen bedeutungs-
voll sich hinstellenden Zeitalters: mythologische
Hoffeste, Brandenburger Konzerte, Messen für
die Dresdener Hofkirche und die ganze Fülle
seiner innigfesten jungen Protestantenseele und
heldenhafter Zuversicht — sein Liebstes, Herz-
innerstes für seine liebe Thomas-Orgel.
Um Bach zu lieben, braucht man nicht Pro-
testant, nicht stofflich gläubig zu sein. Wie denn
überhaupt die Reformation ein Wald ist, ein
deutscher Wald, der die seelisch geistigen Witte-
rungsschroffen wohltätig ausgleicht, so daß viele
Gemütsschwingungen spielen können in der Auf-
fassung des Göttlichen. So auch konnte Bach
bei aller Bestimmtheit etwas Weites bewahren,
und sein Geist trug in alles Enge, in die Gelegen-
heit einer Bestellung Kunst hinein aus der Fülle
seiner Seele. Stark, weit und von großer Freu-
kraft mag er die Zerrissenheit unserer Lebens-
auffassung durch seine machtvoll einheitliche
Zuversicht ausgleichen.
So möge uns denn die Bach-Gesellschaft noch
recht viel Märzfrische von diesem deutschen
Vorfrühlings-Tondichter bescheren in nun be-
währter Mannigfaltigkeit, wo sie Sonate und Kan-
tate, Konzerte, Präludien, Messen und mytho-
logischeDarstellungen bot. Überhaupt: es könnten
solcher Gesellschaften mehrere sich bilden: um
Händel, Mozart, Beethoven, Schubert.
Einheitlicher, reichlicher und vertiefender
können sie das geistige Vermächtnis ihres Mei-
sters lebendig machen und erhalten. Auch um
der neuen Kunst willen. Das Neue hat immer
seine Gegenwurzel, das große Alte nötig. Sonst
verengt sich der Gesichtskreis.
Und soll unsere Zeit wirklich so krank sein, wie
man sie gemeinhin macht, nun, gesunde Musik
faßt das Übel in der Seele an. Ja, sie äußert sich
rein physiologisch, fühlbar gesundend im Gegen-
satz zum Entnervenden, zum nur Modernen.
Es war das Leben in all den Tonwerken, die
ich auf dem Podium entstehen sah, als solches
spürbar, und man wandte sich vergeblich nach
den sitzend schweigenden Sängern um: es waren
die Geigen, die so stark sangen, die eine wie
menschliche Stimme hatten.
Richard der Große; nicht fort von ihm, aber
eine Gegenhygiene ist für uns notwendig, eine
Ergänzung des Lebens: Bach.
s
PRACHDUMMHEITEN ?
Zum zweitenmal kommt mir ein Aufruf in die Hände,
der folgendermassen beginnt: ,,Am 26. November 1857
schloss Joseph Freiherr von Eichendorff die Augen
zum ewigen Schlummer. Bald ist ein halb Jahrhundert ver-
flossen, seit Deutschland den Sänger des deutschen Waldes
verloren. Nicht mehr allzu lebendig ist leider sein Andenken
in unserem Volke. Und vielleicht hören gar manche des
deutschen Waldes Preis in seinen Liedern, ohne des Mannes
zu gedenken, der sie uns geschenkt. Und doch: wenn wir
seinen begeisterten Sängen lauschen:
Wer hat dich, du schöner Wald,
Aufgebaut so hoch da droben? —
O Täler weit, o Höhen,
O schöner, grüner Wald,
Du meiner Lust und Wehen
Andächtger Aufenthalt!
Da draussen stets betrogen,
Saust die geschäftge Welt,
Schlag noch einmal die Bogen
Um mich, du grünes Zelt! — —
dann muss jedes deutsche Herz mit singen und klingen. In
unserer materiellen Zeit, die nur das Einmaleins will gelten
lassen, die nur Rad und Walz und Hammer zu schätzen
vorgibt, tönen Eichendorffs Lieder freilich herein wie Klänge
aus vergangenen Tagen; aber sie wecken, was im Herzen
nicht erstorben, nur verschüttet war: die unzerstörbare Natur-
freudigkeit des deutschen Gemütes.“
Bin ichs allein, der schamrot wird bei diesem Sprach-
gemantsch, das unterschrieben von berühmten Namen (dar-
unter Gerhart Hauptmann, Richard Dehmel, Detlev von Lilien-
cron), dem deutschen Volk die Notwendigkeit eines Eichendorff-
Denkmals ans Herz legen will? Und zwar in der ,,Haupt-
stadt des Reichs“, wo der „liebenswürdige waldfrische Sänger“
,.so lange als pflichttreuer Diener seines Königs gewirkt /(.
„Dort, wo so viele herrschgewaltige Fürsten, geistesmächtige
Staatsmänner und schlachtenberühmte Feldherren nieder-
schauen von den Sockeln, dort soll auch der Dichter nicht
fehlen, der das oft so herbe Leben voll rauher Wirklichkeit mit
dem Schimmer der Poesie zu umkleiden gewusst/* Scheint dies
nicht von einem Parodisten geschrieben? Wenn das kommende
Denkmal diesem „Deutsch“ entspricht — und wer zweifelt
noch daran — wird es vielleicht nach Berlin, aber gewiss
nicht zu dem Dichter passen. Sind die wenigen Leute, die
in Deutschland mit der „Muttersprache“ umzugehen wissen,
wirklich am Aussterben, so dass man keinen fand, dem hier
ein paar Worte vom Herzen kamen? Oder hat ein „Komitee“
gewurstelt? Es ist ein trauriges Zeichen unserer sprachlichen
Verlotterung, dass dieser Aufruf von einigen hundert be-
kannten und berühmten Namen unterzeichnet wurde; und
weil ein Schelm stets dabei sein muss, steht auf der vierten
Spalte auch der Name „Wustmann“, der Sprachdumm-
heiten-Wustmann. S.
Der sonderbündler.
Roman von Carl Albrecht Bernoulli. (S. Fischers
Verlag.)
Dieses sonderbare Buch habe ich fünfmal vergebens zu
lesen versucht und immer wieder geärgert durch seine knollige
Sprache beiseite gelegt. Zufällig geriet ich neulich an die
Stelle, wo dem Hieseb sein Sohn vom Stier getötet wird,
und las weiter bis zum Schluss und hernach das ganze
Buch. Es hat einen lauen, auch etwas verwurstelten An-
fang; aber von dem Augenblick an, wo das arbeitsame Leben
des flüchtigen Sonderbündlers auf der Seeau beginnt, setzt
eine Erzäblung ein, deren Vorzug — ähnlich wie bei Gott-
helf — nicht der sprachliche Stil, sondern die innere Haltung
ist. So etwas wie einen modernen Hiob sehen wir wachsen,
zu Ehren kommen und untergehen, wobei der äussere An-
lass nur wenig, der Eigensinn alles ist. Der schönste Vorzug
dieses Romans ist. dass er frei von Sentimentalität bleibt,
die bei unseren modernen Romanschreibern allmählich triefend
wird. Vielleicht, dass es dadurch manches berühmte Buch
überdauert. Sein Nachgeschmack wenigstens ist ein sehr
reiner. S.
Herausgegeben im Auftrag des Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein durch Wilhelm Schäfer,
Braubach a. Rh.; Verlag von Fischer & Franke, Düsseldorf; Druck von A. Bagel, Düsseldorf.
in den höchsten Tönen jubelnde Originalität —
allen voran eine merkwürdig gestreckte Klarin-
trompete — eine schier ausbündige Freude äußert;
die Orgel über uns, die einer Messe weihevolle
Worte in ihrer weichen Erhabenheit vor die
Seele bringt, — alles das spricht von der frucht-
baren Gelegenheit, die dteser einzige Mann vor-
findet und zu benutzen weiß.
Bach ist ein Symbol der ganzen deutschen zu-
sammengesetzten Kultur. So ein Homer mit der
jonischen Fügsamkeit der Sprache und des
heroischen, in großen Gruppierungen bedeutungs-
voll sich hinstellenden Zeitalters: mythologische
Hoffeste, Brandenburger Konzerte, Messen für
die Dresdener Hofkirche und die ganze Fülle
seiner innigfesten jungen Protestantenseele und
heldenhafter Zuversicht — sein Liebstes, Herz-
innerstes für seine liebe Thomas-Orgel.
Um Bach zu lieben, braucht man nicht Pro-
testant, nicht stofflich gläubig zu sein. Wie denn
überhaupt die Reformation ein Wald ist, ein
deutscher Wald, der die seelisch geistigen Witte-
rungsschroffen wohltätig ausgleicht, so daß viele
Gemütsschwingungen spielen können in der Auf-
fassung des Göttlichen. So auch konnte Bach
bei aller Bestimmtheit etwas Weites bewahren,
und sein Geist trug in alles Enge, in die Gelegen-
heit einer Bestellung Kunst hinein aus der Fülle
seiner Seele. Stark, weit und von großer Freu-
kraft mag er die Zerrissenheit unserer Lebens-
auffassung durch seine machtvoll einheitliche
Zuversicht ausgleichen.
So möge uns denn die Bach-Gesellschaft noch
recht viel Märzfrische von diesem deutschen
Vorfrühlings-Tondichter bescheren in nun be-
währter Mannigfaltigkeit, wo sie Sonate und Kan-
tate, Konzerte, Präludien, Messen und mytho-
logischeDarstellungen bot. Überhaupt: es könnten
solcher Gesellschaften mehrere sich bilden: um
Händel, Mozart, Beethoven, Schubert.
Einheitlicher, reichlicher und vertiefender
können sie das geistige Vermächtnis ihres Mei-
sters lebendig machen und erhalten. Auch um
der neuen Kunst willen. Das Neue hat immer
seine Gegenwurzel, das große Alte nötig. Sonst
verengt sich der Gesichtskreis.
Und soll unsere Zeit wirklich so krank sein, wie
man sie gemeinhin macht, nun, gesunde Musik
faßt das Übel in der Seele an. Ja, sie äußert sich
rein physiologisch, fühlbar gesundend im Gegen-
satz zum Entnervenden, zum nur Modernen.
Es war das Leben in all den Tonwerken, die
ich auf dem Podium entstehen sah, als solches
spürbar, und man wandte sich vergeblich nach
den sitzend schweigenden Sängern um: es waren
die Geigen, die so stark sangen, die eine wie
menschliche Stimme hatten.
Richard der Große; nicht fort von ihm, aber
eine Gegenhygiene ist für uns notwendig, eine
Ergänzung des Lebens: Bach.
s
PRACHDUMMHEITEN ?
Zum zweitenmal kommt mir ein Aufruf in die Hände,
der folgendermassen beginnt: ,,Am 26. November 1857
schloss Joseph Freiherr von Eichendorff die Augen
zum ewigen Schlummer. Bald ist ein halb Jahrhundert ver-
flossen, seit Deutschland den Sänger des deutschen Waldes
verloren. Nicht mehr allzu lebendig ist leider sein Andenken
in unserem Volke. Und vielleicht hören gar manche des
deutschen Waldes Preis in seinen Liedern, ohne des Mannes
zu gedenken, der sie uns geschenkt. Und doch: wenn wir
seinen begeisterten Sängen lauschen:
Wer hat dich, du schöner Wald,
Aufgebaut so hoch da droben? —
O Täler weit, o Höhen,
O schöner, grüner Wald,
Du meiner Lust und Wehen
Andächtger Aufenthalt!
Da draussen stets betrogen,
Saust die geschäftge Welt,
Schlag noch einmal die Bogen
Um mich, du grünes Zelt! — —
dann muss jedes deutsche Herz mit singen und klingen. In
unserer materiellen Zeit, die nur das Einmaleins will gelten
lassen, die nur Rad und Walz und Hammer zu schätzen
vorgibt, tönen Eichendorffs Lieder freilich herein wie Klänge
aus vergangenen Tagen; aber sie wecken, was im Herzen
nicht erstorben, nur verschüttet war: die unzerstörbare Natur-
freudigkeit des deutschen Gemütes.“
Bin ichs allein, der schamrot wird bei diesem Sprach-
gemantsch, das unterschrieben von berühmten Namen (dar-
unter Gerhart Hauptmann, Richard Dehmel, Detlev von Lilien-
cron), dem deutschen Volk die Notwendigkeit eines Eichendorff-
Denkmals ans Herz legen will? Und zwar in der ,,Haupt-
stadt des Reichs“, wo der „liebenswürdige waldfrische Sänger“
,.so lange als pflichttreuer Diener seines Königs gewirkt /(.
„Dort, wo so viele herrschgewaltige Fürsten, geistesmächtige
Staatsmänner und schlachtenberühmte Feldherren nieder-
schauen von den Sockeln, dort soll auch der Dichter nicht
fehlen, der das oft so herbe Leben voll rauher Wirklichkeit mit
dem Schimmer der Poesie zu umkleiden gewusst/* Scheint dies
nicht von einem Parodisten geschrieben? Wenn das kommende
Denkmal diesem „Deutsch“ entspricht — und wer zweifelt
noch daran — wird es vielleicht nach Berlin, aber gewiss
nicht zu dem Dichter passen. Sind die wenigen Leute, die
in Deutschland mit der „Muttersprache“ umzugehen wissen,
wirklich am Aussterben, so dass man keinen fand, dem hier
ein paar Worte vom Herzen kamen? Oder hat ein „Komitee“
gewurstelt? Es ist ein trauriges Zeichen unserer sprachlichen
Verlotterung, dass dieser Aufruf von einigen hundert be-
kannten und berühmten Namen unterzeichnet wurde; und
weil ein Schelm stets dabei sein muss, steht auf der vierten
Spalte auch der Name „Wustmann“, der Sprachdumm-
heiten-Wustmann. S.
Der sonderbündler.
Roman von Carl Albrecht Bernoulli. (S. Fischers
Verlag.)
Dieses sonderbare Buch habe ich fünfmal vergebens zu
lesen versucht und immer wieder geärgert durch seine knollige
Sprache beiseite gelegt. Zufällig geriet ich neulich an die
Stelle, wo dem Hieseb sein Sohn vom Stier getötet wird,
und las weiter bis zum Schluss und hernach das ganze
Buch. Es hat einen lauen, auch etwas verwurstelten An-
fang; aber von dem Augenblick an, wo das arbeitsame Leben
des flüchtigen Sonderbündlers auf der Seeau beginnt, setzt
eine Erzäblung ein, deren Vorzug — ähnlich wie bei Gott-
helf — nicht der sprachliche Stil, sondern die innere Haltung
ist. So etwas wie einen modernen Hiob sehen wir wachsen,
zu Ehren kommen und untergehen, wobei der äussere An-
lass nur wenig, der Eigensinn alles ist. Der schönste Vorzug
dieses Romans ist. dass er frei von Sentimentalität bleibt,
die bei unseren modernen Romanschreibern allmählich triefend
wird. Vielleicht, dass es dadurch manches berühmte Buch
überdauert. Sein Nachgeschmack wenigstens ist ein sehr
reiner. S.
Herausgegeben im Auftrag des Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein durch Wilhelm Schäfer,
Braubach a. Rh.; Verlag von Fischer & Franke, Düsseldorf; Druck von A. Bagel, Düsseldorf.