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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 13.1907

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Heft 4
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Schwann, Mathieu: Gustav von Mevissen
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https://doi.org/10.11588/diglit.26231#0172
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Gustav von Meviffen.

gerecht, möglichst objektiv zu sein, und wie er nutten
im Satze abbricht, als habe er erkannt oder instinktiv
gefühlt, daß diese Art der Darstellung und Aussprache
nicht mehr das ist, was er selbst zu Anfang wollte,
daß sie mithin auch in der bewegten Aeit nicht wirken
kann und wirken wird, wie es sein Wunsch und seine
Sehnsucht war. Aber köstlicher und erhebender ist doch
das Erkennen und Selbfterkennen, das er sich aus all
diesem Ringen, diesen Kämpfen und Mühen eroberte:
„Willst du ursprünglich, jugendlich kräftig und rein
bleiben, so schließe nur Edlen dich an, die dich verstehen
und die mit dir das Göttliche empfinden. Richte im
Innern eine eherne Mauer auf zwischen dir und den
Elementen, die dich nicht verftehen, die mit dir nicht
gleiche Bahn wandeln — wenn du nichtdenMut
in dir sühlst, als Prophet und Erlöser dich
ihrer Vergeistigung ganz zu widmen, auf die
Gefahr hin, von ihnen geläftert und gekreuzigt zu
werden. Diesen Mut sich einzuhauchen, in der Ersüllung
dieseö erhabenen Beruss inneren Frieden und innere
Seligkeit zu finden, wird zu allen Zeiten Sache weniger,
bevorrechtigter Naturen sein. Wer nicht so hoch hinauf-
reicht, der meide die feindlichen Elemente und schließe
nur verwandten das Jnnere auf."

Nicht die starke Selbsterkenntnis, nicht die resolute
Selbftbeschränkung dieser nach möglichfter Tüchtigkeit
strebenden Natur ift es, was da allein so kräftigend
wirkt, sondern mehr noch die unerschütterliche Verehrung
des geistigen und geistig gesteigerten Lebens, dieser nie
verzagende Glaube an den dereinftigen Sieg der Ver-
nunft, an die Herrschaft des Geistes ist es, was da so
erhebend und vertrauenerweckend sich dem Leser mit-
teilt und die beschränkte Gegenwart mit dem rastlosen
Emporstreben des Menschen in der Vergangenheit, mit
allen Aussichten und Hoffnungen der Zukunft verbindet.

Wenn man solchen Erkenntniffen bei Menschen be-
gegnet, die sern dem praktischen Leben einzig der Pflege
der ideellen Güter der Menschheit ihre Kräste widmen,
so bleibt im letzten Grunde die bange Iweifelsfrage
offen: Ia, würde der Mann auch noch so reden, wenn
er die Wirklichkeit durch und durch kennte? Hier aber
spricht ein Mann zu uns, dem „der Geift der Wirklich-
keit" gar oftmals „mit Teufelsfauft in die Ideale hinein-
gegriffen" hatte. Und dennoch spricht er so, dennoch
blieb ihm „die Begeisterung sür die Jdeale der Iugend
lebendig", wohl ein beredtes Ieugnis für den hohen
Lebenöwert jener geistigen Durchbildung, nach der er
in der Ieit seines eigenen Werdens mit solcher Energie
gestrebt hatte. Daß es gerade die Ieit der Reise und
des Alters bei Meviffen ist, in der sich sein innerster
Wille und seine Sebnsucht in so unverkümmerter Weise
aussprechen, das gibt seinen Erkenntnissen einen so hohen
Grad wirklicher Verläßlichkeit und Lebenöbrauchbarkeit,
und gerade darum schätze ich es so hoch, daß sein
Biograph die Entwicklung des Menschen in so meifter-
hafter Weise herausgehoben und dargestellt hat, daß
er in dicser menschlichen Entwicklung den Angelpunkt
dieses ganzen Lebens erkannte, von dem aus alles
andere Werden und Handeln und Schaffen erft seinen
wahren Wert empfing. „Die reich beanlagten, dem
Erwerbsleben dienenden Persönlichkeiten müffen ftetö und

unverwandt den Blick aus die gesamte Entwicklung unseres
Staates und Volkes und auf die idealen Iiele der
Menschheit gerichtet halten, wenn sie nicht in enger Be-
schränktheit auf die materiellen Jntereffen versumpfen
und verkümmern sollen. Die materiellen Schöpsungen
und ihre Träger empfangen ihre wahre Weihe erst da-
durch, daß sie sich in sreier Unterordnung als dienende
Glieder, als die Unterlagen der höheren geiftigen Ord-
nungen im Leben des Staates und des Volkes wiffen
und erkennen."

So sprach dieser Mann in einer Ieit, da umgekehrt
die reichen Leute das Leben und die Ärbeit aller andern
nur nach dem Grade des Genusses bewerten zu wollen
schienen, der ihnen selbst aus diesem Leben, aus der
Mühe und Arbeit, aus den O.ualen und Leiden der
andern erwachsen könnte, in einer Ieit, da infolge
dieser Umkehrung das geiftige und künstlerische Streber-
tum sich in alle Gassen drängte und „liebevoll" die
Marktpreise und die Art der Nachsrage beäugelte, anstatt
unentwegt den Blick aus die Ersüllung der „idealen
Aiele der Menschheit" gerichtet zu halten. Mevissen aber
wußte es, wie alles echte Wollen und Schaffen in der
Behäbigkeit des Philistertums seinen Todfeind hatte und
hat, und so ertrug er die Widerstände, die ihm von
dieser Seite entgegengesetzt wurden, mit der Kaltblütig-
keit deffen, der ebenso weiß, wie kurzatmig die Gegen-
wart ift und wie kurzatmig mit ihr jeneö Eintagsfliegen-
geschlecht, das einzig an den Tag und seinen Ersolg und
seinen Genuß sein Dasein knüpft, das immer wieder
mit dem Tage geboren wird und immer von neuem
mit dem Tage überwunden werden muß. Er war in
jenem hohen Grade ein „Moderner", daß er dem seine
Arbeit und Mühe widmete, was immer modern ist und,
solange Menschen leben, niemals ganz aus der Mode
kommen kann: dem Menschen und Menschlichen. Und
indem er in dieser Weise der Gegenwart diente, ver-
knüpfte er die Wirkungen seines Lebens einer serneren
Iukunft. Um den „Alten", der geistig jung geblieben
war, scharte sich ein ganzes Geschlecht jüngerer Kräfte,
deren geistiges Wollen und Streben er besruchtete, denen
er die Bahn srei machte zu sernerem Wirken;* und
daß er der kaufmännischen Iugend in der Kölner Handels-
hochschule eine Anstalt schus, an der ihr die Möglichkeit
einer „vertieften Universalbildung" geboten werden sollte,
krönte sein Lebenswerk in idealster Weise. Erkannte er
doch und war tief davon durchdrungen, „daß in der
Iugend der Kern des Daseins, daß in dem Werdenden
das Künftige liegt, daß das Gewordene, wie gestaltet
es auch sei, als ein Fertiges schon der Vergangenheit
angehört."

Neue Iiele, iminer neue und höhere Ziele erschloffen
sich ihm trotz dem, daß gerade seine Lebenszeit und sein
Lebenswerk teilgenommen hatte an dem Kampfe um die
Erreichung so vieler Iiele auf wirtschaftlichem und poli-
tischem Gebiet, und gerade mit diesein nie ermüdenden
Wollen legte er das schönste Zeugnis ab für die Ewig-
keit und die ewige Jugendlichkeit schaffenden Geiftes

* Um nur eimge dieser Tüchtigen zu nennen, wie Karl
Lamprecht, Eberhard Gotjein, den Biographen Meviffens selbst,
den Beigeordneten der Stadt Köln Walter Lauö u. a.
 
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