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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 13.1907

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Heft 4
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Schwann, Mathieu: Gustav von Mevissen
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https://doi.org/10.11588/diglit.26231#0171

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Gustav von Mevissen.

repräsentierten. Jene Verbindung mit Antwerpen —
kein Wasserweg sollte sie bringen, sondern die Eisen-
bahn; der Ansbau dieser erften Strecke fiel der Rheini-
schen Eisenbahngesellschaft zu, deren Präsident er ge-
worden war.

Und neben dieser einen materiellen Schöpfung die vielen
anderen, die Aktiengesellschasten und Banken und Berg-
werksunternehmungen, deren leitender Geift Meviffen
wurde! Aber selbst in seinem Hauptwerke scheiterte
auch er. Jn jener fturmbewegten Zeit gelang es ihm
nicht, seine kausmännischen Kollegen zu dem tüchtigen
nationalen und sozialen Empfinden zu erziehen, das
aus seiner Lehrzeit der sesteste Besitz seiner Persönlichkeit
geworden war. Wie ihm anarchisches Wesen überall
im Jnnersten widerstrebte, so auch der anarchische Iug,
dein das deutsche Wirtschastoleben solgte, als der satale
Spruch vom „wohlberechtigten Egoismus" alle Toll-
heiten und Kühnheiten einer ungebändigten und durch
keine Rücksicht gebundenen Selbstsucht und banalen Er-
werbsgier zu rechtfertigen kam. Daß da mit moralischen
Floskeln nichts zu machen und zu beffern war, wußte
er wohl, denn er hatte die Natur einer extremen Ent-
wicklung ties durchschaut. Schrieb er doch eincm Freunde,
der das Heil in friedlicher Versöhnung der politischen
Extreme erblickte, zunächst tue eine energische, wenn auch
einseitige Fortschrittsentwicklung aus seiten des Bürger-
tums not, da alles andere höchstens zum Philistertum
sühre. „Da aber hört aller Bezug zu Geist und Natur
auf. Die Leute stehen feft wie eingerammte Psähle und
gleichen ganz beteerten Ochsenhörnern. Jede Natur ist
extrem, und das wahre Gesetz des werdenden Extrems
ist, sich zu vollenden. Nur ein vollendetes Extrem kann
ohne Gesahr sür seinen eigenen Gehalt die Nebenbahn

in sich ausnehmen und sie sich assimilieren-Jedes

Extrein an sich steht höher, ist achtungswerter in den
Augen des Geistes, als jene wahrhasten Träger der
Stetigkeit und Behäbigkeit, der an sich noch unversöhnten
und rein äußerlich sich versöhnenden Elemente. Diese
Versöhnung zeugt das ewig blutleere Heer der Philister.
Die schönste und höchste Versöhnung ist aber eine ganz
andere." Welche? Auch das wußte er und kann mans
in dem prächtigen Buche Hansens finden. Hier gilts
mir ein Anderes.

Was diese Biographie in so hcrvorragender Weise
zu einer seffelnden und unser Jnnercs bereichernden
Lektüre, was dieses Leben des großen Kausmannes zu
einem ganz einzigartigen macht, liegt in jencr Linie, die
oben angedeutet wurde. Er war kein reich gewordener
Mann, der sich nun auch Bildung aneignen will, weil
es einmal so gesordert wird, sondern er war ein Mensch
vornehmfter Kultur, der mit diesem inneren Werte alles
adelte, was er ergriff, auch das alltägliche Geschästs-
leben. Die Geschäfte waren ihm eben kein Sport oder
ein bloßes Mittel, Geld zu verdienen, sondern sie ent-
hielten sür ihn und seine nie rastende Arbeitssreude
beilige Pflichten, binter denen manche Eigenwünsche
einfach zurückftehen mußten. „Treten jetzt aucb zu-
weilen Geschäfte mebr als billig störend in den Weg,
so süble ich doch in der Bruft noch den Atem des
sreicn, geistigen Menscbcn, der früher oder später, durch
die Fesseln der einengenden Vcrhältniffe ungehemmt,

seinen Flug wieder aufnimmt und lichteren Zielen als
Bankoperationen zusteuert. — Die Maffe des Iufälligen,
des halb Bestimmten schwillt an und tritt oft hemmend
der freien Selbftbestimmung entgegen. Schaffen und
Wirken für große, allgemeine Jnteressen
und poetische Ausfassung des Lebens und
Strebens durchbrechen jedoch stetö die hemmenden
Schranken und geben dem Geiste seine Freiheit und
Spannung wieder." Die Muße, die ihm einmal winkte,
war sür ihn keine Schreckenszeit, in der er dastehen und
nicht wiffen würde, was mit sich anfangen, sondern im
Gegenteil winkte ihm diese geschäftsfreie Aeit entgegen
als die Epoche seineö Lebens, da er zu seinem größten
Reichtum, zu sich selbst und der sreien Betätigung seines
Geiftes erst gelangen werde. Über alle Außerlichkeiten
hinüber, die er sür notwenig hielt und denen er seine
Auftnerksamkeit und Arbeitskraft in höchster Pflichttreue
widmete, besaß dieser Mann an sich selbst etwas, das
Bewußtsein einer wahren Menschenbildung, einer mit
allen Hilfskrästen des Geistes und des Gemüts ge-
pflegten „Kultur", um dieses heute so vielfach miß-
brauchte Wort in seiner eigentlichen Bedeutung einmal
zu verwenden. Mehr und mehr ergreift ihn die Sehn-
sucht, seine Kräfte ganz dem geistigen Leben und
Schaffen widmen zu können. „Schaffen und Wirken
sür große, allgemeine Jntereffen", so hatte er den Beruf
des Kaufmannes erfaßt. Und war auch daö Echo
schwach, das er damit gerade in der Kaufmannswelt
seiner Zeit fand, er ließ von seiner Anschauung nicht
und „verfolgte Jahrzehnte hindurch die Erhebung der
kauftnännischen Affoziation über das Niveau der bloßen
Erwerbsgesellschast zu einem Organ planvoller Mit-
arbeit an den öffentlichen Jntereffen als leitenden Ge-
danken".

Von Goethe kam er her, aus jener erften so frisch
und tief bewcgten Ieit deutschen Geisteslebens. Hier
hatte er den schöpferischen Gedanken empfangen, daß
alle und jede menschliche Tätigkeit ihren höchften Wert
erst von dem Geiste bezieht, in dem sie ausgeübt wird.
Und so ist es kein Wunder, wenn er dem Dienste des
Geistes und der geistigen Lebensbefruchtung alles unter-
stellt sehen will. „Die materielle Tätigkeit erlangt nur
dadurch ihre Weihe und wabre Berechtigung, daß sie
dem geistigen Leben den Weg bahnt und ihre Mittel
zu seinem Dienste verwendet." Welche Weihe er mit
dieser Anschauung und mit einem von solchen Grund-
sätzen getragenen Handeln seinem eigenen Leben gab,
hat uns Hansen in ganz hervorragender Weise geschildert,
so daß ich rubig sage: die Tätigkeit Mevissens in der
Ieit um 1848 herum mag interessant und spannend
in höchstem Grade sein, der Schwerpunkt dieses ganzen
Lebens und Wirkens tritt in den letzten Kapiteln des
Hansenschen Buches doch ungleich größer und be-
deutender hervor. Gewiß ist es ungemein packend, zu
sehen, wie diesen Mann des harmonischen Gleichgewichts
in der Notzeit des Preußischen Staates plötzlich mit
elemcntarer Wucht dcr Trieb überfällt, die Bahn der
großen Reformatoren zu beschreiten, zum Pamphletisten
zu werden wie Wiclif, wie Luther, wie er dann über
dem Schreiben ganz und gar in die längst gewohnte
und geliebte Art zurückfällt, möglichst klar, möglichst
 
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