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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Editor]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 14.1907

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Heftt 11
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https://doi.org/10.11588/diglit.26457#0182
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Gedanken für Spaziergänger aus dem nahen Ems. Und die
hundertfünfzigste Wiederkehr seines Geburtstages im Oktober hat
sein Volk kaum noch bewegt. In Jena nur und nachher in
Berlin wurde das „Vaterländische Festspiel" von Eberhard König
gespielt, das am 26. Oktober auf alle deutschen Bühnen gehört
hätte — wenn wir ein Volk und Bürger eines Vaterlandes wären.
Freilich, ob es gerade dem Patriotismus gedient hätte, wie
er heute geübt wird, ist noch die Frage. Denn dieser Stein war
durchaus nicht allzeit ein offizieller Mann, meist ein nur Geduldeter,
zeitlang ein Geächteter und immer ein Gefürchteter um seiner
Rücksichtslosigkeiten willen. Alle Entschließungen, aus denen wir
die Wiedergeburt des deutschen Volkes hcrleiten, mußten einem
schwachen und Einflüssen ausgesetzten Fürsten abgezwungen werden.
Es ist kein Ruhmesblatt, wie Dork bei Tauroggen, vor des
Messers Schneide gesetzt, sich gegen den Willen des Königs auf-
richten, meutern mußte, um ihn zu retten. Und ganz ein düsteres
Bild ist dies, wie schon in den Frühlingstagen der erwachenden
Freiheit Stein todkrank in Breslau nur in einer Dachkammer
Obdach findet und der preußische Hof ihn peinlichst schneidet; bis
sein Freund der Kaiser Alexander ihn trotz seiner Dachkammer
findet und ihm auf einmal alle Türen aufgehen, am weitesten
die des preußischen Hofes.
Eberhard König hat init guten Gründen keinen Fürsten in
seinem Festspiel auftreten lassen. Nur der zu früh erloschene Stern
des preußischen Hauses, die Königin Luise, leuchtet aus dem ersten
Bild in alle anderen hinüber. Und auch Stein ist eigentlich nickt
sein Held, wohl aber das Volk in seinen Intellektuellen. Wie
Arndt, Reimer, Winterfeld, Fouqu6, Chamiffo, Brentano, Lützow,
Heinrich von Kleist, Scharnhorst, Gneisenau, Blücher, Gruner,
Dork und Clausewitz, Körner, Eichendorfs, Steffens, Friesen und
Jahn auftrcten: das gibt ein reiches Bild dieser Volksbewegung,
der herrlichsten, die wir erlebten, weil alle, auch die Höchsten im
Geist einmütig waren. Und es ist sehr schön, daß sich der Dichter
nicht um die Wahrscheinlichkeiten gekümmert hat, ob diese Leute
nun auch wirklich so zur Aussprache zusammenkamen, wie in
seinen Bildern. Für unser Gefühl dieser Zeit war cs so, und
darum danken wir es dem Dichter, daß er hier nicht bedenklich
war. Man könnte sagen, König habe seine Bilder zu breit gemalt,
auch fehle seiner Sprache die starke Eigenkraft: nicht aber wird
man leugnen können, daß er eine große Zeit in ihrer Größe
lebendig zu machen verstanden hat. Vielleicht wird die preußische
Regierung aus höfischen Gründen Bedenken haben, dies Buch in
alle Schulbibliotheken cinzuführen, wohin es unbedingt gehört.
Ich wüßte keins, das vreußischer gesinnt und deutscher zugleich
sein könnte, ganz im Sinne des Reichsfreiherrn zum Stein; und
das zugleich solch eine liebenswerte Dichtung auf dem Boden
unvoreingenommener Geschichtsauffassung ist wie dieses vater-
ländische Festspiel. (Stein, Ein vaterländisches Festspiel. Verlag
Egon Fleischel L Co., Berlin.) S.

ie Gesellschaft
nennt sich eine vortreffliche Sammlung, deren Bändchen
mir in diesem Sommer viel Genuß bereiteten. Cs sind, wie ein
Zusatz zum obcnstehenden Titel besagt! „sozialpsychologische
Monographien", das heißt auf deutsch Abhandlungen über Einzel-
erscheinungen und Gebiete der modernen Gesellschaft, von Martin
Bubcr herausgegeben, durch Peter Behrens ausgestattet und in
der Literarischen Anstalt Rillten L Loening in Frankfurt a. Main
verlegt. Ich will die Titel der ersten zwölf Bändchen aufzählen;
sie ersparen mir ein Kompliment an den Herausgeber, indem sic
seine würdigen Absichten wie seine glückliche Hand gleichwohl
erkennen lassen. Cs sind: Das Proletariat von Werner Sombart,
Die Religion von Georg Simmel, Die Politik von Alexander
Ular, Der Streik von Eduard Bernstein, Die Zeitung von I. I. David,
Der Weltverkehr von Albrecht Wirth, Der Arzt von Ernst Schwe-
ninger, Der Handel von Richard Calwer, Die Sprache von Fritz
Mauthner, Die geistigen Epidemien von Willy Hellpach, Das
Warenhaus von Paul Göhre.
Ich finde im allgemeinen die über uns hereingcbrochene
Monographien-Seuche abscheulich, da sie zu offenbar dem Mode¬


geschwätz dient und darauf spekuliert. Hier handelt es sich nicht
um geistreiche Vorträge oder zu Bändchen aufgeblasene Feuilletons,
wenigstens bei den meisten Bändchen nicht. Hier versuchen Männer
von Bedeutung und Charakter ihre nicht landläufigen Ansichten
über Lebensdinge in gedrängter Kürze darzulegen. Wenn Schwe-
ninger über den „Arzt", Bernstein über den „Streik", G. Simmel
über die „Religion" sprechen: dann hört der „Essay" völlig auf,
Selbstzweck zu sein, dann tritt jeder Sah in den Dienst einer
Überzeugung, die uns bekehren, zum mindesten zu einer Revision
unserer Ansichten veranlassen will. Und da ziemlich alle, die sich
der Herausgeber herangeholt hatte, mit den Sätzen der deutschen
Sprache etwas anzufangen wissen, werden manche von den Bändchen
noch lange ihre Wirkung tun zu einer Umbildung unserer geistigen
Struktur. Denn daß mit den radikalen Cinzelleistungen
moderner Tätigkeiten (des Ingenieurs, des Chirurgen usw.) sowie
mit den äußeren Umänderungen unseres Lebens die Anschauungen
nicht Schritt gehalten haben, daß wir mehr oder weniger vor dem
reißend hinströmenden modernen Leben mit altmodischen Gedanken
stehen: das ist einer unserer Zwiespältigkeiten, dessen sich zu
erinnern nicht wenige durch etwas Feigheit abgehalten werden.
Sich mutig zum modernen Leben zu bekennen, ohne romantische
Schmerzlichkeiten und klassische Verkleidungen: dazu wird diese
Sammlung tüchtig helfen. Es ist eine Sammlung von Schul-
büchern im höchsten Sinn, von der man wünschen muß, daß sie
an recht viel alte und erwachsene Schüler käme; nicht dem Wissen
oder der Aufklärung, aber dem tatkräftigen Leben dienend, indem
sie uns zu seinen Problemen nötigt. S.

tädte und Landschaften*
ist eine andere Sammlung genannt, der man nicht jene
grundsätzliche Bedeutung zusprcchen darf wie der vorher besprochenen
„Gesellschaft", und die doch auf ihre Weise in einem Punkt tiefer
zielt, indem sie von allem Beruflichen und Literarischen abschend
auf das besondere Verhältnis der menschlichen Seele zur Land-
schaft ausgeht, also Söhne deutscher Landschaften als deren Für-
sprecher, vielmehr Zeugen oder Dolmetscher ihres Wesens auftretcn
läßt. Wenigstens so hatte ich die Sache verstanden, als Leo
Greiner einen „Niederrhein" von mir haben wollte. Unterdessen
sind außerdem vier andere Bände erschienen und ich sehe, daß
nur Wilhelm von Scholz es etwa auch so gemeint hat in seinem
Buch vom „Bodensee", daraus das Kapitel über den „Untersee"
hier abgedruckt war. Paul Ernst begnügt sich mit einer sachlichen
Beschreibung des Harzes, während Nuederer und Bahr ihre Mit-
bürger in München und Wien amüsant vorzeigen. Ruederer auf
eine poltrige Art und nicht ganz ohne Eitelkeit, Bahr aber so
fein und wohlerwogen, daß nur dieses Buch nun das liebste von
ihm ist. Fast eine Bekenntnisschrift des Österreichertums, in deni
sich der Verfasser durchaus miteinbegriffen fühlt, ganz ohne Groll,
gutmütig fast und nur ein paarmal ein bißchen mit der Bitterkeit
kokettierend. Dabei werden historische Dinge von Reiz mitein-
geflochten, die nicht nur das Künstlerische betreffen, wenn die auch
Bahr am geläufigsten sind. Nicht nur aus Koketterie ist dem
Bändchen ein langes Verzeichnis von Quellenschriften beigefügt;
man spürt, daß seiner Niederschrift eine tüchtige Arbeit voraus-
ging. Den säuerlichen Kern des Buches bildet die Darstellung
Grillparzers als Symbol des Österreichertums, die dem Dichter
wie seinem Volk zart aber schneidend an die Nerven geht.
Zwar hätte dieses Buch auch in der „Gesellschaft" von
Marlin Buber erscheinen können; aber es zeigt doch die Mög-
lichkeiten in einer solchen Sammlung an, darin nicht nach einem
Programm Städte und Landschaften nach ihren künstlerischen
Schätzen oder sonstigen Werten abgehandelt werden, sondern über
das besondere Verhältnis zu ihnen von wirklichen „Bewohnern"
gesprochen wird. Mehr als die andere Sammlung scheint mir
diese erziehlich zu verwerten zu sein: ich könnte mir denken, daß
in einer gewissen Komplettierung eine tatsächliche Geographie
Deutschlands daraus würde, oder doch eine interessante Er-
läuterung dazu. S.
* Carl Krabbe Verlag, Erich Gußmann, Stuttgart.


Herausgeber W. Schäfer, Verlag der Rheinlands G. m. b. H., Druck A. Bagel, Düffeldorf.
 
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