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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 24.1914

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Heft 11
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Schäfer, Wilhelm: Die Deutsche Botschaft in Petersburg
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https://doi.org/10.11588/diglit.26492#0370
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Abb. 2. Ansicht vom JsaaksplaH.

furter Osthafen hingestellten Jndustrieanlagen der Gas-
gesellschaft. Jn dem Botschaftsgebäude war nun ein
Werk entstanden, auf das auch andere Großstadte als
Petersburg hätte stolz sein können. Der Bauherr war
das Auswartige Amt in der Aera Kiderlen-Wächter.
Schließlich ist der Neubau eines Botschaftspalastes auf
fremdem Boden ebensowenig eine gleichgültige Ange-
legenheit, wie die Errichtung eines rheinischen Bismarck-
denkmals, eines Rathauses oder auch einer großstäd-
tischen Turbinenfabrik/Schließlich ist ja die Form eines
Gebäudes so wichtig wie der Geist, der in ihm
wohnt. Daß hier eine der wichtigsten Reichsbehörden
in der Wahl des Künstlers hinter den führenden Köpfen
unserer Großinduftrie und unserer Stadtverwaltungen
nicht zurückstand, das war das Erfröuliche an der Sache.
Steine reden. Wir bewundern die Bauten der Re-
naissance, weil sie dem großartigen, phantasievollen,
durch die Antike beeinflußten Geist ihrer Ieit Ausdruck
geben, aber wir wollen und verstehen keine Nach-
ahmungen dieser Stilart an deutschen Postämtern,
Mietskasernen oder Bahnhöfen. Awischen den alten
Schöpfungen aus der Aeit Ludwigs XVI. und den in
jüngeren Zeiten nachgemachten besteht nicht nur ein
ästhetischer, sondern auch ein ethischer Unterschied. Und
so wenig wie man, um den deutschen Charakter eines
Hauses in Rußland zu betonen, eine Ritterburg oder
ein Nürnberger Patrizierhaus auf den fremden Boden

Links Denkmal Nikolaus' I., «chts Jsaakskirche.

verpflanzen könnte, so unehrlich, ja so beschämend
wäre es gewesen, hätte man überlieferten italienischen
oder französischen Formen wieder einmal einen Bau
überlassen, der doch das neue deutsche Reich darstellen
soll, mag bis vor kurzem in höfischen Kreisen Uouis
8sin6 auch immer noch als einziger und unübertreff-
licher Ausdruck der Vornehmheit angesehen worden sein.

Das neue Botschaftsgebäude in Petersburg schließt
sich in gleicher Höhe an die ihnc benachbarten Paläste.
Aber es steht nicht mehr wie ein Greis unter Greisen,
sondern jetzt wie ein gepanzerter, jugendlicher Held in
der altertümlich schweren Reihe; es vereinigt die Vor-
nehmheit seines Aweckes rnit einem Ausdruck von Un-
nahbarkeit >md Kraft. Seine Schauseite ist ganz aus
finnländischem Granit; in der Farbe dieses Granits
vermischen sich Grau und Rot zu eineni einzigen Ton
des Trotzes, der ungeschminkten Wetterfestigkeit. Der
Giebel wird in der Hauptfront von vierzehn in gleichen
Abständen aufgereihten, etwa sechzehn Meter hohen
Granitsäulen getragen. Diese Front in der Einheit und
rauhen Körnigkeit des Materiales, der Geschlossenheit der
Säulenreihe, in der rechtwinkligen,Gesamtform des Ge-
bäudes, das nur durch die auf die Mitte des flachen
Daches gesetzte Figurengruppe einen starken künstlerischen
Ausdruck erhält, ist allerdings von einem unverkennbaren
Charakter: es weht etwas von dem großen doch strengen
Geiste Schinkels in diesen fast geometrischen Formen,

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