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Riegl, Alois
Die spätrömische Kunst-Industrie nach den Funden in Österreich-Ungarn: Die spätrömische Kunst-Industrie nach den Funden in Österreich-Ungarn im Zusammenhange mit der Gesammtentwicklung der Bildenden Künste bei den Mittelmeervölkern — Wien, 1901

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https://doi.org/10.11588/diglit.1272#0050
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IL
DIE SCULPTUR.

tINE Erörterung der spätrömischen Bildhauerei darf sich auf die Betrachtung der Sculptur
in harten Materialien beschränken. Die Plastik in weichen Rohstoffen (Thon und Metall)
ist zwar wahrscheinlich niemals vollständig außer Übung gekommen: mindestens während
der ersten hundert Jahre nach Constantin sind nachweislich mehrere große Bronzewerke (Porträt-
colosse) entstanden. Aber die Arbeiten in Stein und Elfenbein bilden daneben schon im vierten
Jahrhundert n. Ch. die erdrückende Überzahl, und dieses Verhältnis hat späterhin nur noch eine
weitere Verschärfung erfahren. Das kann natürlich nicht zufällig sein. Wollten wir uns der bisher
beliebten Kunsttheorie anschließen, die den Stil als Product der materiellen Factoren und darunter
vor allem des Rohstoffes hinstellte, dann müssten wir zur Annahme greifen, dass die Spätrömer
an Thon und Metall Mangel gelitten, hingegen an Marmor und Elfenbein Überfluss gehabt
hätten, und dadurch gezwungen worden wären, überwiegend nach Stein und Meißel, anstatt nach
Thon und Modellierholz zu langen. Nach unserer Auffassung war aber der Sachverhalt genau
der umgekehrte: das bewusste spätrömische Kunstwollen muss von einer Art gewesen sein, dass
es sein Ziel eher in hellen und harten als in dunklen und weichen Rohstoffen zu erreichen hoffen
durfte. 'Welches nun das Ziel des spätrömischen Kunstwollens gewesen ist, haben wir zum Theile
schon an der Hand der Architekturentwicklung erfahren, und es wird sich uns durch die Betrach-
tung der Sculpturentwicklung noch viel klarer enthüllen; wir dürfen es hier kurz als die
Isolierung der Einzel form in der Ebene definieren. Diese Isolierung, bei der es
natürlich vor allem auf die Umrisse ankam, ließ sich eher mittels harter und heller Materialien
durchführen als an weichen und dunklen Stoffen, welche naturgemäß die Neigung haben, in ihrer
benachbarten Umgebung aufzugehen.

Unsere Untersuchung der spätrömischen Architektur durfte auf Grundlage allbekannter
Typen durchgeführt werden, ohne dass es nöthig gewesen wäre, die Analyse einzelner Denk-
mäler heranzuziehen. Keineswegs so günstig liegen die Verhältnisse auf den Gebieten der „nach-
ahmenden" Künste: der Bildhauerei und Malerei. Datierte Bildwerke aus spätrömischer Zeit sind
bisher nur wenige bekannt geworden, und diese wenigen haben bloß geringe Aufmerksamkeit
gefunden; eine gründliche Stilanalyse auch nur eines einzigen darunter ist bisher nicht versucht
worden. Es spricht sich darin die schon in der Einleitung betonte Thatsache aus, dass die spät-
römische Kunst dem modernen Empfinden vielleicht ferner liegt als irgend eine andere Kunst.
Wenn die Architektur hievon eine scheinbare Ausnahme macht, so liegt dies an dem unvertilg-
 
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