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Riegl, Alois
Die spätrömische Kunst-Industrie nach den Funden in Österreich-Ungarn: Die spätrömische Kunst-Industrie nach den Funden in Österreich-Ungarn im Zusammenhange mit der Gesammtentwicklung der Bildenden Künste bei den Mittelmeervölkern — Wien, 1901

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https://doi.org/10.11588/diglit.1272#0051
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46

SCÜLPTUR-

baren Reste ewiger, allgemein giltiger Formgesetze in dieser stoffgebundenen gebrauchszweck-
lichen Kunstgattung, der selbst in dem modernen Beschauer, namentlich beim Betreten einer alt-
christlichen Basilika, verwandte Empfindungen anregt, woraus sich auch die modernen Nach-
ahmungen altchristlicher Basiliken (zum Beispiel Klenze's Bau in München) erklären. Schon dem
geschlossenen byzantinischen Innenraume gegenüber hat sich unsere Zeit (deren Grundtendenz
nach dem Aufgehen aller Formen im unendlichen Räume übrigens gerade in der Architektur am
wenigsten Befriedigung finden kann) weit zurückhaltender erwiesen; dass man aber einmal
während der jüngst verflossenen Periode des modernen „historischen Stils" altchristliche
Diptychen oder Buchmalereien nachgeahmt hätte, ist nicht bekannt geworden. Es erscheint
hienach unvermeidlich, die Kunstabsicht der spätrömischen Bildhauerei, deren geschichtliche
Stellung, Entstehung und Bedeutung wir ergründen sollen, vorerst einmal im Wege der Unter-
suchung von Einzeldenkmälern kennen zu lernen. Zum Ausgangspunkte hiefür sei ein Denkmal
gewählt, das einerseits eine feste Datierung ermöglicht und anderseits genau in die Zeit fällt, in
welcher sich das alte Heidnisch-Antike vollendet und das neue Spätrömisch-Christliche offen-
kundig begonnen hat. Es sind die zeitgenössischen Reliefs des zwischen 313 und 315 n. Ch.
entstandenen Constantinbogens zu Rom gemeint, von denen das auf der Stadtseite befindliche
mit der kaiserlichen Geldvertheilung (Fig. 7) im nachstehenden seine stilistische Analyse
finden soll.



Fig. 7. Relief vom Triumphbogen des Constantin in Rom.

Das Relief ist in. Fig. 7 zu beiden Seiten um ein Stück verkürzt wiedergegeben; die
fehlenden Theile enthalten im wesentlichen dieselbe Anordnung in zwei Rängen übereinander, mit
der gleichen Gruppe von je vier Figuren im oberen Range und einer Reihe Supplikanten im
unteren Range, die wir in den beiden in Fig. 7 zur Wiedergabe gelangten Flügeln wahrnehmen
können. Eine sorgfältige Publication dieser Constantinreliefs ist seit langem eines der dringendsten
Bedürfnisse der kunstgeschichtlichen Forschung. Durch Anderson's Aufnahmen ist demselben
jüngst wenigstens zum Theile abgeholfen worden.

Schon eine flüchtige Ansicht des Reliefs lehrt, dass der Künstler seine Aufgabe in der
Herstellung einer individuellen Einheit vermittels centraler Composition in der Ebene erblickt hat;
wir haben es also noch immer mit einer antiken Ebencomposition und nicht mit einer modernen
Raumcomposition zu thun. Die symmetrische Centralisierung, die sich nur in der Ebene durch-
führen lässt, erscheint hier sogar auf die Spitze getrieben. Die in der Mitte thronende Figur des
 
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