Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Riegl, Alois
Die spätrömische Kunst-Industrie nach den Funden in Österreich-Ungarn: Die spätrömische Kunst-Industrie nach den Funden in Österreich-Ungarn im Zusammenhange mit der Gesammtentwicklung der Bildenden Künste bei den Mittelmeervölkern — Wien, 1901

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.1272#0052
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
SCULPTUR.

47

Imperators zieht sofort den Blick auf sich; ja schon der erste oberflächliche Eindruck, vor aller
Analyse im einzelnen, lässt zwingend erkennen, dass die ganze Composition mit, Fleiß daraufhin
angelegt war, den Beschauer auf die Mitte hinzuweisen. Der Kaiser thront hier auf hohem Sockel,
geradeaus gegen den Beschauer gewendet, womit er die für eine symmetrische Gesammtansicht
des menschlichen Körpers günstigste Position einnimmt; sein Rumpf (und wohl auch der leider
abgeschlagene Kopf) verharrt in perpendicularer Haltung, die an Jul. Lange's Frontalgesetz der
Altegypter erinnert, ja damit genau zusammenfällt; Arme und Füße divergieren leicht nach außen.
Mit dieser streng symmetrischen Composition bietet die Mittelfigur das Bild starrer unveränder-
licher Ruhe. Ihre beherrschende Stellung wird noch verstärkt durch den Umstand, dass sie dank
der dem Kaiser zugebilligten stattlichen Gestalt und dem hohen Sockel unter dem Thronstuhl die
ganze Höhe des Reliefs einnimmt, während die übrigen Figuren sich in symmetrischer Responsion
auf zwei Ränge vertheilen. Zum Unterschiede von der Centralfigur sind nun sämmtliche übrigen
Figuren (mit Ausnahme einiger entfernter Stehenden auf der rechten Seite) — Senatoren und
Volk, die huldigend und Geschenke erwartend heranschreiten — in entschiedener Bewegung nach
dem Mittelpunkte hin begriffen, indem sie sowohl den Kopf als einen erhobenen Arm acclamierend
dem Kaiser zuwenden, wobei es der Künstler immerhin verstanden hat, in die uniformen Gesten
einige Abwechslung zu bringen. Eine gewisse Ausnahmsstellung behaupten zwei Gruppen von je
vier Figuren, die im oberen Streifen gegen die Ecken hin angebracht sind; sie nehmen zwar ah
der Acclamation nicht theil und bilden jede für sich eine symmetrische Composition, stehen aber
zugleich untereinander im Verhältnisse stricter Responsion, wodurch sie in* letzter Linie doch
wiederum zu der allbeherrschenden Mittelfigur des Kaisers in Abhängigkeit gebracht werden.

Erscheint somit das Ganze mit peinlicher Genauigkeit in einer Ebene prbjiciert, so verrathen
die einzelnen Figuren, als Theile des Ganzen, dasebenso entschiedene Bestreben, sich innerhalb,
der gemeinsamen Ebene räumlich zu isolieren. Die Figuren sind sämmtlich an.den Umrissen tief
unterschnitten, so dass sie nirgends augenfällig mit der Grundebene zusammenhängen; im oberen
Ränge sind zwei Reihen von Figuren hintereinander angeordnet, die sich gegenseitig-nicht minder
scharf isolieren. Dies ist der entscheidende Punkt, in dem'sich die constantinischen-Reliefs von'den
altorientalischen und classischen unterscheiden; noch in der früheren Kaiserzeit war es unver-
brüchliches Gesetz für jedes Relief, zwischen den Figuren und dem ebenen Grunde, ser es*
unmittelbar, sei es durch Vermittlung zwischenliegender Figuren, eine evidente taktische Ver-
bindung aufrechtzuhalten. Die gemeinsame Ebene verliert infolgedessen jetzt ihren ehemaligen
taktischen Zusammenhang und zerfällt in eine Reihe von hellen Figuren und dunklen Raum-
schatten dazwischen, die mit ihrem regelmäßigen Wechsel zusammen einen coloristischen Eindruck
hervorrufen. Nach wie vor ist dieser Eindruck derjenige einer symmetrisch veranlagten Ebene;
aber jetzt ist es nicht mehr eine taktische Ebene, die entweder völlig ungebrochen oder nur
durch Halbschatten leicht getrübt verläuft, sondern eine optische Ebene, wie jene, in der alle
Dinge unserem Auge in der Fernsicht erscheinen. Zwischen die sichtbare Vorderfläche der
Figuren und die Grundebene hat sich eine freie Raumsphäre, gleichsam eine Nische, ein-
geschoben : nur so tief, um die Figuren darin raumfüllend und freiraumumflossen, und somit noch
immer nach größter Möglichkeit der Ebene angenähert erscheinen zu lassen.

Genau das gleiche Verhältnis wie zwischen dem Relief als Ganzem und den Figuren als
seinen Theilen muss zwischen der einzelnen Figur als Ganzem und ihren Theilen (sei es den
nackten Gliedern, sei es der Gewandung) obwalten. Eine strenge Centralisierung war zwar hier
 
Annotationen