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Riegl, Alois
Die spätrömische Kunst-Industrie nach den Funden in Österreich-Ungarn: Die spätrömische Kunst-Industrie nach den Funden in Österreich-Ungarn im Zusammenhange mit der Gesammtentwicklung der Bildenden Künste bei den Mittelmeervölkern — Wien, 1901

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https://doi.org/10.11588/diglit.1272#0020
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I.

DIE ARCHITEKTUR.

?ON Werken der spätrömischen Architektur sind fast nur solche auf uns gekommen,
die von allem Anbeginn für christliche Cultzwecke bestimmt gewesen sind. Es leidet
gar keinen Zweifel und ist in einzelnen Fällen selbst durch überlieferte Zeugnisse
erweisbar, dass mindestens im vierten Jahrhundert im Römerreiche auch noch für heidnische
Cultzwecke gebaut worden ist. Parallel damit ist auch das Verhältnis des Staates und des
einzelnen Reichsbürgers zu der idealen Gemeinschaft in der Kirche nicht mit einem Schlage ein
so untergeordnetes und selbstverzichtendes geworden, dass für die Fortdauer eines künst-
lerischen Profanbaues alle Voraussetzungen erloschen wären. Ist nun der Verlust aller spätesten
heidnischen Cultstätten und aller spätrömischen Profanbauten (bis auf geringe, wenig aussagende
Theilreste) zweifellos zu beklagen, so hindert er uns gleichwohl durchaus nicht, die maßgebenden
Gesetze der Entwicklung in der spätrömischen Baukunst in hinlänglicher Klarheit zu erkennen,
denn die Zukunft dieser Entwicklung war eben ausschließlich im Kirchenbau gelegen und das eigen-
artige Kunstwollen der spätrömischen Periode hat daher gerade im christlichen Kirchenbau seinen
reinsten Ausdruck finden müssen. Kirchen, d. h. Häuser für die Feier des Gottesdienstes der
versammelten christlichen Gemeinden sind es somit, die das vornehmste Substrat für unsere
Betrachtung liefern.

Die besonderen Gattungen der Taufkirchen und Grabmalkirchen, so wichtig sie in ihrer
symptomatischen Bedeutung sein mögen, dürfen in einer Untersuchung, die bloß die Hauptlinien
der Entwicklung festlegen will, außer Betracht bleiben, weil sie schon vom Standpunkte ihres
Gebrauchszweckes einen Mischtypus darstellen, der zwischen Architektur und Sculptur inmitten
steht.

Die spätrömischen Kirchenbauten befolgen zweierlei System: Langbau (Basilika) und
Centralbau. Diese zwei Systeme verhalten sich gegensätzlich zu einander, wie Bewegung und
Ruhe; der Frage, auf welches von beiden die Wahl eines bestimmten Kunstvolkes in einer
bestimmten Periode gefallen ist, kommt daher schon an und für sich grundwichtige Bedeutung zu.
Aber es war nicht ausgeschlossen und ist seit der altegyptischen Kunst wiederholt nachzuweisen,
dass dieselben Kunstvölker zu gleicher Zeit beide Systeme nebeneinander angewendet haben,
indem sie dieselben durch Beruhigung des Langbaues und Beweglichmachung des Centralbaues
gewissermaßen einander anzunähern sich bestrebten. Solches war mindestens in Ostrom auch in
spätrömischer Zeit der Fall, und wir werden füglich an erster Stelle nach dem Gemeinsamen fragen, -


 
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