Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Riegl, Alois
Die spätrömische Kunst-Industrie nach den Funden in Österreich-Ungarn: Die spätrömische Kunst-Industrie nach den Funden in Österreich-Ungarn im Zusammenhange mit der Gesammtentwicklung der Bildenden Künste bei den Mittelmeervölkern — Wien, 1901

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.1272#0130
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
III.

DIE MALEREI.

[M allgemeinen pflegen wir vom Standpunkte des modernen Kunstwollens (Geschmackes)
die spätrömischen Gemälde nachsichtiger zu beurtheilen, als die gleichzeitigen Sculptur-
werke. Die künstlerische Absicht war zwar bei beiden die gleiche, und daher ist auch der
Abstand von der modernen Auffassung auf beiden Gebieten ein gleich gewaltiger. Auch der spät-
römische Maler wollte von seinen Figuren alle ihre Theile gleichmäßig dem Beschauer vor Augen
führen, anstatt eine Anzahl davon im Räume aufgehen, das heißt durch Licht oder Tiefschatten
verschlingen zu lassen. Aber die oft ungemein breite und skizzenhafte Behandlung mit ihrem
bunten Farbenwechsel lässt den verbindungs- und ausgleichslosen Contrast zwischen peinlicher Iso-
lierung in den Umrissen und verschwommen-unklarem Aussehen der Flächen dazwischen unseren
überhaupt malerisch geschulten Augen minder anstößig und roh erscheinen. So werden wir zum
Beispiel dem Fresko der drei Märtyrer, die mit verbundenen Augen den Todesstreich erwarten, in
der Unterkirche von S. Giovanni e Paolo in Rom (gewöhnlich in die Mitte des vierten Jahrhunderts
datiert) trotz der extremen Flüchtigkeit der Ausführung und trotz des Mangels einer überzeu-
genden Einfügung der Figuren in den Raum unsere Anerkennung nicht versagen, weil die in ihrer
Verkürzung dem sachlichen Zusammenhange entsprechende momentane Haltung der drei Opfer
so packend optisch wahr getroffen ist, dass wir darüber die Wesenlosigkeit, ja Unmöglichkeit der
Figuren (vom modernen Standpunkte) vollständig übersehen. Denken wir uns aber dieselbe Scene
in ein Flachrelief nach Art des constantinischen übersetzt, so können wir sie uns kaum anders als
hart und abstoßend vorstellen.

Es wäre nun unsere Aufgabe, auch die allmähliche Entwicklung der spätrömischen Malerei
aus der ihr vorangegangenen, mindestens seit Augustus zu verfolgen; und für die Malerei der
früheren Kaiserzeit wäre uns sogar ein so vortrefflicher Ausgangspunkt wie die einschlägigen
Arbeiten Wickhoffs gegeben. Aber es fehlt dermalen gerade an dem wichtigsten verbin-
denden Gliede: einem klaren Bilde von der mittelrömischen Malerei. Ein Pompeji dieser Zeit hat
sich bisher nicht gefunden, und was an antiken Fresken vom zweiten bis zum vierten Jahr-
hundert n. Ch. bekannt geworden ist, verdämmert zum größten Theile in unterirdischen Grab-
räumen, wodurch seine kunsthistorische Bearbeitung -— namentlich wenn diese über ikono-
graphische Ziele hinausstrebt — dermalen für einen ausländischen Forscher, der sich nicht ganz
außerordentliche Erleichterungen des Zutrittes zu verschaffen in der Lage ist, geradezu
unmöglich gemacht erscheint.
 
Annotationen