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Riegl, Alois
Die spätrömische Kunst-Industrie nach den Funden in Österreich-Ungarn: Die spätrömische Kunst-Industrie nach den Funden in Österreich-Ungarn im Zusammenhange mit der Gesammtentwicklung der Bildenden Künste bei den Mittelmeervölkern — Wien, 1901

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https://doi.org/10.11588/diglit.1272#0053
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48

SCULPTUR.

höchstens an der Mittelfigur durchführbar; an den übrigen Figuren konnte sie nur eine
annähernde sein, und wurde so gut es gieng durch einfache, geradlinige, ungegliederte und
unrhythmische und darum harte, aber klare Umrisse der in die Ebene breitgequetschten Figuren
zum Ausdrucke gebracht. Dagegen sind die einzelnen Theile der Figuren von einander durch
tiefschattende Furchen isoliert, was besonders deutlich in der Haarbehandlung und in der
Draperie zum Ausdrucke gelangt ist. Also wie die Figuren zum Ganzen, so stehen auch die
Glieder und Gewänder zu den Figuren nicht im Verhältnisse tastbarer Verbindung, sondern in
demjenigen optischer Isolierung untereinander. Die einzelnen Figuren geben sich als cubische,
raumfüllende Körper, und als solche müssen sie nothwendigerweise vom freien Räume umflossen,
das heißt von complementären Schatten eingerahmt sein; aber damit war beileibe nicht gemeint,
neben den stofflichen Individuen (Figuren) auch den freien Raum als einen um seiner selbst willen
berechtigten Kunstfactor anzuerkennen, was schon aus der Beflissenheit hervorgeht, mit der man
die Figuren in eine einzige gemeinsame Ebene gepresst und die trennenden Raumschatten auf
das nothwendigste Minimum beschränkt hat.

Die vollzogene Analyse des Constantinreliefs (Fig. 7) liefert somit den vollen Beweis, dass
die Reliefbildnerei am Beginne der spätrömischen Periode genau den gleichen Gesetzen gefolgt
ist, die wir als die leitenden in der Entwicklung der gleichzeitigen Architektur festgestellt haben.
Von den übrigen Reliefs des in Rede stehenden Triumphbogens berührt sich am engsten mit
Fig. 7 dasjenige mit Constantin's Ansprache an das Volk; an den übrigen war durch den Gegen-
stand (zumeist Kriegsscenen) eine einseitige Bewegung der Figuren gefordert, wobei eine
so strenge Centralisierung wie wir sie an Fig. 7 beobachten konnten, nicht durchführbar war.
Die Symmetrie wurde daher in diesen Fällen überwiegend in der Reihung gesucht, doch ist auch
die Tendenz auf eine centralere Zusammenfassung in die Symmetrie des Contrastes vielfach
nicht zu verkennen.

Hinsichtlich der ästhetischen Wertschätzung der Constantinreliefs gab es bisher im allge-
meinen keine Meinungsverschiedenheit, denn Alle waren einstimmig darin, dass diese Reliefs ein
unwiderlegliches Zeugnis von dem tiefsten Verfalle der antiken Kunst ablegen. Es waren die
Nachsichtigsten darunter, die dabei den entschuldigenden Umstand geltend machten, dass der
Constantinbogen in großer Eile hätte aufgeführt werden müssen, was sich ja schon aus der Ver-
wendung ergebe, die einzelne Reliefs von abgebrochenen älteren Werken daran gefunden haben.
Die überzeugten Vertreter dieser Meinung werden vielleicht überrascht sein, an dem verlästerten
Werke ganz bestimmte und positive Stilprincipien, wie sie soeben nachgewiesen wurden, so
genau befolgt zu sehen. Allerdings sind diese Stilprincipien nicht diejenigen der classischen
Kunst; und weil man bisher ausnahmslos mit dem Maßstabe der classischen Antike an die
Beurtheilung der gedachten Reliefs herangetreten ist, konnte das Urtheil lediglich geringschätzig
ausfallen. Es wird unsere Aufgabe sein, den vorhandenen Unterschied zwischen den beider-
seitigen Stilprincipien in seinem inneren Wesen aufzuzeigen; hier soll derselbe nur in seinen
allgemeinsten äußeren Zügen gekennzeichnet werden. Man hatte stets gefunden, dass den
constantinischen Reliefs gerade dasjenige abgehe, was den classischen Reliefs specifisch eigen-
thümlich sei, das ist die Schönlebendigkeit. Die Figuren seien einerseits hässlich, anderseits
plump und unbeweglich. Damit schien es gerechtfertigt, sie als Arbeiten wo nicht von Barbaren-
händen, so doch von solchen barbarisierter Werkleute zu erklären. Was einmal die Schönheit
betrifft, so vermissen wir allerdings die proportionale, die jeden Theil nach Größe und Bewegung
 
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