94
SCULPTUR.
Sarkophagsculptur versagt haben sollten? Wenn wir nun wahrnehmen, dass christliche
Sarkophage wie Fig. 23 mit heidnischen gleicli Fig. 16 und 17 einzelne völlig charakteristische
Züge gemein haben, und dass selbst solche Sarkophage, die wie Fig. 24 angeblich den Schluss
der ganzen Entwicklung bezeichnen und erst im fünften Jahrhundert entstanden sein könnten,
den Constantinreliefs noch in ganz wesentlichen Punkten nahestehen, so wird man wohl berechtigt
sein, das hinderliche Datum von 359 aus dem Wege zu räumen und eine zusammenhängende
Entwicklung der christlichen Sarkophagsculptur schon vor der Mitte des vierten Jahrhunderts,
zum Theile parallel mit der heidnischen Sarkophagsculptur der mittleren Kaiserzeit einsetzen
zu lassen.1
Besser als der Junius Bassus-Sarkophag ließe sich derjenige des Probus 2 mit der Zeit, der
man ihn zuweisen zu sollen glaubt (den Siebziger- bis Achtzigerjahren des vierten Jahrhunderts)
vereinigen. Seine Ebencomposition ist trotz der säulengetrennten Nischen, in welche die
Figuren vertheilt sind, im Grunde mit derjenigen des Constantinreliefs (Fig. 7) identisch. Die in
den Nischen paarweise angeordneten Jünger beziehen sich nämlicli nicht allein auf der Vorderseite,
sondern auch auf beiden Schmalseiten ausnahmslos (mit geringen Abwechslungen) auf den in dem
mittleren Intercolumnium der Vorderseite auf erhöhtem Platze zwischen Petrus und Paulus
stehenden Christus. Die Composition der Figuren selbst ist in möglichst starre, isolierte, längliche
Viereckumrisse gebannt; nur die Kopfwendung und theilweise der erhobene Arm (wie am
Constantinrelief) deutet die Richtung an, in welcher die Aufmerksamkeit der Figuren festgehalten
ist. Das will besagen, dass es dem Künstler vor allem darauf angekommen ist, die innere
Bewegung der Figuren zum Ausdrucke zu bringen, die äußere aber daneben auf ein Minimum zu
beschränken und nur soweit (als nothwencliges Übel) zuzulassen, als es unumgänglich nöthig
schien, um die innere Bewegung der Figuren dem Beschauer überhaupt zu Bewusstsein zu bringen.
Diese echt spätrömische Bevorzugung der inhaltlichen Tendenz, das heißt des äußeren Zweckes
im Kunstwerke geht begreiflichermaßen Hand in Hand mit einer wachsenden Sorglosigkeit in der
Beobachtung der natürlichen taktischen Verbindungen der Theile (Glieder, Falten) untereinander.
Namentlich das Verlassen des Contraposts zu Gunsten einer mehr neutralen Beinstellung (der
1 Von dem Sarkophag des Junius Bassus, von welchem die beste Gesammtansicht derzeit der Lichtdruck zu Grisar's Aufsatz
darüber in der Römischen Quartalschrift 1896, Taf. V, VI, bietet und welcher seit einiger Zeit wegen Unzugänglichkeit der vatikanischen
Grotten der Forschung so gut wie entzogen ist, bereitet Mons, de Waal in Rom eine Publication vor, deren Erscheinen zu Ostern 1900 als
unmittelbar bevorstehend angekündigt wurde. Der Güte desselben Prälaten verdanke icli es, dass mir zu Ostern 1899 Gelegenheit wurde,
den Sarkophag etwa zehn Minuten lang beim Lichte einer Fackelkerze besichtigen zu dürfen; ein zweitesmal habe icli ihn anlässlich des
diesjährigen (1900) Congresses für christliche Archäologie flüchtig zu Gesicht bekommen. Eine in so knapper Zeit vollzogene Beschau
reicht natürlicli nicht hin, um die sich an diesem grundwichtigen Denkmal aufdrängenden Fragen auch nur zum Theile mit Sicherheit
beantworten zu können. Es ist ein Säulensarkophag wie Fig. 16; die Säulen sind hier noch freier vor die Wand gestellt, so dass die
Figurengruppen darinnen geradezu Freigruppen unter Tabernakeln zu bilden scheinen und ihre dreidimensionale Raumausfüllung nicht erst
durch theilweises Heraustreten aus den Nischen (oben mit geradem Gebälke, unten mit flachen Segmentbogen und Giebeln) zu beweisen
brauchen. Auch die von Grisar so ansprechend erklärten Zwickelfiguren sind gemäß der von den Constantinreliefs her bekannten Raum-
composition durcli Unterhöhlung der Umrisse als freiräumlicli hingestellt. Innerhalb jeder Gruppe herrscht eine strenge Liniencomposition,
in welcher die Verticalen und Horizontalen überwiegen, aber auch die Diagonalen nicht fehlen; letzteres in einer auffallend äußerlichen Auf-
fassung des Linienschemas in Petri Gefangennahme, wo Petrus umzufallen droht; eine ähnliche Schrägstellung findet sich übrigens auch am
äußersten rechtsseitigen Apostel der Vorderwand des Liberius-Sarkophags in Ravenna (Fig. 27), wie denn überhaupt der Junius Bassus-
Sarkophag sowohl in der bequemen Säulentheilung als in der Neigung zu strenger Ebencomposition, den zahlreichen ausgesprochenen
Contraposten und einer trotz aller optischen Grundauffassung verhältnismäßig taktischen Draperiebildung eine Verbindung zwischen den
römischen und ravennatischen Sarkophagen herstellt. Auch die Putten an den Schmalseiten des Junius Bassus-Sarkophags sind (nach
modernem Geschmacke) weit besser gearbeitet als diejenigen des Constantina-Sarkophags, und beweisen damit ihre Zugehörigkeit zu einem
früheren Stadium der Entwicklung.
2 Vergl. Busiri-Vici, La colonna Santa ed il Sarcofago di Probo Anicio, wo auf Taf. 2 die Vorderwand in Lichtdruck, Taf. 3 die
übrigen Wände in Linienzeichnung wiedergegeben sind.
SCULPTUR.
Sarkophagsculptur versagt haben sollten? Wenn wir nun wahrnehmen, dass christliche
Sarkophage wie Fig. 23 mit heidnischen gleicli Fig. 16 und 17 einzelne völlig charakteristische
Züge gemein haben, und dass selbst solche Sarkophage, die wie Fig. 24 angeblich den Schluss
der ganzen Entwicklung bezeichnen und erst im fünften Jahrhundert entstanden sein könnten,
den Constantinreliefs noch in ganz wesentlichen Punkten nahestehen, so wird man wohl berechtigt
sein, das hinderliche Datum von 359 aus dem Wege zu räumen und eine zusammenhängende
Entwicklung der christlichen Sarkophagsculptur schon vor der Mitte des vierten Jahrhunderts,
zum Theile parallel mit der heidnischen Sarkophagsculptur der mittleren Kaiserzeit einsetzen
zu lassen.1
Besser als der Junius Bassus-Sarkophag ließe sich derjenige des Probus 2 mit der Zeit, der
man ihn zuweisen zu sollen glaubt (den Siebziger- bis Achtzigerjahren des vierten Jahrhunderts)
vereinigen. Seine Ebencomposition ist trotz der säulengetrennten Nischen, in welche die
Figuren vertheilt sind, im Grunde mit derjenigen des Constantinreliefs (Fig. 7) identisch. Die in
den Nischen paarweise angeordneten Jünger beziehen sich nämlicli nicht allein auf der Vorderseite,
sondern auch auf beiden Schmalseiten ausnahmslos (mit geringen Abwechslungen) auf den in dem
mittleren Intercolumnium der Vorderseite auf erhöhtem Platze zwischen Petrus und Paulus
stehenden Christus. Die Composition der Figuren selbst ist in möglichst starre, isolierte, längliche
Viereckumrisse gebannt; nur die Kopfwendung und theilweise der erhobene Arm (wie am
Constantinrelief) deutet die Richtung an, in welcher die Aufmerksamkeit der Figuren festgehalten
ist. Das will besagen, dass es dem Künstler vor allem darauf angekommen ist, die innere
Bewegung der Figuren zum Ausdrucke zu bringen, die äußere aber daneben auf ein Minimum zu
beschränken und nur soweit (als nothwencliges Übel) zuzulassen, als es unumgänglich nöthig
schien, um die innere Bewegung der Figuren dem Beschauer überhaupt zu Bewusstsein zu bringen.
Diese echt spätrömische Bevorzugung der inhaltlichen Tendenz, das heißt des äußeren Zweckes
im Kunstwerke geht begreiflichermaßen Hand in Hand mit einer wachsenden Sorglosigkeit in der
Beobachtung der natürlichen taktischen Verbindungen der Theile (Glieder, Falten) untereinander.
Namentlich das Verlassen des Contraposts zu Gunsten einer mehr neutralen Beinstellung (der
1 Von dem Sarkophag des Junius Bassus, von welchem die beste Gesammtansicht derzeit der Lichtdruck zu Grisar's Aufsatz
darüber in der Römischen Quartalschrift 1896, Taf. V, VI, bietet und welcher seit einiger Zeit wegen Unzugänglichkeit der vatikanischen
Grotten der Forschung so gut wie entzogen ist, bereitet Mons, de Waal in Rom eine Publication vor, deren Erscheinen zu Ostern 1900 als
unmittelbar bevorstehend angekündigt wurde. Der Güte desselben Prälaten verdanke icli es, dass mir zu Ostern 1899 Gelegenheit wurde,
den Sarkophag etwa zehn Minuten lang beim Lichte einer Fackelkerze besichtigen zu dürfen; ein zweitesmal habe icli ihn anlässlich des
diesjährigen (1900) Congresses für christliche Archäologie flüchtig zu Gesicht bekommen. Eine in so knapper Zeit vollzogene Beschau
reicht natürlicli nicht hin, um die sich an diesem grundwichtigen Denkmal aufdrängenden Fragen auch nur zum Theile mit Sicherheit
beantworten zu können. Es ist ein Säulensarkophag wie Fig. 16; die Säulen sind hier noch freier vor die Wand gestellt, so dass die
Figurengruppen darinnen geradezu Freigruppen unter Tabernakeln zu bilden scheinen und ihre dreidimensionale Raumausfüllung nicht erst
durch theilweises Heraustreten aus den Nischen (oben mit geradem Gebälke, unten mit flachen Segmentbogen und Giebeln) zu beweisen
brauchen. Auch die von Grisar so ansprechend erklärten Zwickelfiguren sind gemäß der von den Constantinreliefs her bekannten Raum-
composition durcli Unterhöhlung der Umrisse als freiräumlicli hingestellt. Innerhalb jeder Gruppe herrscht eine strenge Liniencomposition,
in welcher die Verticalen und Horizontalen überwiegen, aber auch die Diagonalen nicht fehlen; letzteres in einer auffallend äußerlichen Auf-
fassung des Linienschemas in Petri Gefangennahme, wo Petrus umzufallen droht; eine ähnliche Schrägstellung findet sich übrigens auch am
äußersten rechtsseitigen Apostel der Vorderwand des Liberius-Sarkophags in Ravenna (Fig. 27), wie denn überhaupt der Junius Bassus-
Sarkophag sowohl in der bequemen Säulentheilung als in der Neigung zu strenger Ebencomposition, den zahlreichen ausgesprochenen
Contraposten und einer trotz aller optischen Grundauffassung verhältnismäßig taktischen Draperiebildung eine Verbindung zwischen den
römischen und ravennatischen Sarkophagen herstellt. Auch die Putten an den Schmalseiten des Junius Bassus-Sarkophags sind (nach
modernem Geschmacke) weit besser gearbeitet als diejenigen des Constantina-Sarkophags, und beweisen damit ihre Zugehörigkeit zu einem
früheren Stadium der Entwicklung.
2 Vergl. Busiri-Vici, La colonna Santa ed il Sarcofago di Probo Anicio, wo auf Taf. 2 die Vorderwand in Lichtdruck, Taf. 3 die
übrigen Wände in Linienzeichnung wiedergegeben sind.