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SCULPTUR
Scenen geschmückten Sarkophage vor oder nach den ebengenannten anzusetzen sind; eine
Gleichzeitigkeit beider ist im allgemeinen schon darum unwahrscheinlich, als die figürlich
verzierten Sarkophage äußerlich ein reicheres Ansehen haben, und es gar nicht einzusehen wäre,
warum sich die Kaiser im fünften Jahrhundert etwas versagt haben sollten, was Bischöfe und, wie
die stadtrömischen Beispiele (Junius Bassus, Probus) beweisen, auch beliebige Laien haben
durften. Nun wird wenigstens einer der ravennatischen Sarkophage — der sogenannte Pignatta-
Sarkophag beim Dante-Grabmal — in das dritte Jahrhundert versetzt; ich sehe zwar gar keinen
Grund, mit seiner Datierung hinter das vierte Jahrhundert zurückzugehen; aber so viel ist sicher,
dass er mit den übrigen Figuren-Sarkophagen in Ravenna ikonographisch und künstlerisch eng
zusammenhängt, und die Datierung dieser ganzen Gruppe nach der Mitte des fünften Jahr-
hunderts ganz und gar unwahrscheinlich, ja schlankweg unmöglich macht.
Fig. 27. Liberins-Sarkophag; Marmor. S. Francesco zu Ravenna.
Als der älteste ravennatische Figuren-Sarkophag erscheint mir aber nicht der Pignatta-
Sarkophag, sondern derjenige des Bischofs Liberias in S. Francesco zu Ravenna (Fig. 27). Als
Säulensarkophag tritt er unmittelbar neben jene stadtrömischen, von denen er sich aber durch
die Reducierung der Säulen auf Halbsäulen und durch die reichliche, die Figuren ringsum ein-
schließende Grundfläche unterscheidet, während an jenen römischen Beispielen die Figuren ihre
Umrahmung immer zu sprengen trachteten. Die Köpfe der Figuren ragen aber auch hier in die
Muschelwölbung der Nische hinein, so dass die Raumabsicht da und dort als die gleiche erscheint,
mit dem bloßen Unterschiede, dass man es am ravennatischen Sarkophag (wie am Constantina-
und Rinaldus-Sarkophag) bereits für unnöthig befunden hat, den Grund' rings um die Figur beson-
ders als Raum zu declarieren. An den Figuren berührt der strenge Contrapost und die klare, fast
große Drapierung der Gewänder unter deren Hülle die Plastik zwar deutlich aber noch ohne Härte
zum Ausdrucke gelangt, nahezu classisch; die Faltenbildung im Einzelnen ist derjenigen am
Junius Bassus-Sarkophag verwandt. Ein glücklicher Zufall fügte es, dass sich in derselben Kirche
S. Francesco eine etwas spätere Copie des Liberius-Sarkophages (Fig. 28) erhalten hat, die sich
SCULPTUR
Scenen geschmückten Sarkophage vor oder nach den ebengenannten anzusetzen sind; eine
Gleichzeitigkeit beider ist im allgemeinen schon darum unwahrscheinlich, als die figürlich
verzierten Sarkophage äußerlich ein reicheres Ansehen haben, und es gar nicht einzusehen wäre,
warum sich die Kaiser im fünften Jahrhundert etwas versagt haben sollten, was Bischöfe und, wie
die stadtrömischen Beispiele (Junius Bassus, Probus) beweisen, auch beliebige Laien haben
durften. Nun wird wenigstens einer der ravennatischen Sarkophage — der sogenannte Pignatta-
Sarkophag beim Dante-Grabmal — in das dritte Jahrhundert versetzt; ich sehe zwar gar keinen
Grund, mit seiner Datierung hinter das vierte Jahrhundert zurückzugehen; aber so viel ist sicher,
dass er mit den übrigen Figuren-Sarkophagen in Ravenna ikonographisch und künstlerisch eng
zusammenhängt, und die Datierung dieser ganzen Gruppe nach der Mitte des fünften Jahr-
hunderts ganz und gar unwahrscheinlich, ja schlankweg unmöglich macht.
Fig. 27. Liberins-Sarkophag; Marmor. S. Francesco zu Ravenna.
Als der älteste ravennatische Figuren-Sarkophag erscheint mir aber nicht der Pignatta-
Sarkophag, sondern derjenige des Bischofs Liberias in S. Francesco zu Ravenna (Fig. 27). Als
Säulensarkophag tritt er unmittelbar neben jene stadtrömischen, von denen er sich aber durch
die Reducierung der Säulen auf Halbsäulen und durch die reichliche, die Figuren ringsum ein-
schließende Grundfläche unterscheidet, während an jenen römischen Beispielen die Figuren ihre
Umrahmung immer zu sprengen trachteten. Die Köpfe der Figuren ragen aber auch hier in die
Muschelwölbung der Nische hinein, so dass die Raumabsicht da und dort als die gleiche erscheint,
mit dem bloßen Unterschiede, dass man es am ravennatischen Sarkophag (wie am Constantina-
und Rinaldus-Sarkophag) bereits für unnöthig befunden hat, den Grund' rings um die Figur beson-
ders als Raum zu declarieren. An den Figuren berührt der strenge Contrapost und die klare, fast
große Drapierung der Gewänder unter deren Hülle die Plastik zwar deutlich aber noch ohne Härte
zum Ausdrucke gelangt, nahezu classisch; die Faltenbildung im Einzelnen ist derjenigen am
Junius Bassus-Sarkophag verwandt. Ein glücklicher Zufall fügte es, dass sich in derselben Kirche
S. Francesco eine etwas spätere Copie des Liberius-Sarkophages (Fig. 28) erhalten hat, die sich