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Riegl, Alois
Die spätrömische Kunst-Industrie nach den Funden in Österreich-Ungarn (1): Die spätrömische Kunst-Industrie nach den Funden in Österreich-Ungarn — Wien: Österreich. Staatsdruckerei, 1901

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https://doi.org/10.11588/diglit.75259#0127
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SCULPTUR.

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zu denken ist. Natürlich haben wir nach allem früher Gesagten
in diesem sechsfachen Hintereinander, das heißt in der darin
bethätigten Lust an Deckungen als Mittel der Versinnlichung
der Räumlichkeit der einzelnen Figuren, unter gleichzeitiger
Vernachlässigung der entsprechenden Ebenrelationen, die
Haupttriebfeder dieser ganzen Kunstweise zu suchen. Das
Hintereinander ist zwar noch immer ein Übereinander —
aber allerdings nicht mehr aus Gründen, welche die Antike
dafür gehabt hatte, sondern aus Gleichgiltigkeit gegenüber
der Verbindung der Figuren mit dem Boden.
Es ist eine natürliche Consequenz der optischen Auf-
fassungsweise in der bildenden Kunst, dass die Details der
Figuren in ihrer taktischen Wesenheit umso undeutlicher
werden, in je kleinerem Maßstabe dieselben gehalten sind.
Daraus ergibt sich, dass die fortgesetzte Pflege von Miniatur-
figuren gleich denjenigen in Fig. 40 und 41, unten, noth-
wendigermaßen schließlich zur Silhouette führen musste.
Solcher Silhouettenfiguren ist selbst in der spätrömischen
Steinsculptur kein Mangel: namentlich Thierfiguren und sym-
bolische Motive an ravennatischen Sarkophagen nähern sich
stark der Silhouette; auf den sogenannten koptischen Grab-
steinen (zumeist griechischen Arbeiten des siebenten Jahr-
hunderts in Egypten, vergl. Fig. 43, 44) begegnet die
Silhouettenmanier an menschlichen Figuren und an Orna-
menten. Eine noch größere Bedeutung scheint dieselbe aber
in der Malerei gewonnen zu haben: da tritt sie schon um 500
im Wiener Dioscorides auf (Putten als Repräsentanten der
Künste in den Zwickeln zwischen den Kreisverschlingungen
des Dedicationsbild-Rahmens), und lässt ihre weite Ver-


Fig. 41. Elfenbeintafel vom Anastasius-
Diptychon. Berlin.

breitung nocli in den Copien der karolingischen Zeit (zum Beispiel des Sacramentars von Autun)
erkennen.
Hiemit sind wir in der Entwicklung des Reliefs bis in die Regierungszeit Justinians gelangt.
Für die zwei Jahrhunderte, die uns da noch von der Zeit Karls des Großen trennen, fehlt uns
dermalen eine geschlossene Kette datierter Denkmäler aus dem Gebiete der Mittelmeervölker.
Es hat zwar gewiss auch in dieser vom Bilderstürme heimgesuchten Periode nicht an einem
bestimmten Maße des Fortschrittes in der Entwicklung gefehlt, und es mögen sogar bisher
unpublicierte Denkmäler in hinreichender Anzahl erhalten sein, um jenen Entwicklungsgang
im Einzelnen aufzuzeigen. Wir dürfen auf die Durchführung eines solchen Versuches darum
verzichten, weil die großen Umwälzungen und Neuerungen mindestens bei den Mittelmeervölkern
zur Zeit Justinians alle schon geschehen waren und daselbst in den letzten zwei Jahrhunderten
vor Karl dem Großen zwar kein absoluter Stillstand — der a priori unmöglich ist —, wohl aber
ein sehr langsames Fortschreiten der Entwicklung auf allen ethischen und ästhetischen Gebieten
zu verzeichnen ist. Von der Mitte des sechsten Jahrhunderts an wendet sich das Interesse der
 
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