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KUNSTINDUSTRIE.
Auf Taf. IX—XII findet sich noch eine Anzahl von Granat-Einlagen in Gold vereinigt,
die fast ausschließlich auf dem Boden der ungarischen Reichshälfte ans Licht gekommen und
daher sämmtlich für barbarische Arbeit in Anspruch genommen worden sind. Mit dieser Hypo-
these glaubt man übrigens selbst vör italienischen Fundstücken, wie Fig. 90 und 91, nicht Halt
machen zu sollen. Mindestens in Italien ist jedermann überzeugt, dass diese „barbarischen"
Dinger durch die Gothen ins Land gebracht wurden, obzwar sich die einschlägigen Funde längst
nicht mehr auf die „Rüstung des Odovakar" im Museum zu Ravenna beschränken, und selbst in
Rom vereinzelt zutage gekommen sind; und die auswärtigen Forscher sind eher geneigt, den
Italienern darin Recht zu geben. Eine Entscheidung hierüber kann nur im Zusammenhänge mit
Fig. 90. Goldschnalle mit Granaten. Museo Civico in Bologna.
Fig. 91. Goldschnalle mit eingelegten Steinen. Sammlung Augusto
Castellani in Rom.
der Erörterung der ganzen „Barbarenfrage" gefällt werden, und muss daher dem zweiten Theile
dieses Werkes vorbehalten bleiben. Aber zwei Punkte daraus dürfen, ja müssen schon an dieser
Stelle vorweggenommen werden, weil sie zur Klärung der uns im vorliegenden ersten Theile
a gestellten Aufgabe —- des Nachweises des engsten Zusammenhanges der Granaten-Einlage in
Gold mit dem Kunstwollen der Mittelmeervölker in der spätrömischen Periode — ein Wesent-
liches beizutragen geeignet sind. Es handelt sich erstens um den Nachweis, dass die Granaten-
Einlage in Gold selbst noch in nachjustinianischer Zeit bei den Mittelmeervölkern in Gebrauch
gestanden ist; zweitens um eine, wenn auch nur das Wesentlichste hervorhebende Charakteristik der
Unterschiede, welche die auf barbarischen Ursprung bezogenen Denkmäler der Granaten-Einlage
in Gold gegenüber den von uns der spätrömischen Kunst revindicierten Denkmälern im Stile der
Schnalle von Apahida aufzuweisen haben.
Den fortdauernden Gebrauch der Granaten-Einlage in Gold und zugleich die Fortdauer der
führenden Stellung der Griechen im Kunstleben der Mittelmeervölker beweisen für das siebente
Jahrhundert die bei Toledo gefundenen Votivkronen, die durch beigefügte Namen westgothischer
Könige eine feste Datierung empfangen haben und infolgedessen, zusammen mit dem Grabfunde
des Childerich, eine unverrückbare Grundlage für unsere Beurtheilung der Entwicklung der
KUNSTINDUSTRIE.
Auf Taf. IX—XII findet sich noch eine Anzahl von Granat-Einlagen in Gold vereinigt,
die fast ausschließlich auf dem Boden der ungarischen Reichshälfte ans Licht gekommen und
daher sämmtlich für barbarische Arbeit in Anspruch genommen worden sind. Mit dieser Hypo-
these glaubt man übrigens selbst vör italienischen Fundstücken, wie Fig. 90 und 91, nicht Halt
machen zu sollen. Mindestens in Italien ist jedermann überzeugt, dass diese „barbarischen"
Dinger durch die Gothen ins Land gebracht wurden, obzwar sich die einschlägigen Funde längst
nicht mehr auf die „Rüstung des Odovakar" im Museum zu Ravenna beschränken, und selbst in
Rom vereinzelt zutage gekommen sind; und die auswärtigen Forscher sind eher geneigt, den
Italienern darin Recht zu geben. Eine Entscheidung hierüber kann nur im Zusammenhänge mit
Fig. 90. Goldschnalle mit Granaten. Museo Civico in Bologna.
Fig. 91. Goldschnalle mit eingelegten Steinen. Sammlung Augusto
Castellani in Rom.
der Erörterung der ganzen „Barbarenfrage" gefällt werden, und muss daher dem zweiten Theile
dieses Werkes vorbehalten bleiben. Aber zwei Punkte daraus dürfen, ja müssen schon an dieser
Stelle vorweggenommen werden, weil sie zur Klärung der uns im vorliegenden ersten Theile
a gestellten Aufgabe —- des Nachweises des engsten Zusammenhanges der Granaten-Einlage in
Gold mit dem Kunstwollen der Mittelmeervölker in der spätrömischen Periode — ein Wesent-
liches beizutragen geeignet sind. Es handelt sich erstens um den Nachweis, dass die Granaten-
Einlage in Gold selbst noch in nachjustinianischer Zeit bei den Mittelmeervölkern in Gebrauch
gestanden ist; zweitens um eine, wenn auch nur das Wesentlichste hervorhebende Charakteristik der
Unterschiede, welche die auf barbarischen Ursprung bezogenen Denkmäler der Granaten-Einlage
in Gold gegenüber den von uns der spätrömischen Kunst revindicierten Denkmälern im Stile der
Schnalle von Apahida aufzuweisen haben.
Den fortdauernden Gebrauch der Granaten-Einlage in Gold und zugleich die Fortdauer der
führenden Stellung der Griechen im Kunstleben der Mittelmeervölker beweisen für das siebente
Jahrhundert die bei Toledo gefundenen Votivkronen, die durch beigefügte Namen westgothischer
Könige eine feste Datierung empfangen haben und infolgedessen, zusammen mit dem Grabfunde
des Childerich, eine unverrückbare Grundlage für unsere Beurtheilung der Entwicklung der