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Ritter, William; Segantini, Giovanni [Ill.]
Segantini — Künstler-Monographien, Band 72: Bielefeld [u.a.]: Velhagen & Klasing, 1904

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https://doi.org/10.11588/diglit.61492#0055
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Stets war es sein Traum, auf dem Lande sich niederzulassen. Die sanft an-
steigenden Prcalpi (Vorberge), die lachenden Fluren der Brianza hatten es ihm angetan,
als er sie mit einem Freund durchwandert war. Besonders gefiel ihm eine dortige
Villa, welche von einem Bischof in Como gegen Ende des sechzehnten Jahrhunderts im
zierlichsten Barockstil inmitten von Vignen und Obstgärten erbaut worden war. Fast
hundert Jahre war sie unbewohnt geblieben und fiel fast in Trümmer; auch war sie
gefürchtet in der Umgegend als Aufenthaltsort von allerlei Gespenstern und bösem Spuk;
im Dialekt der Gegend hieß sie nur 6L äi 8trii, d. h. Oass, äsllo 8trogbs (Hexenschloß).
Nach vielen beim Dorfwirt eingezogenen Erkundigungen entschloß er sich im Jahre 1882
ein hübsches Haus mit weitem Rundblick in Pusiano zu mieten, dessen lieblicher See
und reizende Umgebung den Ausschlag gegeben hatten.
Zwei Jahre vor dieser Übersiedlung hatte er in Mailand die Schwester seines
Kollegen Carlo Bugatto geheiratet, dasselbe junge Mädchen, welches er unter dem Titel
„Falconiera" gemalt hatte.
Wie einfach und rührend klingt die Erzählung von jenem Liebeserwachen aus dem
Munde der Witwe Segantinis! Hier nur ein kurzer Abriß davon.
„Segantini war der Freund meines Bruders; als ich ihn 1878 zum erstenmal sah,
trug ich noch kurze Kleider und ein Kinderschürzchen. Er gefiel mir zwar gleich, aber
selbst heute vermöchte ich nicht zu entscheiden, ob das schon Liebe oder bloß Zuneigung
gewesen. Oft begleitete er mich mit meinem Bruder zur Schule, und manchmal fürchtete
ich mich vor ihm, weil er gar so ernst war und so selten etwas sprach. Durch den
häufigen Verkehr erwachte in uns die Liebe, aber selbst darin blieb Segantini stets ernst.
Nach kurzem Werben wurde ich 1880 im Dezember seine Frau und wir begründeten
einen eigenen Hausstand. Nun begann er daheim zu arbeiten und es entstanden der
erste Entwurf zum ,Rosenblatt', ein .Jndiaw, eine ,Ente' und ein Paar andere weniger
wichtige Werke, deren ich mich nicht mehr entsinnen kann. Ende August 1881 siedelten
wir nach Pusiano über und mit welcher Freude! Wie berauscht fühlten wir uns von
den Schönheiten der Brianza. Nun arbeitete Segantini sehr eifrig, teils im Freien, teils
zu Hause, während ich ihm stets vorlesen mußte, denn ohne das konnte er nicht malen."


Abb. 40. Die Reue (?), Figur des ,,^.vs Maria in den Bergen". Spätere Zeichnung.
 
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