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Rodenberg, Julius
Paris bei Sonnenschein und Lampenlicht: ein Skizzenbuch zur Weltausstellung — Leipzig, 1867 (2. Aufl.)

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https://doi.org/10.11588/diglit.1385#0012
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4 I. Die vierundzwanzig Stnnde» von Paris.

Jtalien: „Jn Frankreich fängt jede Conversation mit einem
Ballet an." Mag sein, und ist besser obendrein als wenn wie
in gewiffen andern Ländern, nicht immer, aber sehr oft die
Unterhaltung mit einer Ohrfeige anfängt. O, wie graziös
ist der Anfang des Tages, des Tagewerkes, der Arbeit in
Paris! Nun öfsnen sich die Läden, bier und da und überall,
nun öffnen sich die Kafseehäuser. Das erste, was man in
den Schaufenstern sieht, sind hübsche Mädchen, unter deren
feinen Händen mit zauberhafter Schnelligkeit das entsteht, was
wir die „Etalage" nennen. Jch habe nicht bemerkt, daß sie
darüber nachdenken oder daß sie sich besondere Mühe geben:
es wird alles von selbst und es wird so schön! Stundenlang
kann ich vor diesen Schaufenstern stehen bleiben, oder, von
einem zum andern wandernd, die Mannichfaltigkeit, die Ele-
ganz, das Bild bewundern, welches jedes einzelne darbietet.
Spitzen und Mäntel und Hüte und Ringe und Schuhe —
wie gleichgültig sind mir diese Sachen sonst; aber in Paris
feffeln sie mich unwiderstehlich. Diese kleine Künstlerin, welche
Kränze und Bänder so zu ordnen weiß, daß mein Blick nicht
gleichgültig bleiben kann, daß er ihrem Werke den Tribut
einer Minute zollen muß: ist sie nicht durch und durch Fran-
zösin? Der Typus ist es, der mein Nachdenken beschäftigt.
Die Schaufenster: das ist eine große Lehre, die uns Paris
gibt. Diese Kunst des Arrangements, dieses gewinnende Lächeln
der Außenseite, das ist der Grnndzug, der hier durch alls
Regionen, bis in die höchste geht. Das „savoir kairo" liegt
nun einmal im Charakter und der Sprache der Franzosen,
und meinetwegen mag Paris ein großer Schauplatz des Ver-
gnügens und das pariser Leben nichts als ein Schauspiel
genannt werden; aber, ihr gestrengen Herren, kommt nicht
die halbe Welt, und ihr selbst darunter, nach Paris, um
dieses Schauspiel zu sehen? Und was auch die Kritik sagt:
Zuschauer zu haben, das macht den Erfolg des Stückes.

Es schlägt zehn Uhr. Wundert euch nicht, denn in Paris
fliegen die Stunden sehr schnell. Die Friseurs haben ihre
Boutiquen geöffnet und die Cafes erwarten ihre Gäste: die
Garcons in ihren weißen Schürzen haben die Zeitungen auf
die Marmortische gehäuft, die langen „Flöten" auf einen an-
 
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